Eric Nylund: "Halo: Die Schlacht um Reach" [2001]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. Januar 2005
Autor: Eric Nylund

Genre: Science Fiction / Action

Originaltitel: Halo: The Fall Of Reach
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 340 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2001
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2003
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-345-45132-5


Kurzinhalt:
Im Alter von sechs Jahren wurde er von Dr. Halsey, einer Wissenschaftlerin des United Nations Space Command, auf den Planeten Reach gebracht, um dort am Spartan-II-Projekt teil zu nehmen. Gedacht war es, um der wachsenden Bedrohung der Menschheit durch Piraten und Abtrünnige Herr zu werden. Doch als er acht Jahre später, im Jahr 2525, zum ersten Mal Truppen der außerirdischen Allianz begegnet, bekommen die Spartans eine viel wichtigere Aufgabe: Zusammen mit seinen Team-Kollegen muss der Chief einen Kampf um die gesamte Menschheit gewinnen, denn die Allianz hat es sich zum Ziel gesetzt, die selbige aus dem Universum zu tilgen.
Selbst 2552 ist der Krieg noch nicht vorüber, die Menschen allerdings sind empfindlich geschwächt und der letzte große Vorposten der Erde, der Planet Reach, ist im Visier der Allianz. Doch während die Allianz übermächtiger denn je in die Schlacht zieht, steht für die Spartans und den Master Chief mehr auf dem Spiel, denn je zuvor ...


Kritik:
Man mag sich fragen, was einen erwachsenen, angeblich Vernunft begabten Menschen dazu bewegen mag, einen Roman basierend auf einem Videospiel zu lesen, und sich dann auch noch öffentlich zu outen. Dies zu erklären ist ansich beinahe unmöglich und am ehesten gleich zu setzen mit jemandem, der partout denselben Steinmörser zum Kochen verwenden möchte, wie ein bekannter Fernsehkoch, oder der Fanzeitschriften basierend auf einer TV-Serie erwirbt. Dass das Videospielgenre aber alles andere als ein Nischenprodukt ist, zeigen ganz einfache Zahlen: Im Jahr 2004 nahm die Konsolenspielindustrie 9,9 Milliarden Dollar ein – und hatte gegenüber 2003 sogar einen Rückgang um weniger als ein Prozent zu verbuchen!
Zum Start von Microsofts Xbox Videospielsystem im Jahr 2001 gab es ein Spiel, das sich beinahe jeder Käufer der Konsole mit in die Schachtel legen ließ: Halo: Kampf um die Zukunft [2001] war das Vorzeigeprodukt der Software-Schmiede Bungie, verblüffte den Spieler mit bombastischer Grafik, einem ergreifenden Spieleerlebnis auf fremden Welten (beziehungsweise einer Ringwelt) und einer phänomenalen musikalischen Untermalung von Marty O'Donnell und Michael Salvatori. Über vier Millionen Exemplare des Konsolenhits wurden verkauft, ehe das Spiel für den heimischen PC umgesetzt wurde. Drei Jahre später im Winter kam Halo 2 [2004] auf den Markt, verbuchte mit 1,5 Millionen Vorbestellungen eine Rekordzahl, verkaufte sich am Erscheinungstag in Kanada und den USA 2,4 Millionen Mal (das bedeutet grob 27 Exemplare pro Sekunde!) und machte allein am ersten Tag einen Umsatz von 125 Millionen Dollar – zum Vergleich, der erfolgreichste Filmstart, Spider-Man 2 [2004], konnte am ersten Tag "nur" 40,5 Millionen Dollar einnehmen. 70 Mitarbeiter bei Bungie arbeiteten jahrelang daran, das zweite Spiel fertig zu stellen, wer angesichts dieser Mengen- und Größenordnungen also immer noch der Meinung ist, der Videospielbereich sei etwas für eine geringe Anzahl "Freaks", der sollte dringendst den Taschenrechner zücken.
Da Halo den Spieler allerdings mehr oder weniger mitten ins Geschehen eines bereits existierenden Universums wirft, brachte Microsoft mit dem bekannten Autor Eric Nylund zusammen ein offizielles Prequel-Buch auf den Markt, das die Vorgeschichte von Halo erzählt, und auf dessen legendäre Schlacht um Reach auch in Halo 2 hingewiesen wird. Der Roman erschien in den USA kurz vor Verkaufsstart des ersten Spiels, wurde aber erst Jahre später ins Deutsche übersetzt. Auf den 340 Seiten gelingt es Autor Nylund wirklich gut, das Universum des Master Chief zu etablieren, verschiedene Verstrickungen aufzuzeigen und den Leser auf spannende, actiongeladene Missionen zu entführen; und doch wirkt es ohne die anschließenden zwei Spiele ebenso unfertig, wie eines von beiden ohne den jeweiligen Vorgänger. Für Fans ist diese Lektüre trotz der recht einfachen Sprache und der einfach gestrickten Unterhaltung damit eine notwendige Pflichtergänzung, wer aber mit den Videospielen nichts anfangen kann, wird auch am Roman selbst wenig Gefallen finden.

