Alias – Die Agentin: "Tödliche Wahrheit" (Pilotfilm) [2001]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Dominik Starck  |   Hinzugefügt am 23. Februar 2003
Genre: Action

Originaltitel: Alias: Truth To Be Told
Laufzeit: ca. 60 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2001
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: J. J. Abrams
Musik: J. J. Abrams, Michael Giacchino, Sinéad O'Connor
Darsteller: Jennifer Garner, Ron Rifkin, Michael Vartan, Bradley Cooper, Merrin Dungey, Carl Lumbly, Kevin Weisman, Victor Garber


Kurzinhalt:
Ihr Name ist Sydney Bristow (Jennifer Garner) und ihr Leben als brave Studentin nicht viel mehr als eine Fassade. Ihr Nebenjob bei der Credit Dauphine Bank ist ebenfalls nur Schein, denn dahinter verbirgt sich SD-6, eine streng geheime Unterorganisation der Central Intelligence Agency. Vor fast sieben Jahren, als Sydney gerade mit der Uni begann, wurde sie angeworben, weil sie einem bestimmten Persönlichkeitsprofil entsprach und tatsächlich entpuppte sie sich als Naturtalent und stieg schnell zu einer Top-Agentin auf.
Als ihr Freund Danny (Edward Atterton) ihr einen Heiratsantrag macht, macht Syd jedoch den fatalen Fehler ihm von ihrer geheimen Identität zu erzählen und als sie kurz darauf von einer Aufklärungsmission zurückkommt, ist Danny tot, hingerichtet durch SD-6.
Trotz ihrer Wut kann Sydney nichts unternehmen, denn sie war es, die die Regeln der Organisation gebrochen hatte und man lässt von Seiten ihres Vorgesetzten Sloane (Ron Rifkin) keinen Zweifel daran aufkommen, dass – falls sie sich zu einem Sicherheitsrisiko entwickeln würde – man auch dafür eine Lösung finden würde.
Nachdem sie drei Monate nach Dannys Tod noch immer den Dienst verweigert, obwohl sie einen neuen Auftrag erhielt, setzt SD-6 Killer auf sie an, die das "Problem" bereinigen sollen. Ausgerechnet ihr Vater Jack (Victor Garber), von dem sie sich nach dem Tod ihrer Mutter stark entfremdet hat, rettet sie und offenbart ihr, dass er ebenfalls für SD-6 arbeitet und dass SD-6 in Wahrheit ein Feind von Amerika und der freien demokratischen Welt ist, die Syd eigentlich zu schützen glaubte.
Nach dieser bitteren Erkenntnis sucht Sydney den Weg zur echten CIA: als Doppelagentin mit dem Ziel, SD-6 auszuschalten und den Mord an ihrem Verlobten zu rächen.

 
Kritik:
Glaubt man den Erzählungen, stammte die Idee zu Alias aus einer Drehbuchbesprechung zur Serie Felicity [1998-2002], bei der J. J. Abrams (eigentlich Jeffrey Abrams) als Produzent tätig war. Doch Felicity vom CIA anwerben zu lassen, erschien wohl niemandem eine gute oder passende Idee, so dass Abrams (der auch das Skript zu Armageddon – Das jüngste Gericht [1998] schrieb) gleich eine eigene Serie aus dem Boden stampfte, die sich um eine weibliche Agentin im internationalen Einsatz dreht.

Actionheldinnen haben Konjunktur. Das ist dem TV-Zuschauer ebenso wie der Branche spätestens seit dem überwältigenden Erfolg der mittlerweile eingestellten Fantasy-Serie Xena [1995-2001] klar geworden. Nach dem Motto "Starke Frauen braucht der Bildschirm" schossen Serien über unabhängige und starke, moderne Frauen, die dennoch eine weibliche Note haben, aller Genres aus dem Boden. Sei es Buffy – Im Bann der Dämonen [seit 1997], Felicity, Ally McBeal [1997-2002], die bereits erwähnte Amazone Xena oder Comedy wie Sex and the City [seit 1998]. Auch auf der Leinwand traten mehr und mehr starke Ladys wie Tomb Raiders [2001] Lara Croft auf.

