Raya und der letzte Drache [2021]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. März 2021
Genre: Animation / Fantasy

Originaltitel: Raya and the Last Dragon
Laufzeit: 114 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Don Hall, Carlos López Estrada (Paul Briggs, John Ripa)
Musik: James Newton Howard
Stimmen: Kelly Marie Tran (Christina Ann Zalamea), Awkwafina (Maria Hönig), Izaac Wang (Francisco Palma Galisch), Gemma Chan (Gabrielle Pietermann), Daniel Dae Kim (Florian Clyde), Benedict Wong (Milton Welsh), Jona Xiao (Derya Flechtner), Sandra Oh (Katrin Fröhlich), Thalia Tran (Adeline Chétail), Lucille Soong (Margot Rothweiler), Alan Tudyk (Bruno Magne), Gordon Ip (Axel Malzacher), Dichen Lachman (Anne Düe)


Kurzinhalt:

Einst erblühte das Land Kumandra, in dem Drachen und Menschen in Einklang lebten. Als die Welt von den alles Leben verzehrenden Druun bedroht wurde, opferten sich die Drachen, um die Menschen zu beschützen. Die Druun schienen besiegt, doch die Menschen waren zerstritten. 500 Jahre später versucht König Benja (Daniel Dae Kim / Florian Clyde), die Länder zu versöhnen. Aber als das Drachenjuwel, in dem die magische Energie der Drachen gebündelt war, zerbricht, kehren die Druun zurück. Sechs Jahre später findet Benjas Tochter Raya (Kelly Marie Tran / Christina Ann Zalamea) endlich den letzten Drachen Sisu (Awkwafina / Maria Hönig) und hofft, mit ihr zusammen die Welt erneut vor der Bedrohung retten zu können. Doch dafür benötigen sie mehr als nur die einzelnen Bruchstücke des Drachenjuwels, die in allen Ländern Kumandras verstreut sind. Vielmehr muss Raya lernen, trotz ihrer Enttäuschungen anderen wieder zu vertrauen, denn allein können sie diese Herausforderung nicht bestehen …


Kritik:
Wie groß die Herausforderungen für Filmemacher Don Hall und Carlos López Estrada gewesen sein müssen, einen Animationsfilm wie Raya und der letzte Drache fertigzustellen, während sich ein Großteil der daran beteiligten Personen zwangsweise im Home Office befand, kann man nur erahnen. Ursprünglich für eine Kinoveröffentlichung kurz vor Weihnachten 2020 vorgesehen, erscheint das Fantasyabenteuer zumindest hierzulande verzögert exklusiv beim hauseigenen Streamingdienst Disney+ mit sogenanntem VIP-Zugang. Eine Frage, die sich daher natürlicherweise stellt ist, ob Raya und der letzte Drache den Premium-Aufpreis wert ist. Sie ist nicht so leicht zu beantworten und entscheidet sich letztlich am ehesten danach, wer sich die Geschichte um Drachen, verfeindete Menschen und Wesen, die alles Leben verzehren, anschauen wird.

Die Geschichte spielt in dem fiktiven Land Kumandra, in dem neben Menschen zahlreiche fantastische Wesen leben. So auch Drachen mit ihren magischen Eigenschaften. Als Kumandra von den Druun bedroht wird, die alles Leben in Stein verwandeln, opfern sich die Drachen für die Menschen in einer großen Schlacht, bei welcher der Drache Sisudatu, genannt Sisu, die magische Energie der Drachen in einen Edelstein bündelt. Die Druun werden besiegt, doch das friedliche Kumandra zerfällt in sich bekriegende Länder. Raya ist die Prinzessin des Landes Herz, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das magische Drachenjuwel zu beschützen. Als der Stein bei einem heimtückischen Angriff zerbrochen wird, kehren die Druun zurück. Sechs Jahre später schließlich findet Raya endlich den verschollenen Sisu und hofft, mit der Hilfe des letzten Drachen die Welt noch einmal retten zu können.

Liest man sich diese Inhaltsangabe durch, möchte man glauben, den ganzen Film gesehen zu haben. Tatsächlich beschreibt sie lediglich den circa 20 Minuten langen Prolog, der Raya als Jugendliche zeigt, und den Beginn der eigentlichen Geschichte. Raya und der letzte Drache nimmt sich viel Zeit, seine Mythologie vorzustellen in dem farbenfrohen und prächtigen Land Kumandra, das nach dem Befall durch die Druun zunehmend karg und austrocknet zurückbleibt. Mit Raya stellen die Pixelkünstler der Walt Disney Animation Studios eine neue Prinzessin vor, deren Entscheidungen unmittelbar mit dem Schicksal ihres Volkes verbunden sind. Dabei gestalten sie eine Welt, die eindrucksvoll detailliert und einnehmend einfallsreich erscheint. Angefangen von den fantastischen Wesen, bis hin zur Namensgebung der einzelnen Länder (Schweif, Klaue, Kamm, Zahn und Herz) – selbst der Flusslauf spiegelt die Verbundenheit mit den Drachen wider. Dies ist so ungewohnt und erfrischend, dass man beinahe das farbenfrohe und lebendige Design jener Welt übersehen könnte. Das Aussehen der Charaktere, allen voran der Titelfigur, ist erstklassig, die Farben und das Wasser geradezu atemberaubend. Mit ihrem treuen Begleiter Tuk Tuk stellt sich Raya einer Herausforderung, deren Größe sie gar nicht umfassen kann. Was genau Tuk Tuk ist, wird zwar nicht erklärt, doch allein mitanzusehen, wie der anfangs putzige kleine Käfer wenig später als Einradgeländewagen durch die Landschaft rollt, ist faszinierend.

