Die Farbe des Horizonts [2018]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. Juni 2018
Genre: Drama / Liebesfilm

Originaltitel: Adrift
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Baltasar Kormákur
Musik: Volker Bertelmann
Darsteller: Shailene Woodley, Sam Claflin, Grace Palmer, Jeffrey Thomas, Elizabeth Hawthorne, Tami Ashcraft, Kael Damlamian


Kurzinhalt:

Auf ihrer Reise rund um den Globus trifft die 24jährige Tami (Shailene Woodley) auf Tahiti auf den gleichgesinnten, etwas älteren Richard (Sam Claflin). Sie verlieben sich ineinander und planen, auf Richards Segelboot die Welt zu entdecken. Als er jedoch von einem befreundeten Paar gefragt wird, ob sie gegen Bezahlung deren Jacht von Tahiti nach San Diego, Kalifornien überführen können, gehen sie auf das Angebot ein. Im Grunde stellt die 4.000 Meilen lange Überfahrt für Tami und den erfahrenen Segler keine große Herausforderung dar. Doch als sie von einem Hurrikan überrascht werden, kommen sie weit vom Kurs ab. Schiffbrüchig auf hoher See muss Tami nicht nur um das eigene Überleben kämpfen, sondern auch für Richard, den sie schwer verletzt geborgen hat. Auf Rettung können sie dabei kaum hoffen …


Kritik:
Nach dem auf Tatsachen basierenden Überlebensdrama Everest [2015] widmet sich der isländische Regisseur Baltasar Kormákur mit Die Farbe des Horizonts erneut einer wahren Geschichte. In deren Zentrum steht die von Shailene Woodley ergreifend verkörperte Tami Oldham, die 41 Tage lang schiffbrüchig auf See war und dort ums Überleben kämpfte. So bewegend dies in machen Momenten vor allem dank der packenden Darbietung ist, lässt das Drama auf Grund gewisser künstlerischer Entscheidungen die Zugkraft vermissen, die es eigentlich verdient.

Erzählt ist Die Farbe des Horizonts auf zwei Ebenen. Die Eröffnungssequenz, in der sich Tami in einer scheinbar ununterbrochenen Kameraeinstellung aus einem mit Wasser gefluteten Bootswrack heraus kämpft, ist so beeindruckend wie beängstigend. Dieser Erzählstrang setzt nach dem Unglück an und zeigt, was darauf folgend geschieht. Der zweite beginnt in Rückblenden fünf Monate früher und schildert, ausgehend von Tamis und Richards ersten Begegnung, ihre Erlebnisse bis zum Schiffbruch selbst. Diese Struktur ist keine wirklich neue Idee für ein Überlebensdrama und so wundert es nicht, dass die Erzählungen am Schluss bei der tatsächlichen Tragödie zusammenlaufen, die den tragischen Höhepunkt von Die Farbe des Horizonts bildet.

Die vielen Rückblicke, in denen man gezeigt bekommt, wie die erst 24jährige Tami als Weltenbummlerin aus San Diego, Kalifornien, nach Tahiti kommt und dort den knapp zehn Jahre älteren, erfahrenen Segler Richard trifft, tragen dazu bei, die Figuren kennen zu lernen. Nach einigen glücklichen Monaten zusammen, sollen sie für ein mit Richard befreundetes, älteres Paar eine Jacht von Tahiti nach San Diego überführen. Bei der Überfahrt geraten sie in den Hurrikan „Raymond“; das Boot wird schwer beschädigt und weit vom Kurs abgetrieben. Nachdem Tami einen schwer verletzten Richard auf dem treibenden Beiboot entdeckt, muss sie nicht nur buchstäblich das Ruder übernehmen, sondern ihr Boot notdürftig reparieren und dafür sorgen, dass es sich über Wasser hält. Sieht man Shailene Woodley gegen die Wellen, das Wetter und die gesamte Situation ankämpfen, für sich und für Richard mit gebrochenen Rippen und einem zertrümmerten Bein, dann ist das weniger inspirierend, als Ehrfurcht gebietend. Sie wirft sich mit einer Vehemenz in die Rolle, dass es einem in manchen Momenten den Atem raubt.

So überragend Shailene Woodleys Darbietung in einer bemerkenswerten und preiswürdigen Tour de Force ist, so sehr verblasst Sam Claflin an ihrer Seite. Es ist beinahe, als wäre der Darsteller nicht im selben Maße in seine Rolle investiert wie sie in ihre, wobei Woodley selbst Die Farbe des Horizonts auch mit produziert. Filmemacher Baltasar Kormákur fängt einige Momente in langen Kameraeinstellungen ein, die selbst alltägliche Situationen außergewöhnlich erscheinen lassen und das Publikum gleichzeitig an die Seite der Figuren versetzen. Seine handwerkliche Umsetzung ist tadellos und nutzt doch nie die Notlage der Figuren der dramatischen Wirkung wegen auf reißerische Art für sich. Doch selbst wenn die Struktur des Überlebensdramas, das Unglück erst zum Schluss zu zeigen, aus erzählerischer Sicht durchaus Sinn ergibt und die Naturgewalt Furcht einflößend geschildert wird, es ist bedauerlich, dass dieser entscheidende Moment in kleinere Szenen unterbrochen und auseinandergerissen wird, anstatt die Sequenz am Stück zu belassen.

Dadurch, dass einem immer wieder vor Augen geführt wird, wohin dieser unausweichliche Moment führt – nämlich in den zweiten Erzählstrang, mit dem das Drama begonnen hat – entwickelt er nicht die Dramatik, die er entfalten könnte. Mag sein, dass es Kormákur darum gar nicht geht, sondern er stattdessen auf die emotionale Komponente setzt, die sich aus der Collage am Ende für Tami in den letzten Minuten des Films ergibt. Allerdings reißt Die Farbe des Horizonts dadurch nicht in dem Maße mit, wie es Tamis Geschichte sollte, oder könnte.


Fazit:
Am Ende bleibt die Frage, ob es vielleicht angemessener gewesen wäre, das Drama chronologisch in der richtigen Reihenfolge zu erzählen, anstatt den definierenden Moment des Unglücks gewissermaßen für den dritten Akt aufzusparen. Auf diese Weise bleibt die emotionale Wucht weitgehend aus, so erschreckend es ungeachtet dessen umgesetzt ist. Selbst wenn Tamis Überlebenskampf nicht in dem Maße bewegt, da die eingestreuten, romantischen Szenen zwischen ihr und Richard die Schrecken ihrer Erfahrung nach der Katastrophe immer wieder abschwächen, Die Farbe des Horizonts ist von Regisseur Baltasar Kormákur erstklassig gefilmt, so dass man sich über weite Strecken an Bord dieses Bootes fühlt und die Situation durch die Figuren erlebt. Das ist insbesondere, aber nicht nur dank der fantastischen Darbietung von Shailene Woodley, der hier durch Tamis Entwicklung und ihren unvorstellbaren Kraftakt eine beeindruckende Bandbreite abverlangt wird, überaus sehenswert.