Douglas Preston & Lincoln Child: "Attic – Gefahr aus der Tiefe" [1997]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 07. Mai 2008
Autoren: Douglas Preston & Lincoln ChildGenre: Thriller / Horror / Action
Originaltitel: Reliquary
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 461 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1997
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1999
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-8125-4283-7
Kurzinhalt:
Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit das "Museum-Biest" in New York so viele Opfer forderte. Margo Green, inzwischen Kuratorin am Museum, hat immer noch mit Albträumen zu kämpfen und fühlt sich durch Selbstverteidigungskurse sicherer – bis ihre Erinnerungen und Gefühle erneut geweckt werden, als sich der Polizist D'Agosta bei ihr meldet.
Bei einem Tauchgang im Abwassersystem New Yorks wurden zwei stark verweste Leichen gefunden. Während eine relativ schnell als die Tochter der einflussreichen Anette Wisher identifiziert werden konnte, stehen die Ermittler bei der Identität der zweiten (und ihrem Zustand) vor einem Rätsel. Zusammen mit ihrem in Ruhestand gegangenen Mentor Dr. Frock widmet sich Margo jenem deformierten Skelett. Doch schon bald werden mehr Leichen gefunden, hauptsächlich Obdachlose, die meistens enthauptet wurden. Die Vorgehensweise erinnert D'Agosta wie FBI-Agent Pendergast an die Vorkommnisse im Museum.
Doch während der Polizeichief Horlocker davon nichts hören will, organisiert Mrs. Wisher mit ihren einflussreichen Freunden einen Aufstand gegen die Stadtregierung, die die Gewalt überhaupt erst hat in dem Maße gedeihen lassen – und hat Journalist Bill Smithback als Exklusivberichterstatter auserkoren. Bis die Ermittler durch den Anführer einer Untergrundgemeinschaft, Mephisto, auf die Spur einer Gruppe tief im Untergrund lebender Wesen kommen, die sich seit einem Jahr bereits von ihren Opfern ernährt. Es wächst ein schrecklicher Verdacht, der immer mehr Parallelen zu den Morden im Museum aufweist – ehe die Situation in allen Bereichen eskaliert ...
Kritik:
Es war in der Tat erstaunlich, was das neu formierte Autorenduo Douglas Preston und Lincoln Child mit ihrem Erstlingsroman Relic – Museum der Angst [1995] vorlegten. Eine vermeintlich bekannte (und wenig überraschende Umgebung) – in dem Falle das Museum – zu verwenden, um es aus einem ganz anderen Licht zu beleuchten, eine wendungsreiche Geschichte zu erzählen, bei der der Leser den Figuren niemals voraus ist und niemals hinterher hinkt. Dieses Kunststück ist ihnen gelungen und galt es mit dem zweiten Roman im Universum um den FBI-Agenten Pendergast zu übertreffen.
Einmal mehr nehmen sie sich eine mehr oder weniger vertraute Umgebung vor (in diesem Falle New York und speziell den Central Park) und enthüllen daran eine Seite, die man als normaler Mensch noch nie gesehen hat. Die Einblicke in das Untergrundleben New Yorks fallen dabei so beeindruckend wie beängstigend aus, wirken so lebensnah und realistisch, dass man beim Lesen die verfallenen Tunnel, Bauwerke und Kanäle beinahe sehen kann. Einziger Wehrmutstropfen daran ist, dass sich die Figuren nicht wirklich weiter entwickeln, beziehungsweise nur gezeigt wird, wie sie sich seit Relic entwickelt haben. Innerhalb des Romans, der im deutschen etwas missverständlich Attic getauft wurde, bleiben die Charaktere jedoch, wie sie zu Beginn schon waren.
Interessanterweise gelingt es Preston und Child diesmal, den Roman regelrecht einzurahmen, ihm vom ersten bis zum letzten Akt einen Handlungsbogen mit wiederkehrenden Figuren zu spendieren, die im Endeffekt das Geschehen regelrecht einrahmen. Schon hier wird deutlich, dass sich die Autoren einmal mehr sehr intensiv mit ihrer Thematik auseinander gesetzt haben. Insbesondere als Außenstehender ist man ohne die Möglichkeit, die Korrektheit der Angaben zu überprüfen, mehr als fasziniert von den genauen Beschreibungen der Örtlichkeiten, des komplexen Netzwerks der Abwasserkanäle New Yorks und der daraus resultierenden Ermittlungen.