Alias trifft damit den Nerv der Zeit, bietet den weiblichen Zuschauern eine vorbildlich überlegene, selbständige und gleichermaßen kluge wie attraktive Heldin, und für die männlichen Zuschauer eine Menge Action und nicht zu leugnende "optische Qualitäten". Dabei ist Alias keineswegs neu oder auch nur mit einer originellen Prämisse ausgestattet. Besonders mit einer anderen Agentin muss sich Sydney vergleichen lassen: Nikita.
Basierend auf dem gleichnamigen französischen Luc Besson-Actionthriller von 1990 (der als Codename – Nina [1993] mit Bridget Fonda in der Hauptrolle ein amerikanisches Remake bekam) erzählte die Serie Nikita [1997-2001] die Geschichte der titelgebenden jungen Frau, die fälschlicherweise des Mordes für schuldig befunden wurde und daraufhin eine zweite Chance im Dienste einer geheimen Anti-Terroreinheit namens Section 1 erhält. Dabei geht diese Organisation oftmals genauso rücksichtslos vor wie der Feind, den sie bekämpft, was Nikita oft genug in einen moralischen Konflikt bringt. Auch die unterschwellige Liebe zu ihrem Kollegen Michael sorgt für ordentlich Zündstoff und Verwicklungen, denn Beziehungen unter Agenten sind in der Section verboten und Michael selbst ein schwer einzuschätzender Typ, dessen wahren Gefühle und Motive praktisch nie zum Vorschein kommen.
Genau wie Nikita ist Sydney taff und trotzdem nicht weniger weiblich, arbeitet für eine sinistre Organisation und dass sie sich früher oder später sicherlich in ihren CIA-Verbindungsmann Michael verlieben wird, ist bereits im Pilotfilm absehbar (wenn auch diesbezügliche Andeutungen noch ausbleiben). Dass dieser Charakter auch Michael heißt, führt auch nicht gerade dazu, die beiden Serien voneinander zu trennen, und Sydneys Boss Sloane könnte glatt der Bruder von Operations, dem Sections-Leiter aus Nikita sein.
Auch darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer Übereinstimmungen, wobei es besonders fragwürdig ist, weshalb man diesen Pilotfilm genau wie den von Nikita mit einem Anruf der Auftraggeber für die Agentin enden lässt, dass Syd zur selben Zeit rekrutiert wurde wie Nikita und der "Ausbildungs"-Zusammenschnitt praktisch eine 1:1-Kopie ist. Auch kommt Sydney wie einst Nikita in ihrem Pilotfilm mit der "Ich suche die Toilette."-Ausrede daher, als man sie in einer Sicherheitszone erwischt.
Spätestens hier liegt jedoch der Schluss nahe, dass der Verweis Absicht ist, denn auch ansonsten ist der Pilot von Alias voller Referenzen und Zitate aus anderen Klassikern des Genres.
Der Folterknecht, der sich an Sydneys Backenzahn zu schaffen macht (recht harte Szenen, auch wenn alles nur angedeutet wird) weckt ebenso Erinnerungen an Der Marathon Mann [1976] wie die rot gefärbten Haare bei Sydneys Alleingang – eine offensichtliche Anspielung auf den in den USA ebenfalls sehr erfolgreichen deutschen Film Lola rennt [1998]. Und nicht zuletzt SD-6-Tüftler Flinkman erinnert an einen gewissen "Q" aus den Abenteuern eines berühmten britischen Geheimagenten, wenn er Sydney für ihre aktuelle Mission mit verschiedenen getarnten Gadgets ausstattet.

Solche Anspielungen und der offensichtliche, dabei aber augenzwinkernde Raubzug bei den großen Vorbildern des Genres, sind es dann auch, die über die eher schwache Handlung hinwegtrösten.
Dass Syds Freund Danny dran glauben muss, nachdem sie ihm von ihrer Geheim-Identität erzählt hat, weiß jeder, der schon einmal einen Agentenfilm gesehen hat.
Auch die beiden (zusammenhängenden) Missionen, die Syd in diesem Pilot bestreitet und bei denen es um einen gefährlichen Apparat geht, sind nichts weiter als ein typischer MacGuffin; ein Objekt, um das sich scheinbar alles dreht, welches aber keinen anderen Zweck erfüllt, als dass es eine Reihe von Entwicklungen auslöst. In diesem Fall sorgt der Gegenstand zunächst dafür, dass Syd abwesend ist, als man ihren Verlobten hinrichtet und später bietet er ihr einen Vorwand wieder bei SD-6 rehabilitiert zu werden.