Eric Nylund beginnt seine Erzählung erfreulicherweise am Anfang und erklärt grundlegende Elemente des Halo-Universums wie die Spartan-Gruppe, und auch, weswegen der Master Chief der letzte seiner Art ist. Die Rekrutierung und Ausbildung mag dabei zwar stark an den Science-Fiction-Film Star Force Soldier [1998] erinnern, bekommt aber durch die zusätzliche genetische Aufwertung der Spartans einen tragischeren und vor allem persönlicheren Touch. Zudem gelingt dem Autor die Charakterisierung des Chiefs, sowie seine Entwicklung sehr gut, auch wenn die beabsichtigt pathoshaltigen militärischen Erklärungen für seine Entscheidungen sicher nicht jedem Leser gefallen werden.
Auch, dass erklärt wird, woher die künstliche Intelligenz Cortana ansich kommt, inwiefern sie mit dem Chief verbunden ist, und was es mit dem MJOLNIR-Anzug auf sich hat, bringt Nylund in seinem Roman unter. Dabei darf man als Leser dem beiwohnen, was in der Spieleumsetzung leider fehlt, denn während der Master Chief dort als Einzelkämpfer unterwegs ist, ziehen die Gefechte und Missionen in Die Schlacht um Reach ihren Reiz gerade dadurch, dass ein ganzer Trupp Spartans zum Einsatz kommt und sich gegen die übermächtigen Gegner behaupten muss. Dies ist dabei vielleicht auch schon der größte Negativpunkt des Buches, denn während die ersten Missionen der Spartans gegen Piraten und Räuber gerichtet sind, und sich erst die späteren Kämpfe um die Allianz drehen, versäumt es der Autor leider, die erste Begegnung der Marines und Spartans mit den Allianz-Truppen ausführlicher zu beschreiben; stattdessen überspringt Nylund hier viele Jahre, und versäumt es dabei, das langsame Verständnis der menschlichen Truppen, vielleicht auch ein Zusammenschluss der verschiedenen Fraktionen der Menschen gegen die außerirdische Bedrohung, aufzubauen und aufzuzeigen. Hier liegt viel Potential ungenutzt.
Dafür verwöhnt der Autor den Leser mit zahlreichen Scharmützeln, Kämpfen, Infiltrationen im Dschungel und außergewöhnlichen Umgebungen. Verblüffend ist dahingehend, wie stark Nylund Architektur, Kultur und Hintergründe des Halo-Universums verknüpft, obgleich sein Roman doch vor dem ersten Spiel erstellt wurde. Manche Hintergrundinformationen, die er hier einführt, wurden gar erst im zweiten Spiel weiter verfolgt. Fans dürfen sich damit auf einige Erklärungen einstellen, die in den Spielen leider nicht geliefert werden.
Auch wenn die Story arg zusammen geschustert wirkt, und geklaut obendrein, dank der rasanten Erzählweise, der verschiedenen Figuren und des interessanten Handlungsuniversums, kommt ansich keine Kritik am Inhalt auf, wenn gleich auch an der mitunter sehr gehetzt wirkenden Präsentation.

Die Figuren sind dabei deutlich vielschichtiger geraten, als man erwarten würde, und erneut gelingt Eric Nylund eine ausgezeichnete Charakterisierung der aus dem Spiel bekannten Personen, darunter vor allem die vorlaute, aber kompetente KI Cortana, deren Wortwechsel zu den amüsantesten des Romans gehören. Captain Keyes wird jedoch ebenso beleuchtet, wie die Verantwortliche des Spartan-Projekts, Dr. Halsey; beide Figuren erfahren im Roman zudem eine spürbare Wandlung, die ihr Verhalten nachhaltig beeinflusst.
Ebenfalls erstaunlich facettenreich ist der Chief gelungen, dessen spätere Handlungen nach seiner harten, erbarmungslosen Ausbildung gar nicht so unglaubwürdig scheinen; zwar wirkt der militärische Pathos bei ihm recht dick aufgetragen, und das ständige Salutieren wird so manchem Leser aufstoßen, doch trotz allem wird er als sympathischer und nach wie vor menschlicher Held beschrieben.
Selbiges gilt auch für die Randfiguren, die allesamt natürlich erscheinen und kaum Grund zur Beanstandung lassen. Von einem solchen Roman hätte man dies zweifelsohne nicht erwartet.

Dass Nylund in seinem Roman eine konstante Spannung gelingt, liegt vor allem anhand der Tatsache, dass die Allianz als übermächtiger Gegner eingeführt wird, dem die Menschen nur in zahlenmäßiger Überlegenheit halbwegs gewachsen sind, so fiebert man als Leser tatsächlich mit, wenn sich die finale Schlacht um Reach entfaltet, die UNSC-Truppen hoffnungslos unterlegen sind und dennoch mit allerletzter Kraft versuchen, der Allianz Paroli zu bieten. Wenn zudem die Spartans trotz ihrer physiologischen Überlegenheit einem viel größeren, mächtigeren Feind gegenüber stehen, muss man als Beobachter der Szenerie wirklich schlucken.
Die zahlreichen Missionen und Kämpfe sind allesamt spannend und temporeich erzählt, warten mit einer Vielzahl interessanter Details und überlegter Wendungen auf und verblüffen außerdem durch die lebhafte Beschreibung des Autors. Einzig das Finale scheint dahingehend etwas kurz geraten, leitet aber gut auf das anschließende Spiel über.