Es dauert insofern etwas, ehe die verschiedensten Vermutungen des Lesers bezüglich dessen, was sich in New Yorks Untergrund seit den Geschehnissen aus Relic ereignet hat, gebündelt und letztlich gelüftet werden. Doch jener Aufbau mit den im Untergrund lebenden Obdachlosen ist es, der Attic, im Original Reliquary betitelt (was übersetzt "Reliquienschrein" bedeutet), von anderen Romanen dieser Art unterscheidet. Die Autoren haben ihre Hausaufgaben insofern gemacht, als dass sie schon früh mehrere Handlungsebenen vorbereiten, die über den Roman verteilt konsequent entwickelt werden, ehe sie alle zum Finale hin zusammenlaufen. So gelingt es ihnen auch, den letzten Akt auf mehreren Stufen zum Höhepunkt zu steigern; die sehr stringente Entwicklung war einer der wenigen (und auch nicht wirklich bedeutenden) Kritikpunkte ihres ersten Pendergast-Romans.
Viele Leser sehen in den Abschnitten mit Journalist Bill Smithback und der einflussreichen Mrs. Wisher Längen, die hätten vermieden werden können – doch tragen sie ebenso zur Gesellschaftskritischen Botschaft von Attic bei, wie die Schilderung der Obdachlosen, die von den desozialisierten Klischeebildern glücklicherweise sehr weit entfernt sind. Worauf die Geschichte letztlich hinauslaufen wird, ist zwar grundsätzlich früh abzusehen, und so verwundert es auch nicht, wenn das Finale im Untergrund, speziell in jenem ominösen "Devil's Attic" spielt, der Kern vieler Legenden ist. Manche Storywendungen allerdings, wie insbesondere jene im Finale, kommen völlig überraschend und scheinen wie auch diejenige Entdeckung im Wasserreservoir New Yorks erzwungen.
Nichtsdestotrotz entwickelt sich die Geschichte sehr lebendig fort und macht nur selten große Sprünge. Bekannte Elemente aus Relic hier mit einzuweben und zu verbinden, ist nicht nur eine willkommene Idee, sondern auch sehr subtil gelungen.
Man wird in gewissem Sinne das Gefühl nicht los, als wären beide Autoren große Fans der Alien-Filmreihe. Während die Charaktere im ersten Buch gegen nur eine einzige Bestie antreten müssen, stehen sie in der Fortsetzung einer ganzen Armee an monströsen Gestalten gegenüber. Dies ist zudem auch ähnlich aufgebaut wie in der bekannten Filmreihe; so wird im ersten Teil das Monster in die von Menschen bewohnte Umgebung geholt, ehe sich die Figuren im zweiten Teil in die Höhle des Löwen wagen müssen. Auch dass es sehr lange dauert, ehe die Ungeheuer überhaupt aktiv in Erscheinung treten, beziehungsweise buchstäblich enthüllt werden, ist eine weitere Referenz. Und wirkungsvoll obendrein.
So bleibt Attic gerade durch die Abwandlungen der aus Relic bekannten Elemente packend und fesselt dank der atmosphärisch beschriebenen Szenen (die zugegebenermaßen im Ablauf dem Klischee vieler Horrorfilme entsprechen) auch dann, wenn man genau weiß, wie der jeweilige Moment enden wird.
Das Finale wird sehr lange vorbereitet und besticht gerade durch die notwendige Improvisation der Figuren, als die wohl zurecht gelegten Pläne durcheinander geraten. Ob der Epilog nicht etwas länger hätte ausfallen können, und insbesondere die politischen Konsequenzen der Vorkommnisse noch hätten beleuchtet werden sollen, sei dahingestellt. So bringt Reliquary die Geschichte um die bekannten Figuren vorläufig zu einem zufrieden stellenden Abschluss.
Dass sich innerhalb der eineinhalb Jahre seit den Ereignissen in Relic etwas getan hat, sieht man schon an Hauptfigur Margo Green, die jene Horrornacht im Museum mit Training und Selbstverteidigung kompensieren möchte. D'Agosta und Pendergast scheinen dahingehend keine Blessuren davon getragen zu haben, wohingegen Bill Smithback seine Ängste in seiner oberflächlichen Arbeit zu kompensieren sucht. Den meisten Charakteren scheint es auch sehr wohl bekannt zu sein, dass sie sich auf Grund jener Nacht verändert haben, doch abgesehen von jener Charakteranalyse gibt es in Attic keine wirkliche Entwicklung. Nicht einmal Margo Green darf sich in ihrer Persönlichkeit verändern – vom unnahbar wirkenden Pendergast ganz zu schweigen.
