Simon Kernick: "Gnadenlos" [2006]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 11. September 2008
Autor: Simon KernickGenre: Thriller
Originaltitel: Relentless
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 461 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 2006
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2008
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-552-15312-6
Kurzinhalt:
Als Tom Meron am Samstagnachmittag den Telefonhörer abnimmt, ahnt er nicht, dass sein Leben eine ganz unerwartete Wendung nehmen wird. Am Apparat ist sein bester Freund Jack Calley, der unter Schmerzen die letzten Worte in seinem Leben spricht – Merons Name und Adresse, dann wird der Anruf von einer dritten Person beendet.
Ohne die Hintergründe zu kennen flieht Meron in Panik mit seinen beiden Kindern Chloe und Max zu seiner Schwiegermutter. Als er später zu seinem Haus zurückkehrt wird es von einem unbekannten Mann durchsucht. Er fährt in die Universität, wo seine Frau Kathy als Dozentin tätig ist, doch er kommt zu spät. Ein Mord ist bereits geschehen und Meron selbst der Hauptverdächtige. Dabei haben die schlimmsten 48 Stunden in seinem Leben erst begonnen.
Polizist Mike Bolt wittert unterdessen im Mord an Jack Calley einen Zusammenhang an dem vermeintlichen Selbstmord des Lord Chief Justice Tristram Parnham-Jones, immerhin war Calley dessen Anwalt. Doch die Drahtzieher hinter alle verfolgen Ziele, bei denen Menschenleben keine Rolle zu spielen scheinen ...
Kritik:
Seine Leidenschaft für die Schriftstellerei entdeckte der 1966 geborene, englische Autor Simon Kernick bereits sehr früh und verfasste während seiner Ausbildung und späteren Arbeit als Verkäufer einer bekannten Computerfirma mehrere Kurzgeschichten. Bis zur ersten Veröffentlichung im Jahr 2001 war es jedoch noch ein weiter Weg. Den Sprung auf die Bestsellerlisten schaffte er 2006 schließlich mit Gnadenlos, der im Jahr darauf auch bei einigen Buchclubs als Leseempfehlung zu finden war.
Gelungen ist ihm mit Relentless, so der Originaltitel ein durchweg guter, sehr schnell erzählter und mitunter auch beklemmender Thriller, dessen ungewöhnliche Erzählperspektive ebenso fesselt wie seine Hintergrundgeschichte, in die der ahnungslose Hauptcharakter verwickelt wird.
Der Anfang der Story selbst ist dabei sehr schnell erzählt und wird auch im Buch ebenso unvermittelt den Lesern vorgesetzt, dass man wie Tom Meron unverständig den Kopf schüttelt und sich durch die gewählte Ich-Perspektive fragt, wie man denn an seiner Stelle reagieren würde. Von der ersten Seite an gibt Autor Kernick damit ein enormes Tempo vor, das er die ersten 200 Seiten über auch problemlos halten kann. Auch wenn sich die Story vor dem Leser entfaltet, Zusammenhänge hergestellt werden und neue Figuren auftauchen, verliert Gnadenlos nichts von seiner Spannung. Doch häufen sich später die Kapitel, die in der dritten Person geschildert werden und in denen nicht Meron im Mittelpunkt steht. Zwar ist der Ermittler Mike Bolt nicht weniger interessant, und auch die Kapitel aus der Sicht des Auftragskillers Lench fesseln, doch verliert man an ihrer Stelle in gewisser Weise den Bezug zur Geschichte.
Gut gelungen ist Kernick in dem Zusammenhang die Verknüpfung zwischen den Sichtweisen mit sich überlappenden Ereignissen. Dass nicht alle Storyelemente zum Abschluss gebracht werden mag den Roman zwar realistischer erscheinen lassen, trübt jedoch das Gefühl, die Tortur der Figuren wäre nicht umsonst gewesen. Inhaltlich bleibt der Autor trotz einiger pikanter Details in Bezug auf die Anschuldigungen der hohen Persönlichkeiten wage, als wolle er sich dessen in einem späteren Roman nochmals annehmen. Auch die Gewalt wird nicht in dem Sinne verherrlicht oder ausführlich beschrieben, wie es in vielen anderen aktuellen Büchern der Fall ist.
An interessanten Figuren mangelt es Gnadenlos nicht, allen voran Tom Meron, der zwar durchweg sympathisch geraten ist, aber nichtsdestotrotz ein paar Ecken und Kanten besitzt, die man zwar am Anfang noch nicht genannt bekommt, doch immerhin schon erahnt, ehe sie dann auch vorgestellt werden. Mitzuerleben, wie sein Weltbild auf den Kopf gestellt wird, ist durchaus faszinierend, eben weil man sich mit ihm gut identifizieren kann.
Entsprechend fremd wirkt seine Frau Kathy, deren Motivation bis kurz vor Schluss im Dunkeln bleibt und deren Vergangenheit sie zusehends in ein ungünstigeres, dabei aber nur menschlicheres Licht rückt. Wenig zu lesen ist dabei über ihre beiden Kinder Max und Chloe, die kaum erwähnt werden. An sich sollte man dies Kernick zugute halten, immerhin hätte er mit ihnen leichtes Spiel gehabt, um die Leser für sich gefangen zu nehmen. Dass er auf solch billige Tricks verzichtet ist ihm hoch anzurechnen.
