Anthony Horowitz: "Der Fall Moriarty" [2014]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Februar 2018
Autor: Anthony Horowitz

Genre: Krimi / Thriller

Originaltitel: Moriarty
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in:
Englisch
Ausgabe:
E-Book
Länge:
286 Seiten
Erstveröffentlichungsland:
Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr:
2014
Erstveröffentlichung in Deutschland:
2014
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe):
978-1-4091-0949-5


Kurzinhalt:

Nach dem von Sherlock Holmes-Chronist geschilderten, schicksalshaften Aufeinandertreffen des Meisterdetektivs mit dem Genie des Verbrechens, Professor James Moriarty, von welchem keiner der beiden zurückgekehrt ist, macht sich Scotland Yard Inspector Athelney Jones auf nach Meiringen, wo in der Nähe des Reichenbachfalls eine Leiche gefunden wurde. Der dort bereits eingetroffene private Ermittler der amerikanischen Pinkerton-Agentur, Frederick Chase, bestätigt, dass es sich hierbei um Moriarty handelt. Chase ist nach Europa gekommen, um Clarence Devereux zur Rechenschaft zu ziehen, ein einflussreicher Verbrecher der Unterwelt in den USA, der kürzlich in London eingetroffen sei und sich dort mit Moriarty treffen wollte. Eine verschlüsselte Nachricht, die bei der entdeckten Leiche gefunden wird, bringt Jones und Chase auf die Spur von Devereux, dessen Methoden brutaler sind und der skrupelloser ist, als es andere Verbrecher vor ihm waren. Dank des scharfen Verstandes von Athelney Jones, der seine Inspiration aus der Vorgehensweise von Sherlock Holmes zieht, hat „das Spiel begonnen“ …


Kritik:
Einst bezeichnete der britische Meisterdetektiv seinen größten Widersacher Professor James Moriarty als „Napoleon des Verbrechens“. Nach seinem vom Nachlass Conan Doyles abgesegneten Sherlock Holmes-Roman Das Geheimnis des weißen Bandes [2011] kehrt Autor Anthony Horowitz nach London ins späte 19. Jahrhundert zurück und präsentiert mit Der Fall Moriarty einen Crime-Thriller, der sich mit der Titel gebenden Nemesis des Baker Street-Anwohners beschäftigt, obwohl dieser die längste Zeit über durch Abwesenheit glänzt. Sprachlich nicht minder interessant als der erstgenannte Roman, ist es die große Wendung zum Schluss, die einem das Lesevergnügen im Nachhinein beinahe nimmt. Nicht, weil sie nicht stimmig wäre, sondern weil man das Gefühl bekommt, dass man seine Sympathien vollkommen umsonst investiert hat.

Dabei bedient sich der Autor der grundsätzlichen Struktur, die Sir Arthur Conan Doyles Erzählungen nachhaltig geprägt haben. Der Erzähler stellt sich in diesem Fall als Frederick Chase, Agent einer amerikanischen Detektei, der Pinkerton-Agentur vor, der nach London gekommen ist, um den Tod eines Kollegen aufzuklären – Jonathan Pilgrim. Es ist das Jahr 1891, Sherlock Holmes und das verbrecherische Genie Professor Moriarty sind nach den Ereignissen beim Reichenbachfall im schweizerischen Meiringen verschwunden. Ihrer beider Abwesenheit hat ein Machtvakuum auf der jeweiligen Seite des Gesetzes hinterlassen. In der englischen Unterwelt macht inzwischen ein neuer Name auf sich aufmerksam: Clarence Devereux. Aus den USA eingereist, hat dieser ein weitläufiges Netzwerk aufgebaut und herrscht mit einer bisher nie gesehenen Brutalität. Chases Ziel ist es, diesen Schurken zur Strecke zu bringen. Noch in Meiringen begegnet er dem Scotland Yard-Inspector Athelney Jones und gemeinsam machen sie sich auf, den überraschend schwer fassbaren Devereux aus seiner Deckung zu locken.

Jones könnte eingefleischten Lesern von Sherlock Holmes-Geschichten durchaus vertraut vorkommen, die Figur tauchte als Detective von Scotland Yard in Das Zeichen der Vier [1890] auf. Von seinen Begegnungen mit dem Meister der Deduktion tief geprägt (und gedemütigt), ist Jones ein geläuterter Mann und nach seinem Studium von Holmes’ Methodik inzwischen selbst in seinen Ermittlungen derart analytisch, dass man auf Grund seiner Schlussfolgerungen meinen könnte, man hätte Holmes persönlich vor sich. Frederick Chase hingegen nimmt bei dem Duo eher die Rolle von Dr. John Watson ein, was nicht nur daran liegt, dass er es auf sich nimmt, die Ereignisse zu Papier zu bringen, sondern weil ihm manche Gedankengänge nicht schlüssig erscheinen, sondern diese durch Jones erst erklärt werden müssen.
Es hat somit den Anschein, als würde Autor Horowitz in Der Fall Moriarty das mehr als vertraute Schema der Dynamik zwischen Holmes und Watson lediglich auf zwei neue Figuren übertragen. Man könnte ihm hier einen Mangel an Ideenreichtum vorwerfen, würde es nicht so gut funktionieren. Der Fall selbst gestaltet sich mit den zahlreichen Vertrauten von Clarence Devereux und der Komplexität seiner Operationen vielfältiger, als man vermuten würde. Vor allem ist er in seiner Schilderung überraschend, aber nie überzogen brutal.

