Blade Runner 2049 [2017]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Oktober 2017
Genre: Science Fiction / Thriller

Originaltitel: Blade Runner 2049
Laufzeit: 163 min.
Produktionsland: Großbritannien / Kanada / USA
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Denis Villeneuve
Musik: Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer
Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Robin Wright, Dave Bautista, Ana de Armas, Sylvia Hoeks, Jared Leto, Carla Juri, David Dastmalchian, Tómas Lemarquis, Mackenzie Davis, Hiam Abbass, Lennie James, Barkhad Abdi


Kurzinhalt:

Im Jahr 2049 ist die Erde ist ein düsterer Ort: Tiere und Pflanzen sind großteils ausgerottet, die wohlhabenden Menschen sind zu Kolonien fernab dieser Welt aufgebrochen. Seit Jahrzehnten gibt es künstlich erschaffene Wesen, Replikanten, die diejenigen Arbeiten übernehmen, die für Menschen zu gefährlich sind – oder zu anstrengend. Die Replikanten, die sich ihrer Aufgabe entziehen, werden von Polizisten, sogenannten 'Blade Runnern', gejagt und "in den Ruhestand versetzt", sprich vernichtet. K (Ryan Gosling) ist Polizist und ein solcher Blade Runner. Von seiner Vorgesetzten Lieutenant Joshi (Robin Wright) erhält er den Auftrag, den seit vielen Jahren gesuchten Replikanten Sapper Morton (Dave Bautista) auszuschalten. Dabei entdeckt er Hinweise bezüglich der Replikanten, die nicht nur sein Weltbild ins Wanken bringen, sondern laut Joshi den inneren Frieden der Gesellschaft insgesamt bedrohen könnten. Niander Wallace (Jared Leto), der die neueste Generation von Replikanten entwickelt hat, setzt daraufhin seine Assistentin Luv (Sylvia Hoeks) an, das lange gehütete Geheimnis, das K entdeckt hat, sicherzustellen. Koste es, was es wolle …


Kritik:
Es ist kaum abschätzbar, wie viele Geschichtenerzähler und Filmemacher in ihren Werken von Ridley Scotts Science-Fiction-Neo-Noir Der Blade Runner [1982] beeinflusst wurden. Vermutlich sogar mehr, als von Philip K. Dicks Roman Träumen Roboter von elektrischen Schafen? [1968], auf dem der Film basiert. Nicht nur auf Grund des Endes, sondern durch die Fragen der Geschichte selbst regt der Genreklassiker seither zu Diskussionen an. Lange Zeit gab es Gerüchte und Konzepte von Fortsetzungen. Zum 35-jährigen Jubiläum der Kino-Veröffentlichung von Blade Runner erzählt der Oscar-nominierte Regisseur Denis Villeneuve die Geschichte in Blade Runner 2049 weiter. Kenner des ersten Films erwartet die bestmögliche Fortsetzung, die man sich vorstellen kann. Die Tatsache, dass der Film derart in Einklang mit den Themen und der Präsentation des Vorgängers umgesetzt ist, bedeutet allerdings, dass er auch dieselben Schwächen besitzt, sofern man davon bei Scotts Film sprechen mag.

Über den Inhalt zu sprechen ist schwierig, wenn man dem Wunsch von Filmemacher Villeneuve folgt, der sich in einer Mitteilung vor dem Film an Kritiker wandte mit der Bitte, möglichst wenig über den Inhalt zu verraten, um keine Überraschungen vorweg zu nehmen. Insofern verweise ich hierfür lediglich auf obige Inhaltsangabe. Wie Blade Runner vor 35 Jahren bietet Blade Runner 2049, dessen Geschichte dreißig Jahre nach den Ereignissen des ersten Films spielt, in seinen Themen und Bildern so viele Deutungs- und Auslegungsmöglichkeiten, dass sich der Film am besten für eine Bild-für-Bild-Analyse eignen wird.
Diese düstere und trostlose Zukunft, in der Replikanten die modernen Sklaven und nur diejenigen Menschen auf der Erde geblieben sind, die es sich nicht leisten können, zu den entfernten Kolonien umzusiedeln, ist erneut ein Schauplatz enormer Gegensätze. Malerische Architektur in einer Mischung aus modernem und antikem Design bildet den größtmöglichen Kontrast zu in den Himmel ragenden Massenunterkünften der verarmten Bevölkerung. Sterile Umgebungen aus natürlichen Rohstoffen stehen postmodernen, an Kabinen erinnernden Räumen gegenüber, die schmutzig und abgewohnt wirken. Technologie wird benutzt, um den Menschen eine schönere Realität vorzugaukeln, künstliche Intelligenzen dienen als Ersatz für menschliches Zusammenleben.