Sprachlich gibt sich Nylund überaus gewandt, wenn auch sehr leicht verständlich. Dass Die Schlacht um Reach in die Populärliteratur einzuordnen ist, erkennt man recht schnell. Trotzdem fordert er von seinen Lesern bei den Beschreibungen einen gewissen Grad an Fantasie, um die fremden Welten und Raumschiffe lebendig werden zu lassen.
Was aber angesichts seines sprachlichen Talents negativ überrascht und auch einen Punkteabzug zur Folge hat, sind die zahlreichen Schreibfehler in der englischen Originalfassung des Buches. Diese beziehen sich dabei nicht speziell auf einzelne Wörter, sondern auf falsche Pronomen oder Plural-Aufzählungen, die anschließend ein falsch konjugiertes Verb nach sich ziehen. Man wird das Gefühl nicht los, dass manche Sätze beim ersten Überfliegen umgestellt wurden, ohne sie anschließend nochmals Korrektur zu lesen – in einem Fall bezieht sich der Autor sogar auf eine Person, die gar nicht anwesend ist, und bei der er schlicht den Namen vertauschte. Zweifelsohne können solche Fehler passieren, bei Halo: Die Schlacht um Reach ist dies jedoch sehr häufig der Fall und erweckt den Anschein, als sei der Roman keinem geeigneten Lektor vorgelegt worden, beziehungsweise, als sei ein unfertiges Manuskript veröffentlicht worden. So etwas darf trotz Termindruck schlicht nicht passieren.

Ansonsten ist sprachlich kaum etwas auszusetzen, dass man keine Shakespeareschen Formulierungen erwarten sollte, versteht sich von selbst, doch Eric Nylund richtet sich auch sichtlich nicht an ein kindliches Publikum.
Sein Roman fängt gekonnt die Atmosphäre des Spieleuniversums ein, versetzt den Leser an die Seite des Master Chief und lässt ihn an seiner Entwicklung teilhaben. Dabei klärt er über viele Zusammenhänge auf, die in den Spielen nicht beleuchtet werden und vertieft Bekanntes ansprechend aufbereitet. Wenn sich der Chief zudem einer Gruppe Grunts oder Jackals stellt, oder man auf den letzten Seiten den ersten Anblick der Ringwelt beschrieben bekommt, kann man förmlich die eingängige Hymne Halos hören, die rhythmischen Melodien spüren und ist versucht, das Spiel gleich nochmal durch zu spielen – mehr kann man von einem solchen Roman sicherlich nicht erwarten.


Fazit:
Ich gestehe: Ich spiele Videospiele, und das macht Spaß!
Als Halo: Kampf um die Zukunft als Launchtitel für die Xbox veröffentlicht wurde, war ich fasziniert von der exzellenten Grafik, des packenden (sich aber später wiederholenden) Gameplays und des interessanten Universums, in dem der Master Chief als einsamer Kämpfer die Menschheit vor der Vernichtung bewahren musste. Doch machte Halo damals bereits den Eindruck eines "rushed job", als hätten die Macher sich beeilen müssen, um den Abgabetermin zu schaffen und konnten somit einige Elemente nicht in dem Maße ausarbeiten, wie gewünscht – ähnlich sieht es bei Eric Nylunds Roman aus. Davon zeugen unter anderem die zahlreichen und wirklich ärgerlichen Schreibfehler, die Tatsache, dass manche Abschnitte wirken, als stammten sie stilistisch von einem anderen Autor und auch das etwas kurz geratene Finale.
Abgesehen davon ist Die Schlacht um Reach jedoch ein wirklich guter, spannender und actionreicher Roman, der viele Hintergründe erklärt, die Spieler des Videospiels interessieren dürfte, und auch schon Storyelemente von Halo 2 vorweg nimmt, wie beispielsweise die Propheten der Allianz. Dass die eigentliche Ursache für den verheerenden Krieg auch hier nicht aufgelöst wird, ist wohl beabsichtigt, und soll in einem späteren Spiel geklärt werden. Wer die Videospielvorlage nicht kennt, wird mit diesem Roman sicherlich wenig anfangen können, wer aber schon immer wissen wollte, wie der Master Chief mit Vornamen heißt, worum es beim Spartan-Projekt überhaupt ging, oder wie sich Cortana und der Chief zum ersten Mal begegnet sind, der sollte unbedingt zugreifen – immerhin wird in Nylunds Buch auch deutlich, worum es bei Halo im Spiel bereits geht, nämlich darum, die Vernichtung der Menschheit abzuhalten. Und diesen Wettlauf gegen die Zeit hat der Autor wirklich gut eingefangen.
Für Fans ansich beinahe ein Muss, alle anderen werden damit kaum etwas anfangen können.