Nicht zuletzt durch die Besetzung im englischen Original, die sich bewusst auf asiatischstämmige Sprecherinnen und Sprecher stützt, macht die sichtlich asiatisch geprägte Fantasymär Raya und der letzte Drache so Vieles richtig, dass es umso enttäuschender ist, wenn sich der Film diesen Vorsprung selbst zunichte macht. Dies liegt zum größten Teil an den Dialogen, die nicht so recht zu wissen scheinen, wie sie die Geschichte einordnen sollen. Scheint Kumandra wie ein Land vor langer Zeit, mit Gebräuchen und einer mystischen Kultur, sprechen die Figuren, als wollten sie sich dem Social Media-affinen jungen Publikum anbiedern. Sei es, indem wörtlich auf „Dance Battles“ hingewiesen, oder ein „Einkaufsbummel“ vorbereitet wird. Tritt der Drache Sisu in Aktion, wird oftmals verkrampft versucht, sowohl Wortwitz als auch Slapstick-Humor und alberne Situationskomik in die jeweiligen Szenen einzubauen. All dies mit Verweisen auf die heutige Zeit oder Haustiere, die es in der Fantasywelt so gar nicht zu geben scheint. So klingen die Dialoge insgesamt, als seien sie von mehreren Autorinnen bzw. Autoren geschrieben worden. Beinahe, als wäre ursprünglich eine ernstere Fantasy-Story erzählt worden, die im Nachhinein mit – leider fehlplatzierten – witzigen Kommentaren aufgepeppt werden sollte. Figuren wie die drei Ongis samt dem diebischen Kleinkind Little Noi könnten eher Kung Fu Panda [2008] entsprungen sein, während der hühnenhafte Tong nicht nur vom Aussehen her an einen Tavernen-Bewohner aus Rapunzel - Neu verföhnt [2010] erinnert.

Raya und der letzte Drache versucht stilistisch so viele Elemente zu vereinen, dass die Macher bei allem Kopieren der offensichtlichen Einflüsse vergessen, ihrem Fantasyabenteuer eine eigene Identität zu verleihen. Das schlägt sich auch in der spürbar laut eingespielten, musikalischen Untermalung durch James Newton Howard nieder, der viele verschiedene Themen präsentiert, dessen Score aber keine eindeutige Handschrift erkennen lässt. Gegen Ende des Abspanns verraten die Macher, dass 400 Beschäftigte von Zuhause arbeiteten, um den Animationsfilm fertig zu stellen. Vielleicht erklärt dies, weshalb er von so vielen Handschriften gezeichnet erscheint, anstatt einen Stil zu repräsentieren. Womöglich fehlte den Beteiligten auch der persönliche Austausch, der unbestritten die Kreativität bei einer Gemeinschaftsproduktion beflügelt. Was immer der Grund, in der vorliegenden Fassung mag das vielversprechende Fantasyabenteuer vor allem für ein ganz junges Publikum tadellose Unterhaltung bieten. Alle anderen werden jedoch zumindest von manchen Aspekten enttäuscht werden.

Anders sieht es hingegen bei dem mit Raya und der letzte Drache präsentierten Kurzfilm Us Again [2021] aus, der ohne Worte von einem älteren Paar erzählt. Mit einem ansteckenden Rhythmus und Musik im Blut versehen, erwartet das Publikum hier eine wundervolle Aussage, die generationenübergreifend berühren wird. Schade, dass der Spielfilm dem nicht gerecht wird.


Fazit:
Waren die vorigen Filme von Walt Disney Animation Studios wie Rapunzel - Neu verföhnt, Vaiana [2016] oder auch Die Eiskönigin - Völlig unverfroren [2013] spürbar geprägt vom Einfluss der Pixar Animation Studios, erinnert Raya und der letzte Drache mehr an eine Produktion von DreamWorks Animation. Es gibt hier viele bewegende Momente und berührende Bilder zu entdecken. Nicht zuletzt eine gelungene und wichtige Aussage über Vertrauen und was es ermöglicht. Insofern sind die Druun ein tolles Sinnbild, das die Missgunst der Gesellschaft verkörpert. Doch was diese eindrucksvollen Momente zusammenhält, wird der zugrundeliegenden, mystischen Idee nicht gerecht. Die im Grunde eher ernste Story wird durch gezwungen „hippe“ Dialoge und teils zu albernen Humor einer eigenen Identität beraubt. Man stelle sich den klassischen Zeichentrickfilm Aladdin [1992] mit einem halben Dutzend Dschinnis darin vor. Eine wirkliche Mystik stellt sich so nicht ein und es darf bezweifelt werden, ob Raya und der letzte Drache so gut altern wird, wie die vorgenannten Filme. Ein sehr junges Publikum wird sich daran nicht stören, vielmehr werden Kinder durch die eingängige Action, die bunten Bilder und eben jenen Humor unterhalten. Ob sie das vielversprechende und im Kern inspirierende Abenteuer jedoch in einigen Jahren mit Staunen wieder werden besuchen wollen, darf bezweifelt werden. In Anbetracht des Potentials für ein zeitloses Fantasyabenteuer für die ganze Familie, ist das letztlich leider doch enttäuschend. Schade.