Peter James: "Stirb ewig" [2005]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 05. Juli 2006
Autor: Peter JamesGenre: Thriller
Originaltitel: Dead Simple
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 456 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 2005
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2006
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-330-43419-5
Kurzinhalt:
Verglichen mit den Scherzen, die sich Michael Harrison mit seinen Freunden zu deren eigenen Junggesellenabschieden erlaubte, ist die Idee seiner Freunde Josh, Robbo, Pete und Luke prinzipiell harmlos: Sie sperren nach einer Tour durch die Pubs den klaustrophobischen Michael in einen Sarg und verbuddeln ihn auf einem abgelegenen Anwesen unter ein paar Zentimeter Erde. Mit im Sarg sind eine Flasche Whiskey, ein Walkie-Talkie und ein Männermagazin. Aber als sich die vier aufmachen, eine weitere Kneipe zu besuchen, verunglückt ihr Van. Das letzte, was Michael von ihnen hört, sind ihre Schreie angesichts des entgegen kommenden Fahrzeugs.
Als Michaels Verlobte Ashley sich bei der Polizei meldet und zusammen mit seinem Geschäftspartner Mark Warren die Befürchtung äußert, dass Michael Opfer eines Streichs seiner verunglückten Freunde geworden sei und womöglich eingeschlossen ist, schenkt man ihnen keinen Glauben. Aber auch Tage später ist von dem zukünftigen Bräutigam nichts zu sehen. Über seinen Kollegen Glenn Branson wird Detective Superintendent Roy Grace auf den Fall aufmerksam und je mehr er ermittelt, umso deutlicher wird, dass Michaels Zeit knapp wird und er aus eigener Kraft kaum entkommen kann – wo immer er sich befindet.
Doch die Ermittlungen fördern auch zu Tage, dass weder Ashley noch Mark ehrlich bei den Befragungen antworten, wobei Mark als Trauzeuge z.B. behauptet, nichts über den Junggesellenabend gewusst zu haben – doch er spielt nur ein gefährliches Spiel, um seinen eigenen Vorteil zu erlangen, und Grace muss auf unkonventionelle Methoden zurückgreifen, wenn er Harrison noch lebend finden möchte ...
Kritik:
Der inzwischen 56-jährige Peter James entdeckte schon sehr früh, seine Leidenschaft für das geschriebene Wort und hat seither viele Preise gewonnen. Seine Tätigkeiten führten ihn von Großbritannien in die USA, wo er als Produzent und Autor im Filmgeschäft tätig war, und von dort wieder zurück in seine Heimat. Über ein Dutzend Romane veröffentlichte der Autonarr bislang, wobei ihm Stirb ewig sogar den deutschen Krimi-Blitz als bester Krimiautor des Jahres einbrachte.
Dass Dead Simple, wie der Roman im Original bedeutend treffender betitelt ist, ein so großer Erfolg wurde, ist angesichts des ebenso simplen wie grauenvollen Inhalts durchaus verständlich, und selbst diejenigen, die nicht unter Klaustrophobie leiden, dürften angesichts jener Vorstellung, lebendig begraben zu sein, Angstzustände verspüren. Doch in diesem Auftakt einer neuen Krimireihe um den britischen Detective Superintendent (DSI) Roy Grace gelingt James weit mehr als eine gute Idee – nur leider kann er dieses Niveau nicht ganz bis zum Schluss durchhalten.
Die Ausgangslage ist dabei so beklemmend wie einfach; es ist vielmehr die Art und Weise, wie James das Eingeschlossensein im Sarg beschreibt, dem Leser ein Gefühl dafür vermittelt, wie die Zeit für Michael Harrison still zu stehen scheint und dabei doch die beinahe schon perfide Ironie aufrecht erhält, dass dieser Figur etwas zustößt, was sie anderen in einem bösartigen Scherz ebenfalls angetan hätte.