Der zweite große Star des Romans ist der Polizist Mike Bolt, der ohne Zweifel eine der umstrittensten Entscheidungen des Buches trifft. Ob ihn dies in den Augen der Leser sympathischer erscheinen lässt, oder aber gerade das Gegenteil bewirkt, muss jeder für sich entscheiden. Einfacher macht es seine aufgezeigte Vergangenheit ohne Zweifel nicht. Dass sein Kollege Mo Khan dagegen nur sehr wenig eingebunden wird, ist zu vernachlässigen, immerhin bleibt die Hoffnung, dass beide in weiteren Roman zu finden sein werden.
Dass dem Autor bei dem gewissenlosen Killer Lench gar nicht daran gelegen ist, seine Hintergründe zu erklären, sondern lediglich seinen Werdegang zu schildern, ist insofern ein interessanter Ansatz, als dass er die Persönlichkeit des Auftragsmörders nicht in irgendeiner Weise rechtfertigen möchte, sondern ihn lediglich als solche Figur schildert. Auch hier greift Simon Kernick viele Elemente wieder auf, die man in ähnlicher Form bereits in anderen Romanen zu lesen bekam. Doch umschifft er gekonnt die bekanntesten Klischees, sodass seine Charaktere mühelos für sich allein stehen, ohne ständig Erinnerungen an andere Bücher zu wecken.
An der dramaturgischen Umsetzung des spannungsgeladenen Thrillers gibt es insofern kaum etwas zu bemängeln. Die Seiten fliegen in Windeseile am Leser vorbei und die Spannungsschraube wird innerhalb der knapp 450 Seiten auch stetig angezogen. Das Finale selbst scheint dabei, weil es Tom Meron nur stiefmütterlich mit einbezieht, der einzige wahre Schwachpunkt des Romans. Zwar ist es immer noch lebhaft und anschaulich beschrieben, aber dadurch, dass man die Auflösung aus einer anderen Sicht geschildert bekommt, verliert es ein wenig an Zugkraft.
Dem Epilog ergeht es ähnlich, der zu viele Storyelemente offen lässt, Handlungsstränge nicht weiterverfolgt oder nur andeutet, bei denen man sich einen richtigen Abschluss erhofft hätte.
Sprachlich gestaltet sich Relentless insofern nicht anspruchsvoll, als dass auch Gelegenheitsleser mit der Englischen Sprache problemlos zurecht kommen dürften. Simon Kernick benutzt alltägliche Worte, um die Geschichte aus der Sicht eines normalen Menschen zu schildern und verzichtet dabei sowohl auf einen ausufernden Gebrauch von Schimpfwörtern, wie auch auf unnötige Gewaltdarstellungen.
Zwar ist das Beschriebene nicht harmlos, doch scheint sich der Autor an den Gewalttaten nicht in dem Maße zu ergötzen, wie dies bei vielen Thrillern dieser Art inzwischen leider der Fall ist.
Zugegebenermaßen bietet die Geschichte kaum etwas völlig Neues, dafür allerdings viele bekannte Elemente, die durch die ungewöhnliche Ich-Perspektive und das hohe Erzähltempo durchweg unterhalten und Gnadenlos mühelos über den Durchschnitt heben. Zimperlich ist Autor Kernick dabei mit seinen Figuren nicht und schickt einige durch die schlimmste Zeit in ihrem Leben. Doch legt er auch Charaktere blank, wo man es nicht erwarten würde, auch wenn diese Studien nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Dank den lebendigen Figuren, der rasant geschilderten Geschichte und der durchaus komplexen Hintergrundstory, die im Laufe der 400 Seiten gelüftet wird, entpuppt sich Kernicks Roman als gelungener Thriller, der sich ohne Nebenwirkungen liest und dabei nicht enttäuscht. Allenfalls das letzte Drittel wird den hohen Erwartungen nicht gerecht, doch dies ist angesichts des Schweiß treibenden ersten Akts auch kaum möglich.
Fazit:
So schnell wie die Geschichte erzählt wird, kann man nicht umhin, von ihr gepackt zu werden. Die Hauptcharaktere sind dabei durchweg sympathisch, die Bösewichte dementsprechend böse und die Story entfaltet sich mit einem Tempo, dass man Luft holen muss, um nicht von ihr überrollt zu werden.
Doch so gelungen wie die erste Hälfte des Romans, so anders erscheint doch die zweite. Durch die gänzlich andere Stimmung, die Kernick vorgibt, zusammen mit dem verlagerten Schwerpunkt der Erzählung auf Figuren, die bislang nur am Rande erwähnt wurden, entwickelt sich der Roman in eine unerwartete, aber letztlich nicht zufrieden stellende Richtung. Am offensichtlichsten wird dies am etwas kurz geratenen Finale, das einen erwarteten und erhofften Knalleffekt vermissen lässt, sowie einem Epilog, der ohne eine richtige Auflösung auskommen muss.
Nichtsdestotrotz ist Gnadenlos ein überaus lesenswerter, weil unvorhersehbarer Thriller, bei dem zwar die ein oder andere Wendung zuviel eingebaut zu sein scheint, der aber durch gut gezeichnete und vielschichtige Figuren überzeugt. So darf man gespannt sein, ob Simon Kernick später wieder Figuren aus Relentless aufgreifen wird – lose Enden hätte er genügend noch zum Abschluss zu bringen.