Die Fabelmans [2022]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 4. März 2023
Genre: Drama / Biografie

Originaltitel: The Fabelmans
Laufzeit: 151 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Steven Spielberg
Musik: John Williams
Besetzung: Gabriel LaBelle, Michelle Williams, Paul Dano, Seth Rogen, Judd Hirsch, Julia Butters, Keeley Karsten, Sophia Kopera, Jeannie Berlin, Robin Bartlett, Sam Rechner, Oakes Fegley, Chloe East, Isabelle Kusman, Chandler Lovelle, Mateo Zoryon Francis-DeFord, Birdie Borria, Alina Brace


Kurzinhalt:

Von seinem ersten Kinobesuch mit seinen Eltern Mitzie (Michelle Williams) und Burt (Paul Dano) ist der junge Samuel Fabelman (Mateo Zoryon Francis-DeFord / Gabriel LaBelle) vollkommen fasziniert. Für ihn steht fest, dass er Filme machen will und dank einer Videokamera seines Vaters nimmt Samuel zuerst mit seinen Geschwistern, später, nachdem die Familie auf Grund von Burts Arbeitssituation umziehen musste, auch mit den Pfadfindern seiner Gruppe Kurzfilme auf. Die finden großen Zuspruch, doch ein erneuter Umzug bringt Samuel an eine Schule, in der er als Kind einer jüdischen Familie ausgegrenzt wird. Dass die Familie zudem mit privaten Krisen zu kämpfen hat, auch auf Grund der räumlichen Distanz zu Freunden wie Burts früherem Arbeitskollegen Bennie (Seth Rogen), macht die Situation für Samuel nur schwieriger. Seine Filme sind es, die ihm helfen, einen Weg durch all das Chaos des Erwachsenwerdens zu finden …


Kritik:
Steven Spielbergs Die Fabelmans ist eine in großen Teilen autobiografische Nacherzählung der eigenen Jugend des Filmemachers, der wie kaum ein anderer die Kinolandschaft des letzten halben Jahrhunderts geprägt hat. Er lädt das Publikum ein, seine Begeisterung für das Medium besser zu verstehen und wie es für ihn als jüdischer Junge im Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg war. Das Ergebnis ist mehr faszinierend, denn packend, dabei aber voll fantastischer Darbietungen und Momente purer Kinomagie.

Der erste kommt ganz am Anfang, wenn seine Eltern Burt und Mitzi den jungen Samuel „Sammy“ Fabelman zum ersten Mal ins Kino mitnehmen. Die bewegten Bilder aus Cecil B. DeMilles Die größte Schau der Welt [1952] begeistern Sammy so sehr, dass er sich zu Hanukkah eine Modelleisenbahn wünscht, um Szenen aus dem Film nachzustellen. Mit der Kamera seines Vaters, ein ebenso erfolgreicher wie vorausschauender Ingenieur, nimmt er Momente auf und dreht fortan mit seinen Geschwistern kurze Filme. Jahre später engagiert sich Sammy immer noch in Kurzfilmen, die er mit Freunden und Familie dreht, darunter auch die Pfandfinder, bei denen er ist. Burt unterstützt ihn zwar darin und ist interessiert, doch für ihn ist dies ein Hobby und als solches faszinierend. Für die berufliche Zukunft seines Sohnes wünscht er sich, dass Sammy seinen Lebensunterhalt mit etwas verdient, das man anfassen kann. Mit etwas Echtem und nicht Imaginärem. In der Beziehung steht Sammy seiner Mutter deutlich näher, die in einem Moment sagt, dass es in der Familie Fabelman seit jeher heißt, die Wissenschaft gegen die Kunst.

Arbeitet Burt mit Computern und damit an einer so prägenden wie praktischen Zukunft, war Mitzi eine erfolgreiche Pianistin, die ihr Talent und ihre Leidenschaft der Familie untergeordnet hat. Wie sehr sie dies schmerzt, sieht das Publikum lange, bevor Sammy es erkennen kann. Dem Publikum fällt auch auf, wie Burts Arbeitskollege und bester Freund Bennie Mitzi ansieht. Was er im Rahmen seiner eigenen Passion entdeckt, als er Urlaubsvideos seiner Familie zusammenstellt, prägt Sammy nachhaltig. Die teilweise fiktive Familiengeschichte des Filmemachers in Die Fabelmans zu sehen, verdeutlicht, weshalb Steven Spielberg früher oftmals Geschichten erzählte, in denen die Vaterfiguren durch ihre Verpflichtung ihrem Beruf gegenüber die Familie vernachlässigten, während die Mütter meist zentral für die Entwicklung und Prägung der Kinder verantwortlich zeichneten. Erst später wandelte sich das Bild, mit Spielbergs Anerkennung dessen, was zur Scheidung seiner Eltern führte, so dass die Vaterfiguren seiner Filme zu Helden aufstiegen.

