Nick Hornby: "A Long Way Down" [2005]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 26. Juni 2007
Autor: Nick HornbyGenre: Drama / Komödie
Originaltitel: A Long Way Down
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 257 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 2005
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2005
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-141-02577-8
Kurzinhalt:
An sich hatte sich der in Ungnade gefallene Fernsehmoderator Martin die Neujahrsnacht anders vorgestellt. Nach seiner sorgfältigen Vorbereitung wollte er sich eigentlich vom Dach eines Hochhauses in London stürzen. Doch scheint jener Fleck gerade in dieser Nacht sehr beliebt zu sein, denn zuerst taucht die allein stehende Maureen auf, um nach ihm zu springen, und auch die junge Göre Jess, die nicht nur unter einem Familientrauma leidet, möchte ihr Leben beenden. Zu guter letzt kommt der Möchtegern-Rockmusiker JJ hinzu.
Nach reiflicher Überlegung einigen sich die vier darauf, zuerst einmal die Nacht gemeinsam zu überstehen, und wenig später wird daraus notgedrungen eine Gemeinschaft, die zwar nicht miteinander auskommt, aber ohne einander auch keinen Sinn im Weitermachen sieht. So gehen sie zusammen die nächsten Wochen an, in der Hoffnung, wieder Hoffnung zu bekommen. Doch wie soll sich das Leben ändern, wenn man selbst gar nicht weiß, dass man sich dafür ebenfalls ändern muss ...
Kritik:
Beinahe 14.000 Menschen nehmen sich allein in Deutschland jedes Jahr das Leben; die Zahl der Selbstmordversuche liegt dabei noch über zehn Mal so hoch. Darüber nachgedacht haben laut Umfragen angeblich die allermeisten Menschen bereits. Nichtsdestotrotz, oder gerade deswegen, wird das Thema in der heutigen Gesellschaft meist "zu Tode" geschwiegen, der Freitod gilt in den populären Glaubensrichtungen als Sünde und wird meist gänzlich ignoriert – vom heldenhaften Harakiri abgesehen.
Und doch gibt es Zeiten im Jahr, da viele Menschen auf Grund von Depressionen und der Witterung keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Viele nennen es die Tat eines Feiglings, eine Aussage, die man nur dann treffen kann, wenn man es nie versucht hat; so Nick Hornby. Umso interessanter und aufschlussreicher ist es, wie der Autor das Tabuthema aufgreift, es trotz seiner Ernsthaftigkeit mit so viel Feingefühl und Humor erzählt, dass er die Suizidgefährdeten nicht auslacht, oder sie als Randgruppe der Gesellschaft hinstellt, sondern sie als ganz normale Menschen schildert, denen zu jener Zeit schlichtweg der Mut fehlt, weiterzumachen.
Es gibt einige Tage im Jahr, an denen die Menschen besonders deprimiert sind und sich am ehesten jenen Gedanken des Freitods hingeben. Weihnachten ist ein Zeitpunkt, gefolgt von Silvester und Valentinstag.
Der Autor greift hierbei auf den Beginn eines neuen Jahres zurück, um auch die Neubeginn für seine vier Figuren zu verdeutlichen. Gespickt durch etliche, unvorhersehbare Storywendungen, viele messerscharfe Dialoge und ebenso viel Selbstanalyse, geht es in A Long Way Down augenscheinlich um nicht so viel, wie man im ersten Moment vermuten würde. Vielmehr konzentriert sich die Geschichte auf wenige Einzelheiten der folgenden Monate, um die Station zu verdeutlichen, an denen Martin, Maureen, JJ und Jess Halt machen.
Dabei nutzt Nick Hornby auch 'einfache' Situationen, um die Sicht der Charaktere zu verdeutlichen, ihnen Tiefe zu verleihen und ihre Hintergründe zu erklären. Doch gerade dadurch bleibt der Roman bodenständig, glaubhaft und letztenendes auf eine gewisse Weise unvorhersehbar. Wer würde damit rechnen, dass gerade in alltäglichen Situationen die größten Herausforderungen liegen?
Das eigentlich interessante bei den verschiedenen Figuren ist, dass sie sich im Laufe des Romans nicht wirklich weiter entwickeln. So wird aus der vorlauten, durchgedrehten Jess am Ende der drei Monate keine brave Mustertochter, und auch der egozentrische Martin opfert seine Freizeit nicht uneigennützig für wohltätige Zwecke. Hornby geht es nicht darum, seine Geschichte durch absehbare und einfallslose Umwandlungen der Figuren mit Klischees zu beladen, sondern ermöglicht seinen Charakteren vielmehr, dass sie ihre Unzulänglichkeiten erkennen, und sich mit ihrer Situation arrangieren.
