Douglas Preston & Lincoln Child: "Relic – Museum der Angst" [1995]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 01. Februar 2008
Autoren: Douglas Preston & Lincoln Child

Genre: Thriller / Action / Horror

Originaltitel: Relic
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 468 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1995
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1995
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-7653-5995-7


Kurzinhalt:
So geschmacklos dies für die Museumsleitung des Naturhistorischen Museums von New York auch sein mag, eine bessere Publicity für die kommende Großausstellung "Aberglauben" als zwei verstümmelte Leichen im Museum hätte man sich kaum wünschen können.
Doch der tragische Zwischenfall – ohne dass ein Täter identifiziert werden könnte – bleibt nicht allein. Weitere Opfer eines scheinbar Geisteskranken werden entdeckt, der seine Opfer quasi enthauptet und Teile ihres Gehirns entfernt. Dr. Frock, Abteilungsleiter und Spezialist auf dem Gebiet der Evolutionswissenschaften, sieht in ersten Fundstücken an den Tatorten allerdings andere Hinweise für einen möglichen Täter. Auch sein Protegé Margo Green, die zu den erfolgreichsten des Museums gehört, hat Zweifel an der Identität des von Polizist D'Agosta und FBI-Agenten Pendergast vermuteten Wahnsinnigen.
Es scheint vielmehr, als könnte an der Jahre alten Legende eines Museumsmonsters tatsächlich etwas Wahres sein, das nachts durch die Korridore schleicht. Und doch gibt es auch eine Verbindung mit einem Artefakt der kommenden "Aberglauben"-Ausstellung. Dieses stammt von einer gescheiterten Amazonas-Expedition vor vielen Jahren. Doch mit den Kisten damals kam noch etwas Anderes ins Museum, und mit der geplanten Eröffnung der Ausstellung kündigt sich eine Katastrophe an, von deren Unausweichlichkeit Margo und Frock die Polizei und Pendergast allerdings nicht überzeugen können ...


Kritik:
Es gibt kaum eine Kunstform, bei der der Künstler sich nicht selbst in sein Werk mit einbringt. Im Falle des Autorenduos Douglas Preston und Lincoln Child bezieht sich dies bereits bei ihrem Erstlingswerk Relic (bei Erstveröffentlichung noch The Relic genannt) auf ihren beruflichen Hintergrund. Mitte der 1980er Jahre war Child als Lektor beim Verlagshaus St. Martin's Press angestellt und ein großer Fan des "American Museum of Natural History". Er wollte ein Buch über die Geschichte des Museums verfassen und stieß bei seinen Nachforschungen auf den Angestellten Douglas Preston, der einige interessante Artikel bereits verfasst hatte. Gemeinsam veröffentlichten sie das Sachbuch Dinosaurs in the Attic [1986]. Nach der Veröffentlichung kam Preston auf seinen Kollegen und neu gewonnenen Freund zu mit der Idee eines Thrillers im Museum – Relic war geboren.
Es dauerte beinahe zehn Jahre (und einen auf der offiziellen Webseite einsehbaren, faszinierenden Reifungsprozess), ehe der zum Techno-Thriller avancierte Stoff schließlich veröffentlicht wurde. Und er schlug auf den Bestsellerlisten wie eine Bombe ein.

Die Story an sich ist dabei wie so oft bei dieser Art Roman relativ schlicht gehalten, entfaltet sich allerdings erst im Laufe des Romans, wenn die Hauptfiguren den Geschehnissen und Hintergründen der bizarren Morde auf die Schliche kommen. Ehe man das Museumsmonster allerdings zu Gesicht bekommt, vergeht viel Zeit, in der die beiden Autoren sich die Mühe machen, nicht nur die Architektur, sondern auch die (frei erfundenen) Artefakte des Museums zu schildern. Überrascht sein wird man als Leser sicherlich darüber, dass es das Museum in Wirklichkeit gar nicht gibt; weshalb sich Preston/Child dazu durchgerungen haben, ein fiktives Gebäude zu erschaffen, wird spätestens dann deutlich, wenn sich die Verantwortlichen der Museumsspitze nicht gerade mit Ruhm bekleckern. Und doch scheinen ihre Beschreibungen der Ausstellungsstücke, der Gänge und Korridore, der Büros und Foyers so lebendig, so glaubhaft und zu einem gewissen Grad auch so begeistert, dass man nicht umhin kann, sich die vielen Räume vorzustellen und die ausgestellten Artefakte ebenso mit leuchtenden Augen zu sehen, wie es die Autoren zweifelsohne getan haben.
Insofern stört es nicht, dass sich die Geschichte in der ersten Hälfte eher klischeehaft entwickelt, viele Stationen besucht, die in dem Genre eben unausweichlich scheinen und ab der Hälfte allerdings zu einem (bereits lange vorher angekündigten) Finale einlädt, das in dem Stil jeden Hollywood-Film in den Schatten stellt. Es gelingt Preston und Child sehr gut, mit einfachen Fragen das Interesse der Leser zu wecken und trotz der vielen neuen Fragen, die sich im Laufe des Romans ergeben, dennoch die ein oder andere Frage zu beantworten. Auch wenn man als Leser so manche Storywendung schon vorweg erahnen mag, viele Twists kommen so überraschend (oder wurden bis dahin durch das enorme Erzähltempo schlichtweg übersehen), dass man ebenso verwundert ist, wie die Hauptfiguren im Buch.