Dass die eigentliche Hauptfigur Roy Grace im ersten Drittel des Romans mit dem Fall selbst kaum etwas zu tun hat, ist äußerst ungewöhnlich, aber insofern gut gelöst, als dass man beobachten darf, wie Grace das Verschwinden immer mehr zu etwas Persönlichem macht, ein Kreuzzug, den er deswegen ausfechten muss, weil er ihn womöglich seiner Frau ein Stück näher bringt. Die Ermittlungsmethoden sind dabei – von den Besuchen bei angeblich medial begabten Personen abgesehen – sehr klassisch und so entwickelt sich die Story aus den jeweiligen Situationen heraus immer weiter, wobei neue Wendungen sowohl das Bild des Lesers von einigen Figuren wandelt, als auch die Nachforschungen der Polizei in neue Richtungen lenkt.
Bemerkenswert ist, abgesehen von der Furcht einflößend realistischen Schilderung von Harrisons Situation, der Detailreichtum, mit dem James den einzelnen Szenen Leben einhaucht. Es werden eingerahmte Bilder beschrieben, Wände, Teppichböden, kleinste Details, die nicht unbedingt zur Lösung beitragen, aber ein stimmiges Gesamtbild des jeweiligen Schauplatzes erzeugen.
Umso tragischer ist es, dass man im Laufe des Romans immer weniger Momente aus Michaels Sicht erzählt bekommt und eine Wendung zum letzten Drittel zu gekünstelt und zu erzwungen scheint. Nichtsdestotrotz erzählt Peter James überzeugend und flott, doch nimmt jener Storytwist die Bedrohlichkeit aus der Atmosphäre.
Wie der Autor mehrmals betont, war ihm daran gelegen, glaubhafte Figuren zu etablieren, die mit ihren täglichen Problemen zu kämpfen haben und dennoch versuchen, ihre Arbeit so gut wie möglich zu bewältigen. In der Tat ist ihm das sehr gut gelungen und James präsentiert bereits mit Roy Grace einen Hauptcharakter, der nicht im hollywoodschen Sinne als gebrochene Figur geschildert wird, so dass man sich fragen müsste, wie Vorgesetzte ihn in dem Zustand überhaupt auf die Straße lassen können. Stattdessen nagt an ihm immer noch der Zahn der Ungewissheit um das Verschwinden seiner Frau vor neun Jahren, obgleich er sein Leben nach wie vor weiterlebt und seine Arbeit so gut erledigt, wie es für ihn möglich ist.
Zu ihm baut man als Leser sehr schnell eine Beziehung auf, ebenso zu seinen Kollegen, allen voran Glenn Branson, der in etwa das Leben verkörpert, das Grace gehabt hätte, wäre sein Frau nicht spurlos verschwunden. Auch die übrigen Figuren bekommen einen detaillierten Hintergrund zugeschrieben, der zwar bisweilen klischeehaft anmutet, aber immer mit Ecken und Kanten versehen ist und gerade deshalb glaubhaft wirkt. Zwar entwickelt sich kaum eine Figur im Laufe der 450 Seiten wirklich weiter, doch war dies auch nicht die Absicht des Autors, der sehr gute Arbeit dabei leistet, seine Figuren in der neuen Reihe zu etablieren. Wie er außerdem die Fassaden der Drahtzieher hinter dem Geschehen entblättert, ist durchaus überraschend, wenn auch nicht immer ganz stimmig.
Dadurch, dass James die Bedrohung für Michael Harrison immer spürbarer werden lässt, ihm die Zeit durch die Finger rinnt und man als Leser wie das Opfer selbst mitunter kurz davor steht, anderen Figuren zu ihrem eigenen wie zu Michaels Wohl in den Hintern zu treten, um sie in die richtige Richtung zu stoßen, zieht sich die Spannungsschraube immer weiter an.