Wie im vorangegangenen Film erscheinen die Menschen distanziert und gefühlskalt, die Replikanten dagegen emotionaler und in gewissem Sinne menschlicher als die "richtigen" Menschen. Blade Runner 2049 wirft erneut Fragen zur Wahrheit der Existenz auf, sei es der künstlichen, oder einer realen, ohne Antworten auf die Überlegungen zu liefern. In fantastisch zusammengestellten Bildern erschafft Regisseur Villeneuve die aus Blade Runner bekannte Welt neu, ohne sie bloß zu kopieren. Er erweitert das Universum und wirft neue philosophische Fragen auf, die sich aus den bekannten ergeben.
Das Design dieser Welt ist schlichtweg umwerfend mit subtilen Einflüssen wie dem Schnee in Los Angeles, der verdeutlicht, wie sehr sich die Welt gegenüber unseren gewandelt hat. Die unzähligen Neonreklamen in den schier unendlich erscheinenden, gassenschmalen Straßen der Metropole, die grauen Einöden in Kalifornien, die stets zumindest durch eine Wolkenschicht diffus gehaltene Sonne, die nur in einem Moment ungefiltert (und dennoch nicht direkt) zu sehen ist. Oder auch die biblischen Verweise, die zum Teil in der Filmvorschau bereits angedeutet wurden.

Das Aussehen, der Look, die unsichtbaren Trickeffekte und die basslastige Musik erzeugen eine so umfassende Atmosphäre, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Wer jedoch vermutet (oder hofft), dass Blade Runner 2049 die Erzählweise von Ridley Scotts Film modernisiert, der irrt. Es gibt viele kleine Szenen und Übergänge, die nicht notwendig sind, die Reise der Figuren allerdings abrunden. Doch entwickelt sich die Geschichte dadurch gefühlt sehr langsam. Manche Umwege der Story geben den Figuren lediglich mehr Zeit, die richtigen Schlüsse zu ziehen, ohne sie tatsächlich zu erweitern und so gerät der Film mit beinahe drei Stunden gefühlt länger, als er hätte sein müssen.

In der Hauptrolle des 'Blade Runner' K zeigt Ryan Gosling eine tolle Darbietung. Die meiste Zeit wirkt er unterkühlt, bringt allerdings in den Schlüsselszenen, in denen Ks Überzeugungen auf den Kopf gestellt werden, seine innere Zerrissenheit hervorragend zum Ausdruck. Dass Harrison Ford als Rick Deckard zurückkehren würde, wurde in der Vorschau bereits angekündigt Er zeigt hier eine Vielschichtigkeit in seiner Mimik, die schlicht großartig ist. Auch die übrige Besetzung steht dem in nichts nach, angefangen von Robin Wright und Jared Leto. Insbesondere Dave Bautistas Auftritt zählt zu den stärksten, ebenso wie diejenigen Momente mit Sylvia Hoeks und Ana de Armas.
Es ist, als wäre sich die Besetzung dessen bewusst, dass Blade Runner 2049 kein gewöhnlicher Science-Fiction-Unterhaltungsfilm ist. Es ist ein geradezu meditativ erzähltes Werk, grandios inszeniert mit einem Gespür für Perspektiven, Licht und Schatten und Set-Design, das durchweg ineinander greift. Es ist zweifellos die beste Fortsetzung einer Geschichte, die vor 35 Jahren begann und zahllose Menschen seither inspiriert hat. Aber gerade weil sie so im Einklang mit der Art des ersten Films ist, werden sich hiermit kaum neue Fans finden lassen. Das macht den Film nicht weniger eindrucksvoll, doch für ein breites Publikum bleibt er damit (zu) schwer zugänglich.


Fazit:
Wer glaubt zu wissen, was einen in der so lange angekündigten Fortsetzung des Genreklassikers erwartet, wird gleich in den ersten Minuten eine erste Überraschung erleben. Es wird nicht die letzte bleiben. Denis Villeneuve verknüpft sein Werk auf so vielen Ebenen nahtlos mit dem ersten Film, dass es rückblickend schwerfällt, sie als eigenständige Teile anzusehen. Das Aussehen ist ebenso wie die Umsetzung fantastisch und stimmig. Die Fortsetzung fängt die Atmosphäre und die schiere Essenz von Blade Runner auf perfekte Art und Weise ein, entwickelt gleichzeitig das Universum weiter, anstatt die vorangegangenen Aussagen und Überlegungen schlicht zu wiederholen. Im Kern steht die Frage, was uns menschlich macht – das Wissen, dass wir geboren und nicht zu einem Zweck erschaffen wurden? Ist das Leben dabei weniger wert, wenn man den Zweck selbst bestimmt, oder er einem aufgezwungen wird?
Blade Runner 2049 ist wie Scotts Vorgänger ein in allen Belangen atemberaubend gemachter, mit Bedacht und nicht unbedingt spannend erzählter Science Fiction-Film, der existenzielle Fragen aufwirft und das Publikum zwingt, sich selbst Gedanken zu machen. Dafür und für die künstlerische Umsetzung kann man ihn nur bewundern. Aber wie zuvor ist es kein Film, der anzusehen Spaß macht. Aber vielleicht muss er das bei diesem Thema auch nicht.