Nach mehreren Umzügen im Rahmen der Arbeitsplatzwechsel seines Vaters schließlich in Nordkalifornien angekommen, findet sich Sammy als einer der wenigen jüdischen Schüler und überdies mit einem Faible für das Filmemachen in einer Außenseiterrolle wieder. Er sieht sich Ausgrenzung und antisemitischen Anfeindungen gegenüber, gleichzeitig aber auch seiner ersten Liebe. Sieht man die Entwicklung, die Sammys Leben nimmt, mit allen Höhen und Tiefen, bis hin zu einem Treffen mit einer wahren Legende ganz am Ende, fühlt sich Die Fabelmans von Beginn an wie eine zutiefst persönliche Familiengeschichte an, zu der der Regisseur das Publikum einlädt. Teil dieser Geschichte ist ein Aspekt des Erwachsenwerdens, der sich für Steven Spielberg derart darstellt, dass er seine Eltern als mehr sieht, als nur das. Er sieht sie als Menschen mit Fehlern, mit Wünschen und Sehnsüchten, die sich mit denjenigen der übrigen Familienmitglieder nicht immer vereinen lassen. Die Unantastbarkeit der elterlichen Präsenz, die Teil einer jeden Kindheit ist, legt er ab, sieht sie durch die Linse seiner Kamera und fängt damit nicht nur ihre Person, sondern ihre Wesenszüge ein.

Das zu beobachten, Sammy dabei zu begleiten, ist faszinierend und dahingehend erleuchtend, dass es die Geschichten, die dieser Künstler seit einem halben Jahrhundert erzählt, in einen größeren, persönlicheren Kontext rückt. In der Rolle der in ihrer Situation unglücklich gefangenen Mitzi zeigt Michelle Williams eine preiswürdige Darbietung und als heranwachsender Sammy ist Gabriel LaBelle eine fantastische Besetzung. Die Begeisterung, seine Fokussierung und seine Ehrfurcht sind ebenso spürbar wie seine Enttäuschung, als er hinter den Vorhang dessen blickt, was er als gegeben annahm. Nicht minder beeindruckend ist Paul Dano in einer Rolle, die über die meiste Zeit analytisch und distanziert erscheint, ehe er bei einer familiären Konfrontation nach einem Angriff auf Sammy aus sich herausgeht – oder wenn er kurz vor Schluss erkennen lässt, wie ihn das Geschehene beschäftigt. Es sind Momente wie diese, oder Judd Hirschs toller Auftritt, in dem er das Wesen der Kunstschaffenden auf den Punkt bringt, die in Erinnerung bleiben. Sie machen Die Fabelmans gleichermaßen sehenswert wie die Einblicke in die Jugend des Mannes, der seine Familiengeschichte hier mit der Welt teilt. Das ist mutig einerseits, aber auch ermutigend, wenn das Publikum sieht, dass die Personen, die uns unvergleichliche Kinoerlebnisse bescherten, am Ende auch nur Menschen sind.


Fazit:
Als wollte er verdeutlichen, wie viel von ihm selbst in seinen anderen Filmen steckt, erzählt Filmemacher Steven Spielberg in Die Fabelmans eine zutiefst persönliche Geschichte. Blickt er auf seine eigene Jugend zurück, dann ist es, als würde man jemandem zuhören, der begeistert von jener Zeit erzählt, Details zum Leben erweckt, die ihn nie losgelassen haben. Doch anstatt die schwärmerische Erinnerung zu verklären, wirkt es melancholisch differenziert und vielleicht erst jetzt mit der notwendigen Distanz in der Lage, diese Zeit und was darin geschehen ist umfassend einzuordnen. Dies ist in tollen Bildern und mit einer fantastischen Stimmung eingefangen. Herausragende Darbietungen und Momente, in denen die Magie des Mediums Film zum Greifen nahe scheint, machen die Chronik sehenswert mit dem Schlussauftritt einer Regielegende, der beinahe die gesamte Show stiehlt. Doch so sehr es Samuel Fabelman gelingt, Emotionen auszulösen und so gelungen transportiert wird, wie er selbst hin und hergerissen ist, die Geschichte an sich löst beim Publikum nur wenig aus. Kein lautes Charakterdrama, ist Die Fabelmans ein Film für ein Publikum, das hinter die Menschen hinter der Kamera blicken möchte. Diese Einblicke sind sehenswert und erleuchtend. Aber eben kaum mitreißend.