Michael Crichton: "Schwarze Nebel" [1976]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 04. September 2004
Autor: Michael Crichton

Genre: Fantasy / Horror

Originaltitel: Eaters of the Dead
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Gebunden
Länge: 149 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1976
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1994
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-517-10135-1


Kurzinhalt:
Als der Kalif von Bagdad, al-Muqtadir, seinen Botschafter Ibn Fadlan zum Königreich von Saqaliba sendet, ahnt dieser nicht, dass er nach seiner Reise über das Kaspische Meer in die Gesellschaft von zwölf Wikingern gerät, die in das Königreich von Rothgar unterwegs sind, wo Monster, die sich im Nebel verstecken, die Untertanen des dortigen Königs ermorden.
Der Anführer der Krieger, Buliwyf, muss zu seinen Verwandten in den Norden gelangen und aufgrund eines unglücklichen Umstandes wird Fadlan als der 13. Krieger auserkoren, der die fremden Nordmänner missmutig begleiten muss. Im Königreich Rothgar angekommen wird er nicht nur mit der fremdartigen, zunächst primitiv erscheinenden Kultur konfrontiert, sondern er muss in Skandinavien auch feststellen, dass die übernatürlich erscheinenden Monster aus dem Nebel erschreckende Realität sind. Es beginnt ein verzweifelter Kampf der 13 Krieger um ihr Überleben und das des Königreichs Rothgar.


Kritik:
Der am 23. Oktober 1942 geborene Autor und Filmemacher Michael Crichton hat mit seinen Geschichten nicht nur Millionen Menschen unterhalten und Filmvorlagen geliefert, die sich Millionen Leute angeschaut haben – er hat Literatur und Film zu einem neuen Genre verholfen, das es vor ihm so nicht gegeben hat: Den Techno-Thriller.
Sein jüngstes Buch, Beute [2002] macht dabei ebensowenig eine Ausnahme, wie sein vielleicht berühmtestes Werk Jurassic Park [1990] (hierzulande unter dem Titel Dino Park veröffentlicht), dessen Verfilmung 1993 unter der Regie von Steven Spielberg ins Kino kam und beinahe eine Milliarde Dollar weltweit einspielte.
Nachdem er an der "Harvard Medical School" promovierte, verschrieb er sich (wörtlich) der Literatur und veröffentlichte 1969 Andromeda. Er war der Kopf der Software-Firma "Film Track", woher sein Interesse an Computern rührt. Der Film Westworld [1973], bei dem er neben dem Drehbuch auch für die Regie verantwortlich war, war der erste, der computergenerierte Effekte verwendete. 1994 verarbeitete er Erfahrungen aus seinem Medizinstudium in der weltweit bekannten und meistgesehenen Ärzteserie Emergency Room, und erst 2003 wurde ein neu entdecktes Saurierskelett nach ihm benannt: Crichtonsaurus Bohlini.
Weltweit hat er inzwischen über 100 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft, wobei man erwähnen muss, dass er nicht nur ein Autor der Populärliteratur ist, sondern auch einige Sachbücher geschrieben hat. Nur zwei seiner bisherigen Romane wurden noch nicht verfilmt, Airframe und Beute, wobei sich gerade bei letzterem Hollywood zweifellos nicht mehr lange wird bitten lassen.