Ein weiterer großer Pluspunkt liegt auf jeden Fall in der frischen und stellenweise wirklich originellen Umsetzung des Pilots. Lob gebührt hierbei vor allem dem Serien-Erfinder J. J. Abrams, der nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern den Pilotfilm auch gleich selbst inszenierte. Dabei gelang ihm in Zusammenarbeit mit Cutter Stan Salfs ein recht außergewöhnliches Ergebnis, welches mit guten Kameraperspektiven, schnellen und gelungenen Schnitten und atmosphärischer Ausleuchtung aufwartet. Besonders in Hinblick auf Abrams' Mangel an Erfahrung auf dem Gebiet der Regie (er hatte diesen Job zuvor nur bei Felicitiy übernommen) ist das Ergebnis sehr gut geraten.
Die Verquickung der oft zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin- und herwechselnden Geschichte ist nie verwirrend, obwohl man hier endlich einmal wieder den Mut aufbrachte, den Zuschauer nicht ständig mit Orts- und Zeitangaben in Form von Untertiteln zu bombardieren. Seit Akte X dieses Element 1993 auf den Bildschirm holte, wurde es zur Unterstreichung eines dokumentarischen Touchs, beziehungsweise um dem Zuschauer das Mitdenken abzunehmen, leider viel zu oft von anderen Produktionen kopiert.
Auch die rasant geschnittenen, aufregenden Actionszenen sind immer übersichtlich gehalten und von immerhin so guter Qualität, dass man einige Logikfehler verzeihen mag (zumal diese ja leider vor allem bei Actionszenen keine Seltenheit sind – egal ob bei einer Serie oder in Filmen). Ansonsten könnte man natürlich unter anderem bemängeln, dass Jack Bristow mit hoher Geschwindigkeit (einhändig!) rückwärts eine gerade Linie durch ein Parkhaus fährt, dabei noch zielsicher ein bewegliches Ziel erschießt und ohne einen Blick in den Rückspiegel den Wagen in eine Parklücke lenkt. Auch dass die asiatischen Soldaten bei Sydneys zweitem Einsatz gerade dann ihr Dauerfeuer einstellen, als Syd eine Gasleitung kappt ist eher unwahrscheinlich. Das beiläufige Zerschießen einer gepanzerten Tür fällt da ebenfalls nicht weiter ins Gewicht.

Neben Regie, Drehbuch und seiner Funktion als Ausführender Produzent hat Abrams außerdem beim Soundtrack Hand angelegt, wobei ihm Michael Giacchino unter die Arme griff. Der mal eher klassische, dann aber wieder sehr moderne Score, und die ihn ergänzenden Songs, bieten eine gelungene Soundkulisse, die sich lediglich hin und wieder etwas zu sehr in den Vordergrund spielt. Da es sich dabei jedoch meist um dialogfreie Szenen handelt, kann man dies verzeihen.