Zwar lässt dies im letzten Drittel etwas nach, wenn sich die Umgebung der Erzählung wandelt, nimmt aber zum Finale erneut Fahrt auf, das seit langem wieder einmal in einem Thriller realistisch aber actionreich geraten ist und sich in der Tat aus der Story ergibt, ohne aufgesetzt zu wirken. So sitzt man zwar auf den letzten Seiten nicht am Rand des Sessels, wie stellenweise im Roman, doch verfliegen die Seiten in einem atemberaubenden Tempo.
Sprachlich dürfte Peter James' Roman im Englischen erfahrene Leser nicht vor Probleme stellen, auch wenn die britischen Wurzeln des Autors erkennbar sind und die Wortwahl mitunter etwas spezifischer und weniger allgemein-gültig wie im Amerikanischen geraten ist. Dank der exzellenten Beschreibungen kann man sich allerdings auch unbekannte Wörter leicht aus dem Zusammenhang erschließen.
Jene im Grunde genommen einfache Formel ist es auch, die Dead Simple zu einem sehr leicht zugänglichen und doch rasant zu lesenden Thrillerroman macht. Die simple Ausgangslage wird auf interessante und verständliche Art und Weise weitergesponnen. Dank der kurzen Kapitel eignet sich das Buch auch zum Lesen auf Kurzstrecken und die glaubhaften Figuren bringen die lebensnahen Dialoge ebenso gekonnt zum Ausdruck, wie der Autor mit seiner einfallsreichen Beschreibung die Umgebungen mit Farbe versieht.
Bleibt inhaltlich kaum eine Frage am Schluss noch offen, darf man gespannt sein, ob Detective Superintendent Roy Grace in seinem zweiten Roman, Stirb schön [2006], Informationen über den Verbleib seiner verschwundenen Frau bekommt.
Gespannt sind die Leser zweifellos – erscheinen wird das Buch hierzulande im Herbst.
Fazit:
Es ist in der Tat eine Horrorvision, die Autor Peter James in seinem Roman zeichnet und die Art und Weise, wie er jene klaustrophobische Situation beschreibt, wie er mit steigendem Grundwasser und anderen Einfällen die Hoffnungslosigkeit immer weiter in die Höhe treibt, ist bemerkenswert und packend. Schade nur, dass er diesen Zustand nicht bis zum Ende des Romans halten kann, sondern stattdessen einen Twist zu viel einbaut, der gerade im Rückblick äußerst unglaubwürdig wirkt.
Allerdings ist es James gutzuschreiben, dass es ihm gelingt, auch die unwahrscheinlichsten und unglaubwürdigsten Wendungen so zu präsentieren, dass man als Leser in dem Moment unweigerlich zustimmt und dem Verlauf des Romans folgt. Das liegt zum einen am Tempo, mit dem der Autor seine Leser über die Seiten hetzt, aber ebenso an dem enormen Detailreichtum, der die Bilder im Kopf des Lesers buchstäblich mit Leben füllt. Die glaubwürdigen, sympathischen und nachvollziehbaren Charaktere tun ihr übriges, um das stimmige Gesamtbild zu komplettieren. Die Höhepunkte von Stirb ewig liegen für mich allerdings in den Dialogen, die nicht nur grundsätzlich sehr natürlich und leicht verständlich geraten sind, sondern mit denen James jeder Figur eine eigene Ausdrucksweise, eine eigene Wortwahl und sogar ein eigenes Sprechtempo verleiht, anhand dem man jeden Charakter genau zuordnen kann.
Als einer der wenigen Autoren der Populärliteratur versteht es Peter James außerdem, einen Thriller mit einem richtigen, mitreißenden Actionfinale zu versehen, das nicht gekünstelt oder zu kurz wirkt, sondern den Leser auf eine adrenalingeladene Fahrt mitnimmt, die einige wirkliche Überraschungen bietet.
Als Einstand im Universum des DSI Roy Grace ist Dead Simple wirklich gut gelungen und hätte der Roman auch am Schluss jene beängstigende Stimmung erhalten, die ihn zu Beginn definierte, wäre er noch einen Tick besser ausgefallen.