Es dauerte lange Zeit bis sein sechstes Buch, Schwarze Nebel – bei uns außerdem bekannt unter den Titeln Der 13. Krieger und Die ihre Toten essen – verfilmt wurde; erst in den 1990ern wagte sich Regisseur John McTiernan an den bereits 1976 veröffentlichten Stoff. Doch seine Fassung wurde vom Testpublikum als "grauenvoll" erachtet und auf Eis gelegt. Nachdem Michael Crichton selbst Szenen nachdrehte, wurde der Film dann doch noch ins Kino gebracht – mit vernichtendem Ergebnis. Aber obwohl sich Eaters of the Dead, so der Originaltitel, wörtlich nicht verfilmen lässt, fängt der Film das Flair des Buches gekonnt ein und erspart dem Zuschauer viele Brutalitäten, auch wenn er alles andere als zimperlich ist.
Dabei ist Schwarze Nebel schon als Buch ein richtiges Erlebnis, weniger in Bezug auf den Inhalt, als auf den eigentlichen Hintergrund. In seinem Vorwort gibt der Autor an, dass es sich bei dem Buch ansich nur um eine Neuübersetzung eines Manuskripts von Ibn Fadlan handelt, ein Vertreter des Kalifs von Bagdad, der anno 992 von seinem Herrscher losgeschickt wird, den König der Bulgaren aufzusuchen. Doch nachdem ihn die Reise über die Wolga geführt hat, gerät er in die Gesellschaft von Nordmännern, die ihn (mehr oder weniger gezwungen) nach Skandinavien mitnehmen, als dreizehnter im Bunde von zwölf Männern. Dort muss die Kriegertruppe um den Anführer Buliwyf dem Königreich Rothgar zu Hilfe kommen, das von grauenhaften Wesen aus dem Nebel dezimiert wird. All das, so Crichton in der Einleitung, sei Fakt und belegt, dafür sprechen auch die zahlreichen Fußnoten innerhalb der Erzählung, ihr eigenwilliger Erzählstil aus der Ich-Perspektive und die holprigen Formulierungen, die sich ständig wiederholen, aber doch eine intensive Atmosphäre aufkommen lassen.
Als Eaters of the Dead von 1992 an in den USA neu aufgelegt wurde, beinhaltete das Buch ein neu verfasstes Nachwort des Autors, in dem er die historischen Fakten richtig stellt: Ibn Fadlan gab es wirklich, er brach um 992 zu einer Reise nach Bulgarien auf und verfasste ein Manuskript – doch was nach den ersten drei Kapiteln geschieht, ist reine Fiktion.
1974 erzählte ein Freund von Crichton, der am College lehrte, von einem Kurs über Erzählungen, die zwar wichtig für das historische Bild der heutigen Zivilisation seien, aber infolge ihres langweiligen Inhalts kaum mehr freiwillig gelesen würden. Daraufhin wollte Crichton dem Tutor das Gegenteil beweisen und begann noch in derselben Nacht mit den Nachforschungen. So beruht Eaters of the Dead zwar zunächst auf dem realen Manuskript, ist aber letztendlich nichts weiter als eine Nacherzählung der Beowulf-Sage, deren ursprünglicher Autor bis heute unbekannt ist. Davon zeugen auch die Namen, die der Autor den Figuren gab: Aus Beowulf wurde Buliwyf, aus Grendel wurde Wendol und selbst der Inhalt ist prinzipiell derselbe. Die Fußnoten, die Crichton in seinen Roman eingebaut hat, sind ebenso erfunden, der Autor einer externen Quelle wird beispielsweise mit "Fraus Dolus" angegeben – die lateinischen Worte für "Betrug". Wie überzeugend seine Darbietung dieser Schwindelei war, kann man an zwei Sachen erkennen: Einerseits berichtet die Universität von Oslo, wo das Originalmanuskript von Ibn Fadlan angeblich aufbewahrt wird, jährlich über Anfragen von Interessenten, dieses einsehen zu dürfen; andererseits ertappte sich Michael Crichton dabei, als er Referenzen für seine Bibliografie zusammenstellte, wie er ein Buch, das in einer Fußnote in Schwarze Nebel erwähnt ist, in einer Bibliothek stundenlang suchte, bis ihm aufging, dass er es damals ja selbst erdacht hatte. Da er nach einigen Jahren selbst nicht mehr wusste, welche Quellen nun echt und welche fiktiv sind, entschloss sich Crichton, das Buch ab 1992 um einen Anhang zu ergänzen, in dem er die Hintergründe klarstellt. Weshalb gerade dieser immens wichtige Appendix in der erst zwei Jahre später in Deutschland erschienenen Erstauflage von Der 13. Krieger nicht enthalten ist, bleibt wohl ein Geheimnis des Verlags.