Die privaten Hintergründe werden bei ihm bislang völlig außer Acht gelassen, ebenso bei Vincent D'Agosta, über dessen Familie man nichts Neues erfährt. Ein interessanter Neuzugang ist die Polizistin Laura Hayward, die aber gerade im letzten Drittel wenig zu tun bekommt, beziehungsweise in die Haupthandlung nicht mehr mit einbezogen wird. Mit Chief Horlocker und Captain Waxie bedienen die Autoren Preston und Child dabei lediglich bekannte Klischees, ohne den Charakteren neues Leben einzuhauchen. Selbst der Anführer der Untergrundbewegung Mephisto darf jenen engen Grenzen, denen er als Romanfigur unterworfen ist, nicht entfliehen. Angesichts der Tatsache, dass Attic mit einem halben Dutzend Hauptcharakteren und ebenso viel Nebenfiguren viel Spielraum für Charakterentwicklungen geboten hätte, ist es ein wenig enttäuschend, dass sich das Autorenduo lediglich auf Charakterstudien beschränkt.
Immerhin bleiben diejenigen sympathisch, mit denen man auch in Relic bereits mitfieberte.
An der sprachlichen Umsetzung gibt es nichts zu bemängeln, wer mit dem ersten Roman der beiden Autoren keine Schwierigkeiten hatte, wird sich auch im schnell erzählten und ebenso schnell gelesenen Stil von Douglas Preston und Lincoln Child zurecht finden. Einzig die vielen Beschreibungen, die für Außenstehende ein hohes Vorstellungsvermögen und dreidimensionales Denken abverlangen, können den Lesefluss etwas trüben. Doch genau diese Stellen tragen zur Authentizität des Romans bei.
Und legt man diese nach den nicht ganz 500 Seiten wieder aus der Hand, kommt man kaum umhin festzustellen, dass man genauso gut unterhalten wurde, wie bei Relic. Die Geschichte ist sehr flott erzählt und hält die ein oder andere Überraschung bereit, von denen nur manche aufgesetzt erscheinen. Und wer sich einen Einblick in die buchstäbliche Unterwelt New Yorks verschaffen möchte, ohne mit der vermutlich noch erschütternderen Realität Vorlieb zu nehmen, der wird sich in jenen Passagen regelrecht verlieren. Im Endeffekt sind es die sympathischen Charaktere, die Attic auszeichnen. Ebenso wie die Umgebung und die sehr gut aufgebaute Mythologie um die Monster in den Tunnelsystemen. Da stören auch Kleinigkeiten wie schablonenhafte Nebencharaktere oder absehbare Dialoge nicht – auch das gehört zu einem Popcorn-Roman.
Fazit:
Mit unendlich vielen Details schmücken die beiden Autoren Douglas Preston und Lincoln Child die Bilder der U-Bahntunnels von New York, der Abwassersysteme und der viele Stockwerke in die Erde hineinreichenden Architektur unterhalb der bekanntesten Stadt der Welt. Je genauer ihre Beschreibungen sind, umso plastischer wird die Umgebung, die in Attic beinahe schon wie eine eigenständige Figur eingebaut wird. In der Fortsetzung zu ihrem Bestsellerroman Relic – Museum der Angst nehmen sich die Autoren die bekannten Figuren vor, um sie erneut mit einer unvorstellbaren Situation zu konfrontieren.
Ihrem Abstieg in die Unterwelt New Yorks zu folgen, die Puzzlestücke zusammen zu suchen, die die schon früh gefundenen Zusammenhänge zwischen den monströsen Mördern im Untergrund und dem schrecklichen Monsters im Museum eineinhalb Jahre zuvor, vervollständigen, das machte für mich den Reiz des Buches aus. Und eben dank des perfekt vorbereiteten Finales, das auf mehreren Ebenen eingefädelt wird, um die größte Wirkung zu erzielen, steht Reliquary für mich auf selber Stufe wie Relic. Ohne Zweifel hätten den Figuren mehr Zeit beigemessen werden können, oder die Dialoge nicht nur unterhaltsam, sondern auch etwas spitzer ausfallen können. Doch für einen Vertreter der Pop-Literatur besticht Attic durch ein immens hohes Erzähltempo, das die atmosphärisch dichte Geschichte dem Leser so bildhaft nahe bringt, dass man nicht umhin kann, sich an der Seite der Figuren zu fühlen.
Das ist Child und Preston in ihrem ersten Pendergast-Roman gelungen, und auch hier haben sie es wieder geschafft. Mehr kann man von einem Monster-Horror nicht erwarten, zumal viele andere bedeutend weniger zu bieten haben. Wer Relic auf Grund dessen zu schätzen wusste, wird bei der Fortsetzung nichts zu bemängeln haben.