Dabei hat sich während des Buches daran nicht wirklich etwas geändert, ganz im Gegenteil; manche Figuren sind am Ende noch schlimmer dran als zuvor, nur haben sie eben gelernt, damit umzugehen und schöpfen Hoffnung daraus, dass es ihnen gelingen könnte, ihr Leben in Zukunft besser zu bestreiten. Ein Patentrezept versteckt sich dahinter nicht, doch eine Möglichkeit, und das ist es, was der Autor auch seinen Lesern nahe bringen möchte.
Insofern ist das Finale des Romans nicht enttäuschend, aber die Tatsache, dass jener große, erwartete Knall, oder aber ein Happy End in dem Sinne ausbleibt, überrascht. Manch ein Leser mag sich davon mehr erhofft haben.
In sprachlicher Hinsicht gibt es so Vieles, was an A Long Way Down gefällt, dass es schwer ist, das Buch niederzulegen.
Ganz offensichtlich sind dabei die verschiedenen Sprachstile, mit denen der Autor die Kapitel aus der Sicht der jeweiligen Figuren erzählt. Sowohl Martin, als auch Maureen, JJ oder Jess besitzen nicht nur eine ganz andere Ausdrucksweise, sondern legen bei ihren Beschreibungen auch Wert auf andere Details. So bilden sie zusammen doch einen Gesamteindruck, aber aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Man hat beinahe das Gefühl, als hätte Hornby seine Geschichte vier Mal aufgeschrieben und dann jeweils diejenige Perspektive gewählt, mit der sich am besten zum Ausdruck bringen lässt, was ihm daran wichtig war. So erhält der Roman auch in jedem Kapitel einen völlig anderen Erzählfluss, behält den Reiz des Unvorhersehbaren von der ersten bis zur letzten Seite und wird dazwischen nie langweilig.
Dank der pointierten Dialoge, der dargebrachten Lebensweisheiten, die hier als offensichtlich herausgestellt werden und der einzigartigen Intonation eines jeden Kapitels gehört Hornbys inzwischen vierter Unterhaltungsroman zu einem der interessantesten und abwechslungsreichsten der letzten Jahre.
Das ist es auch, was abgesehen von der unorthodoxen und unverkrampften Herangehensweise an den Stoff am längsten im Gedächtnis bleibt. Der Autor nutzt die Ausgangslage als Sprungbrett für einen ebenso humorvollen wie tiefgehenden Einblick die menschliche Seele, schildert seine Protagonisten nicht als diejenigen, die überleben wollen, sondern diejenigen, denen keine andere Wahl bleibt. Das ist mitunter traurig, meistens witzig, immer wieder erleuchtend und so einfallsreich und spritzig erzählt, dass die Seiten nur so am Leser vorbei fliegen.
Einzig das letzte Drittel des Romans hält weder an Tempo, noch an Sprachwitz ganz das, was der Beginn verspricht.
Fazit:
Die vier Figuren könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch haben sie eines gemeinsam: Sie machen alle zusammen einen ganz normalen Menschen aus, personifizieren die Träume und Gedanken eines jeden, und so fühlt man sich als Leser auf so viele Arten und Weisen angesprochen, wie man es kaum für möglich halten würde. Steht Martin für all die unnötigen Fehler, deren Konsequenzen man hat kommen sehen, kurz nachdem man sie begangen hat, verkörpert JJ alle Träume, die man hegte, mit deren Nicht-Erfüllung man sich aber abfinden musste. Jess artikuliert all jene wirren und viel zu schnellen Gedanken, die man selbst einfach hinunterschluckt, ohne sie auszusprechen, und Maureen bleibt jener logische Verstand, der sich mit der Situation zwar abgefunden hat, dessen Hoffnung auf Glück aber in eben jenem Moment mit begraben wurde.
Bleiben die vier Facetten bei einem selbst in Balance, kann man den heutigen Tag meistern – und morgen womöglich auch. Doch gerät dieses Gleichgewicht ins Wanken, ist nicht absehbar, wozu man fähig wäre. Und eben dafür steht A Long Way Down. Ohne dass man es merken würde, hält Hornby einem den Spiegel des Lebens vor, verpackt dies mitunter so nachdenklich und anregend, stellenweise witzig und pointiert, dass man von der Faszination der Situation und dem Werdegang der Figuren gar nicht lassen kann.
Hervorragend geschrieben, sprachlich meisterhaft und inhaltlich mit solch offensichtlichen und doch kaum beachteten Weisheiten versehen, überraschte mich der Roman von der ersten Seite an. Einerseits durch seine schonungslose Ehrlichkeit, andererseits durch die vielen Antworten, die man vielleicht schon kannte, die man aber auf Grund des eingeschränkten Blicks auf das persönliche Dasein nicht erkannt hat.
Wer A Long Way Down nicht weiterempfiehlt, hat nicht verstanden, weswegen es an erster Stelle schon wichtig ist, überhaupt auf das Dach des Hochhauses zu steigen.