Betrachtet man Schwarze Nebel unter dem Gesichtspunkt, dass der Roman eine fiktive Nacherzählung der Beowulf-Sage ist, die Michael Crichton stilistisch an die realen Kapitel von Ibn Fadlans Manuskript angepasst hat, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild des Buches, als die augenscheinlich spannungsarme Schilderung einer ansich sehr simplen Geschichte. Die Täuschung ist ihm nämlich wirklich hervorragend gelungen.
So ist der Roman sprachlich zweifellos anstrengend zu lesen, zum einen weil er eben in der Ich-Form verfasst wurde, andererseits wiederholen sich nicht nur Formulierungen ständig, auch die Reisebeschreibung machen einen sehr hölzernen und umständlichen Eindruck. Interessant sind hingegen die "objektiven" Beobachtungen eines sich als 'Höchstzivilisierter' wähnenden Arabers, der auf die vermeintlich brutalen und primitiv-einfachen Nordmänner trifft. Historisch ist davon inzwischen Einiges belegt, und auch dass die Kultur der Wikinger viel differenzierter war, als man das früher angenommen hat, beschreibt Crichton durchaus fesselnd. Ein genialer kleiner Twist gelingt dem Autor zudem mit der Erklärung der Nebel-Monster, deren Ursprung hier nicht verraten sein soll, aber (so paradox das klingen mag) durchaus plausibel ist, und zu Spekulationen geradezu verleitet. Die zahlreichen Schlachtbeschreibungen strotzen zwar nur so vor Grausamkeiten, allerdings wird der kulturelle Hintergrund der Wikinger dabei nie vernachlässigt. Dennoch lesen sich gerade die Kampfpassagen sehr schwierig, da die Dynamik zwangsläufig auf der Strecke bleibt – hier hat der Film im direkten Vergleich zweifelsohne seine Vorzüge. Was noch bleibt, sind die Dialoge, die aber aufgrund der Tatsache, dass Fadlan die Sprache der Wikinger nicht beherrscht, kaum richtig zustande kommen, sondern in einem stilistisch angemessenen, aber trockenen Übersetzungswirrwarr durch den erfahrenen Wikinger Herger gegenüber Fadlan enden. Spannend wird die Erzählung leider erst im letzten Drittel, obgleich sich der Anfang als bedeutend einfacher erweist. Dies mag in der Erzählform und des Inhalts begründet sein, schmälert das Lesevergnügen aber merklich.

Die Entwicklung der Figuren ist bisweilen, trotz des tagebuchartigen Aufbaus, sehr subtil eingeflochten und erfolgt sowohl bei den Nordmännern, als auch bei Fadlan selbst, der sich am Ende der Erzählung als Teil der Kriegergruppe fühlt und die anscheinend barbarische Kultur der skandinavischen Völker zu schätzen gelernt hat. Hier ist es Crichton trotz der wenigen Dialoge gelungen, anhand der Handlungen und des kulturellen Hintergrund der Personen, allen Beteiligten im Buch Tiefe zu verleihen – etwas, das man schon aufgrund der Länge des Romans nicht unbedingt erwartet hätte, denn obwohl Schwarze Nebel als Taschenbuch knapp 250 Seiten misst, ist dies für einen Crichton-Roman sehr kurz.
Ebenso überzeugend sind die Landschaftsbeschreibungen, die zwar spärlich eingesetzt werden, aber immer ein klares Bild davon vermitteln, wo sich die Gruppe der 13 Krieger gerade aufhält. Dies bleibt auch beim Finale erhalten, das zuerst an einer Küste und anschließend in einer Höhle spielt.
Ermüdend sind jedoch, wie schon erwähnt, gerade in der zweiten Hälfte die Beschreibungen der Kämpfe, die situationsbedingt nach demselben Muster ablaufen. Michael Crichton kann man hier keinen Vorwurf machen, da gerade dieser Stil sehr viel zur realistischen Atmosphäre beiträgt, die das Buch vermittelt soll – dennoch tröstet das über die wiederkehrende Wortwahl beim Lesen nicht hinweg.
Das eigentliche Ende, das letztendlich so abrupt wie überraschend kommt, trägt schon eher die bekannte Handschrift des Autors, die man beim restlichen Roman ansonsten (abgesehen von den faszinierenden Hintergründen in Bezug auf die Entstehung des Buches) vergebens sucht. Stattdessen imitiert er gekonnt einen altertümlichen Schreibstil und verblüffte, ja überzeugte damit vor knapp 20 Jahren sogar Gelehrte auf der ganzen Welt, auch wenn der Roman nicht so gut aufgenommen wurde, wie der Verlag und er selbst sich das erhofft hatten.