Doch so leicht macht es sich der preisgekrönte Autor erfreulicherweise nicht. Er spielt stattdessen, wie Doyle mit seinen Lesern ebenfalls, ein „ abgekartetes“ Spiel, da er zwar nicht die Unwahrheit sagt, aber immer wieder entscheidende Details verschweigt, die am Ende die gesamte Geschichte in eine andere Richtung lenken. Die alles entscheidende Frage ist somit, ob der – in seiner Konsequenz durchaus überraschende – Twist am Ende funktioniert? Man muss beinahe sagen, leider ja.
Zwar deuten sich manche Lücken bereits im Laufe der Erzählung an, die Der Fall Moriarty schließlich so nachhaltig verändern, aber wie durchgehend diese Neuausrichtung der bis dahin geschilderten Geschichte funktioniert, ist durchaus verblüffend. Gegen eine solche Wendung spricht auch grundsätzlich nichts, würde sie nicht all das kaputtmachen, was bis dahin so gelungen war. Es ist ein Eindruck, den man kaum begründen kann, ohne entscheidende Elemente des Romans zu verderben.

Sprachlich gibt es an Der Fall Moriarty indes nichts zu bemängeln. Beinahe zögerlich eingebrachte Verweise auf neue Technologien lassen erahnen, dass sich die Welt von Scotland Yard & Co. in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts noch stark verändern wird und auch die politischen Hintergründe sind ansprechend und leicht verständlich dargebracht. Die Atmosphäre selbst erschien bei Das Geheimnis des weißen Bandes wohliger, angenehmer, doch dies sollte sich schon deshalb unterscheiden, da es zwei grundverschiedene Erzähler sind.
Insofern ist der Roman ein durchweg gelungener Schwanengesang für einen Schurken, der selbst bei den Erzählungen um Sherlock Holmes öfter erwähnt wurde, als dass er tatsächlich in Aktion treten durfte. Das ändert sich hier, wenn auch eingangs nicht offensichtlich. Fans werden die vielen Verweise und Anspielungen aber zweifellos zu schätzen wissen.


Fazit:
Je weiter die Erzählung fortschreitet, umso mehr verdichtet sich der Eindruck, dass hier noch jemand anders als nur der mysteriöse Clarence Devereux die Fäden ziehen muss. Nicht nur auf Grund des Buchtitels schwebt James Moriarty über allem, obwohl man ihn wenn, dann nur erwähnt liest, aber nicht zu Gesicht bekommt. Der Kniff, mit dem Autor Anthony Horowitz diesen Umstand auflöst, ist ebenso konsequent, wie er all diejenigen Überlegungen zum Erliegen bringt, dass dieses neue Duo aus Frederick Chase und Inspector Athelney Jones in die Fußstapfen von Watson und Holmes treten könnte. Der Fall Moriarty wird dem Titel gebenden Schurken bedeutend mehr gerecht, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Der geschilderte Fall ist überaus komplex aufgebaut und weitläufig, die Schilderungen jener Zeit gelungen, wobei die sprachliche Finesse von Horowitz' vorigem Roman im Universum von Sherlock Holmes nicht ganz erreicht wird. Als Krimi hat mir das Buch überaus gut gefallen, auch wenn die Struktur des Narrativs über weite Strecken sehr stark an diejenige von Sir Arthur Conan Doyle erinnert. So stimmig die Auflösung letztlich ist, sie ist in höchstem Maße unbefriedigend. Mag sein, dass der Autor dies beabsichtigte, aber mir bleibt am Ende damit das Gefühl, als hätte ich mir die ganze Zeit über vollkommen umsonst Hoffnungen gemacht und mit diesen Figuren mitgefiebert, den Schurken zu fassen. Dass Horowitz das bis dahin so gut gelungen ist, ist jedoch ein Erfolg, den man nicht unterschätzen darf.
Wer mit dem übrigen Universum von Sherlock Holmes, insbesondere seinen letzten Abenteuern, allerdings nicht vertraut ist ,wird sich hier nicht gut zurechtfinden und viele der Details verpassen, die in Der Fall Moriarty schlummern und das Buch für Fans so lesenswert machen.