David Baldacci: "Der Präsident" [1996]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. Dezember 2016
Autor: David Baldacci

Genre: Krimi

Originaltitel: Absolute Power
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Deutsch
Ausgabe: E-Book
Länge: 573 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1996
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1996
SBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-3-8387-1709-8


Kurzinhalt:

Als der Einbrecher Luther Whitney in das vermeintlich verlassene Anwesen des Milliardärs Walter Sullivan eindringt, der seit Jahren den amerikanischen Präsidenten unterstützt, wird er Zeuge, wie der verheiratete US-Präsident Alan Richmond Sullivans junge Frau Christine bei einem Seitensprung misshandelt, ehe sie von zwei Secret Service Agenten getötet wird. Als Whitney beschließt, die Täter, allen voran den Präsidenten, aufzudecken, gerät nicht nur seine Tochter Kate, selbst Staatsanwältin, sondern auch ihr Ex-Freund Jack Graham ins Fadenkreuz des mächtigsten Mannes der Welt. Stabschefin Gloria Russell setzt alles daran, den Präsidenten und ihre Karriere zu schützen. Dabei traut auch Polizist Seth Frank den Hinweisen nicht, die sich nach dem Mord an der jungen Frau für ihn auftun ...


Kritik:
Das Erstlingswerk des gelernten Wirtschaftsjuristen und Strafverteidigers David Baldacci, Der Präsident, lässt mehr Potential erahnen, als der Roman letztlich umzusetzen vermag. Das liegt ebenso sehr daran, dass der Autor seinen Stil erst noch finden muss, wie an der zwar packenden, aber auch arg konstruierten Geschichte. Entscheidend ist in jedem Fall, dass der Autor eine solche Menge an Figuren vorstellt, dass er selbst den Überblick zu verlieren scheint, wem er folgen soll.

Die Story könnte einem Verschwörungstheoretiker entsprungen sein: Der Präsident der Vereinigten Staaten, Alan Richmond, ist ein charismatischer Anführer, aber ebenso ein Ehebrecher, der die Opfer seiner Affären misshandelt. Als die junge Milliardärsgattin Christine Sullivan, Frau von Richmonds Mentor Walter Sullivan, sich zur Wehr setzt, wird sie von zwei Secret Service Agenten erschossen. Zusammen mit der machtgierigen Stabschefin Gloria Russell wird das Geschehene verstuscht – was die Beteiligten jedoch nicht wissen, der Einbrecher Luther Whitney hat alles beobachtet. Als er entschließt, dass die Beteiligten für das Verbrechen bezahlen sollen, zieht er damit sowohl seine Tochter und Staatsanwältin Kate mit hinein, wie ihren Ex-Freund und Wirtschaftsanwalt Jack Graham. Eine weitere Figur in der Verschwörung ist der Polizist Seth Frank, der das Verbrechen an Mrs. Sullivan aufklären soll.

Das hört sich nach einer vertrackten Story an und in der Tat sind die Geschehnisse in Der Präsident durchaus packend geschrieben. Unnötig schwierig macht es der Autor damit, dass er beständig die Perspektiven wechselt. Scheint es zu Beginn, als würde Jack Graham im Zentrum der Erzählung stehen, wechselt später der Blickwinkel auf den Ermittler Frank. Auch Kate könnte eine Hauptfigur sein, von Luther selbst ganz zu schweigen. Verstärkt wird das dadurch, dass insbesondere in Jacks Umfeld sehr viele Details eingeführt werden, von seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, bis hin zu deren Bekanntschaften. So interessant diese Verstrickungen sind, die für viele Figuren nirgends enden, sie machen es schwierig, die Notwendigkeit bestimmter langer Passagen erkennen zu lassen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es der Autor leider versäumt, zeitliche Markierungen zu setzen. Zwischen zwei Kapiteln vergehen mitunter nur wenige Stunden, manchmal aber auch Monate, was beiläufig der Erzählung entnommen werden soll. Eine Verschwörung bzw. die Aufklärung eines Verbrechens, die sich über so lange Zeit hinzieht, ohne dass augenscheinlich etwas passiert, verliert jedoch zusehends an Zugkraft. Da helfen auch die teils arg gekünstelt klingenden Beschreibungen einiger pikanten Intimszenen nicht weiter, die immer wieder eingestreut werden.
Der Originaltitel des Romans, Absolute Power, passt weit besser als die deutsche Übersetzung. Immerhin handelt die Geschichte davon, wie Macht korrumpiert und welche Freiheiten sich Menschen mit Macht mitunter herausnehmen.

Am Ende ist der Roman ein ordentlicher Krimi, dessen Stärken darin liegen, dass immer, wenn man der Meinung ist zu wissen, wie das Komplott offengelegt werden wird, einem dieser Strohhalm genommen wird. Die Art und Weise, wie dies geschieht, ist dabei zwar mitunter sehr weit hergeholt, indem der Autor hierfür Figuren, denen er immer wieder gefolgt ist, längere Zeit ausblendet, sie urplötzlich an entscheidende Orte bringt und im Nachhinein erklärt, wie sie dorthin gekommen sind, aber es ist nichtsdestoweniger effektiv.
Wirklich störend sind die Kapitelaufteilungen; nicht nur, dass sich die Kapitel mitunter sehr lange hinziehen, sie umspannen zum Teil mehrere Tage und Perspektivwechsel, nur damit das nächste Kapitel dann aus der Sicht beginnt, mit der das vorige geendet hat. Hier wäre eine bessere Unterteilung sinnvoller gewesen, auch um den Lesefluss zu erhöhen. Hier und bei den vielen Figuren, von denen gleich mehrere im Mittelpunkt zu stehen scheinen, hätte eine weitere Überarbeitung vor der Veröffentlichung von Der Präsident nicht geschadet.


Fazit:
Mit seiner Story hatte Autor David Baldacci durchaus den Nerv der Zeit getroffen – wobei man sagen muss, dass eine Verschwörung in die höchsten Regierungskreise vermutlich immer den Nerv der Zeit trifft – immerhin wurde der Roman nur ein Jahr später als Absolute Power [1997] von keinem geringeren als Clint Eastwood verfilmt. Hierfür wurde zumindest eine Figur eingespart, die im Roman die vielleicht zentralste Rolle einnimmt, auch wenn seine Entscheidungen oft naiv sind. Paradoxerweise ist es wohl die Sicht des Autors selbst, der viel von seinem beruflichen Hintergrundwissen in Jack Graham einfließen lässt. Diese Einblicke in das amerikanische Rechtssystem sind durchaus interessant und überraschenderweise überhaupt nicht "trocken" dargebracht. Jacks Beziehung zur Liebe seines Lebens, Kate, wirkt jedoch ebenso erzwungen wie die machthungrige Stabschefin unglaubwürdig. Der Präsident hat mir als Krimi durchaus gut gefallen, selbst wenn die großen Löcher in der Story kaum zu übersehen sind und die Struktur der Kapitel und vielen Perspektiven einer Rohfassung zu entstammen scheint. Insbesondere zu sehen, wie ein an sich ehrenwerter Secret Service Agent in einen Sog aus unumkehrbaren Entscheidungen gerät, ist gelungen. Als schnelle, interessante und oft packende Lektüre eignet sich Baldaccis Erstlingsroman in jedem Fall. So tiefgehend wie die Story es vermuten lässt, ist er allerdings nicht.