Bei der Auswahl der Darsteller bewies man ebenfalls ein glückliches Händchen, auch wenn hier besonders von Michael Vartan als smartem CIA-Agenten nur wenig zu sehen war.
Speziell Hauptdarstellerin Jennifer Garner ist als Sydney eine Wucht. Sowohl in den Actionszenen (bei denen sie die meisten Stunts sogar selbst übernahm), als auch in emotionalen Momenten (wie dem Auffinden von Dannys Leiche) ist sie jederzeit überzeugend und so vermag es nur wenig zu verwundern, dass sie für ihre Leistungen bereits mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde. In Kürze läuft zudem ihr neuer Film Daredevil [2003] an, in dem sie an der Seite von Ben Affleck in der Titelrolle als Electra die Sai schwingt.
Im Gegensatz zu Peta Wilsons (ebenfalls meisterhaft gespielter) Nikita, ist Sydney jedoch keine im Grunde unbescholtene Seele, die sich zu vielen Fights erst zwingen muss und jeden Schuss moralisch hinterfragt. Sie ist eine knallharte Agentin, wenn es um ihren Job geht, und in ihrem Privatleben "einfach nur Sydney, die Frau". Und dazu noch eine, die sowohl im Kampfoverall, als auch im Abendkleid stets eine gute Figur macht.
Neben Garner kommen im Pilotfilm vor allem Ron Rifkin als düsterer SD-6-Chef Sloane und Victor Garber als Jack Bristow zum Einsatz. Zwar erscheint es etwas viel auf einmal, dass sich Syds Vater erst als SD-6-Agent outet und dann im Anschluss auch gleich noch als zweiter CIA-Doppelagent, doch spielt Garber die Figur vieldeutig genug, um Spekulationen über seine Motive zuzulassen. Garber hatte zuvor u.a. eine Gastrolle in Outer Limits - Die unbekannte Dimension [1995-2002] und Kinorollen in Filmen wie Der Club der Teufelinnen [1996] und jüngst in Natürlich blond! [2001].
Ron Rifkin hingegen spielte Rollen in Thrillern wie JFK - Tatort Dallas [1991], L.A. Confidential [1997], Verhandlungssache [1998] und der Tom Clancy-Verfilmung Der Anschlag [2002].
Sydneys SD-6-Partner Marcus Dixon wird von Carl Lumbly sympathisch Profil verliehen, den Fantasy-Fans vermutlich aus seiner kurzlebigen Serie M.A.N.T.I.S. [1994] kennen, in der er einen querschnittsgelähmten Superhelden spielte, der mittels eines Exoskeletts laufen kann.
Weniger bekannt und im Pilotfilm noch eher im Hintergrund sind Syds Freunde Francine Calfo und der heimlich in sie verliebte Journalist Will Tippin beziehungsweise deren Darsteller Merrin Dungey und Bradley Cooper.
Kevin Weismans kurzer Auftritt als Tüftler Marshall Flinkman ist zwar recht witzig, doch bleibt bei ihm (ebenso wie den beiden zuletzt genannten) abzuwarten, ob seine Figur sich im Laufe der Serie über einen reinen Sidekick hinaus entwickeln kann. Weisman ist ein häufiger Seriengaststar mit Auftritten bei J.A.G. - Im Auftrag der Ehre [seit 1995], Roswell [1999-2002], Buffy - Im Bann der Dämonen oder Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI [1993-2002], aber auch in Filmen wie Nur noch 60 Sekunden [2000] und The Rock - Fels der Entscheidung [1996].

Wie im Falle der ebenfalls 2001 gestarteten Fantasy-Serie Smallville hat der Pilotfilm "Tödliche Wahrheit" der in Los Angeles produzierten Serie eine Laufzeit von 60 Minuten, doch im Gegensatz zum neuesten Beitrag des Themas "Superhelden-Serien" wurde er dankenswerterweise nicht nach einmaliger Ausstrahlung auf das "übliche" 45-Minuten-Serienformat herunter gekürzt. Nachdem es lange Zeit meist Pilotfilme in doppelter Episodenlänge gab (also knapp 90 Minuten), ging der Trend wieder hin zu "einfachen" Episoden (45 Minuten), wohingegen das ungewöhnliche Format von 60 Minuten noch recht neu ist.

Obwohl Alias sich also im Endeffekt nur als eine leicht modifizierte Neuauflage von Nikita präsentiert, deren Pilotfilm-Drehbuch etwas dünnhäutig ist, lassen die Darsteller und das kreative beziehungsweise ausführende Team hinter den Kulissen für die Zukunft noch einige Stunden guter TV-Unterhaltung erwarten. Alleine Gaststars wie Gina Torres, Kult-Regisseur Quentin Tarantino und Ex-James Bond-Darsteller Roger Moore, die der Serie noch während der ersten Staffel ihre Aufwartung machen, verleiten sicher manchen Zuschauer zum Einschalten, zumal die späteren Folgen stark mit einem roten Faden verbunden sind (ohne den heute wohl kaum noch eine Serie auskommt).

Der Erfolg scheint J. J. Abrams ohnehin recht zu geben, denn die Quoten sind auch in der aktuell in den USA laufenden zweiten Staffel hervorragend und neben dem Golden Globe für Jennifer Garner gab es bereits zwei Emmys und den People's Choice Award 2002 für die beste neue Dramaserie.


Fazit:
Eine talentierte und sexy Powerfrau in wenig innovativer, dafür aber schnell geschnittener, handwerklich sauber inszenierter und augenzwinkernd präsentierter Geschichte.
Konzeptentwickler J. J. Abrams und Shootingstar Jennifer Garner lassen für die Zukunft noch auf einiges hoffen, auch wenn der Pilotfilm und die ersten Folgen noch sehr stark an Nikita erinnern (womit Alias aber andererseits auch als legitimer Nikita-Nachfolger durchgehen könnte).