So ist Schwarze Nebel ein sehr schwer einzuordnendes Werk, das einerseits seine Faszination aus den lebensnah und glaubhaft geschilderten Erlebnissen und Figuren zieht, andererseits aber gerade durch die Selbstbeschränkung dieses realistischen, holprigen Stils keine wirkliche Lesefreude aufkommen lässt. Insbesondere die zweite Hälfte zieht sich merklich in die Länge und bietet ein Gemetzel nach dem anderen, die den Leser aber eher unbeteiligt zurücklassen.
Inhaltlich fesseln vor allem die Beschreibungen der für den Araber fremdartig wirkenden Kultur, die viel differenzierter geschildert wird, als das 1976 üblicherweise der Fall war.
Bedenkt man zusätzlich, dass die englischsprache Ausgabe, die unter der oben angegebenen ISBN-Nummer geführt wird, ein gebundenes Buch mit insgesamt drei Michael-Crichton-Romanen ist – neben Eaters of the Dead sind in dem Band auch Congo [1980] und Sphere [1987] enthalten –, das derzeit beim größten deutschen Internet-Versandhändler Amazon.de schon für unter 15 Euro zu haben ist, kann man hier deshalb durchaus eine Kaufempfehlung aussprechen.


Fazit:
Action- und Schlachtszenen in einem Film zu sehen, ist etwas ganz anderes, als sie in einem Roman beschrieben zu bekommen; wenn dieser dann auch noch aus der Ich-Perspektive in einem Stil wie vor 1000 Jahren niedergeschrieben wurde, erhöht sich die Lesbarkeit nicht wirklich – im Gegenteil, gerade die Kampfszenen sind es, die Dynamik vermissen lassen. Das mag stilistisch korrekt sein, überraschte mich jedoch gerade insofern, als dass ich aufgrund der Erzählweise viele Passagen zweimal lesen musste, um noch "im Bilde" über die Handlung zu bleiben.
Sieht man Schwarze Nebel als reinen Unterhaltungsroman, so fehlt es vor allem an Spannung, verblüfft gleichzeitig aber mit detaillierten Beschreibungen der nordischen Kultur. Betrachtet man das Buch allerdings als das Experiment, das Autor Michael Crichton damit beabsichtigte, wird man von der akkuraten Wiedergabe des altertümlichen Stils ebenso überrascht, wie von der authentisch dargebrachten Geschichte. Ihm gelang ein komplexes Trugbild, das viele in der Realität wurzelnde Stories erblassen lässt – und schon deshalb würde ich den Roman zum einmaligen Lesen empfehlen. Hier zeigt Crichton nämlich, dass er bedeutend vielschichtiger schreiben kann, als man das von seinen sonstigen Werken gewohnt ist.
Und die Idee im Hinblick auf den Ursprung der Nebel-Monster ist schlicht brillant.