Was Relic neben dem faszinierenden Schauplatz so unterhaltsam macht sind die vielen Figuren, die erstaunlicherweise selbst bis in die Nebenrollen mit einem reichhaltigen Hintergrund ausgestattet sind. Als heimlicher Held stellen die Autoren den FBI-Agenten Pendergast auch recht spät vor, der allerdings in mehr als einem halben Dutzend weiterer Romane bis dato in Aktion treten durfte.
Angefangen mit Margo Green und William Smithback Jr. gestaltet sich die ums Überleben kämpfende Truppe nicht nur sehr sympathisch, sondern auch sehr amüsant. Die Dialoge lockern das Geschehen mitunter erstaunlich auf und ermöglichen einem als Leser damit einen einfachen Zugang zu der mitunter recht fantastischen Story. Auch Dr. Frock trägt seinen Teil dazu bei, wobei man über Lieutenant D'Agosta erstaunlich wenig erfährt.
Genretypisch werden die Figuren in vier Kategorien eingeteilt, aus denen sie auch kaum entkommen können. Einerseits gibt es die Helden, die untergroßen Entbehrungen überleben, andererseits die Guten, denen dieses Glück allerdings nicht vergönnt ist. Dann gibt es die Bösen, die auch böse bleiben und diejenigen, die während des Romans auf die falsche Seite wechseln. Auch wenn sich der Roman hier vieler Klischees bedient, dank des Einfallsreichtums der beiden Autoren bleibt Relic immer unterhaltsam, stets spannend und mitunter – dem Genre des Techno-Thrillers entsprechend – sogar lehrreich.

Sprachlich pendeln sich die beiden Autoren zwischen der gewohnten Pop-Literatur und anspruchsvoller Lektüre ein; Leser der englischen Ausgabe werden schnell einige Formulierungen oder Worte finden, die die beiden Autoren merklich gern benutzen. Und doch scheint das erste Drittel des Buches etwas schleppender, die Sprache unausgewogener und der Stil nicht ganz so flott, wie der Rest des Romans. Dies ist zwar nicht verwunderlich, sollte Leser aber nicht verunsichern, wenn sie sich an die ersten, sprachlich ebenso gelungenen, aber etwas hölzern formulierten Kapitel wagen. Es dauert eine Weile, ehe der sprachliche Stil von Child und Preston in Fleisch und Blut übergehen, dann allerdings fliegen die Seiten nur so am Leser vorbei.

Blickt man nach den nicht ganz 500 Seiten auf den Roman zurück, bleibt an sich nur die Frage, wie der offene Schluss fortgeführt wird. In Attic – Gefahr aus der Tiefe [1997] haben sich die Autoren der Geschichte erneut angenommen. Dank der sympathischen Figuren, der fesselnden Beschreibungen des Innenlebens des Museums und der faszinierenden, weil stellenweise unvorhersehbaren Geschichte, zieht Relic die Leser in den Bann. Nur wenig später wurde der Roman als Das Relikt [1995] verfilmt; Interessenten des Buches kann man nur raten, sich den Film zuvor nicht anzusehen. Weniger, weil "das Buch sowieso immer besser ist", sondern weil im Film eine Auflösung vorweg genommen wird, die Preston und Child sich bis zum Epilog aufsparen. Und genau dort besitzt sie auch die größte Wirkung.


Fazit:
Ich muss gestehen, dass ich mir den Tagesablauf zweier Autoren, die gemeinsam an einem Unterhaltungsbuch schreiben, nicht so recht vorstellen kann. In der Theorie könnte dies sehr produktiv, oder aber genau das Gegenteil davon sein. Was bei den beiden Autoren Preston und Child im Falle von Relic herausgekommen ist, übertrifft für ein Erstlingswerk allerdings weit die Erwartungen. Angefangen von der Einführung des Museums als Schauplatz des restlichen Geschichte, über die überaus charmanten, wenn auch nicht tief gehenden Figuren, bis hin zu dem erstklassigen, temporeichen und immens spannenden Finale, zieht der Roman nicht nur die verschiedenen Genres gut zusammen. Er definiert auf Grund der lebendigen Beschreibungen und des überaus einfallsreichen Epilogs den modernen Monster-Horror neu.
Ohne Zweifel mutet die Geschichte stellenweise zu fantastisch an. Und auch die Dialoge werden sicher keine Preise gewinnen. Doch wie der Popcorn-Film ebenso eine willkommene Abwechslung zum anspruchsvollen Kino, ist ein solcher Pop-Literatur-Roman eine gern gesehene Abwechslung zur anspruchsvollen Lektüre. Wer sich für fantastisch angehauchte Geschichten so wie für Monster-Horror-Momente begeistern kann, wird bei Relic auf seine Kosten kommen. Die etwas später erschienene Fortsetzung habe ich mir verständlicherweise ebenfalls auf meine Liste geschrieben. So wie viele begeisterte Leser vor mir.