Transsiberian [2008]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. Juli 2010
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Transsiberian
Laufzeit: 111 min.
Produktionsland: Spanien / Deutschland / Großbritannien / Litauen
Produktionsjahr: 2008
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Brad Anderson
Musik: Alfonso Vilallonga
Darsteller: Woody Harrelson, Emily Mortimer, Ben Kingsley, Kate Mara, Eduardo Noriega, Thomas Kretschmann, Etienne Chicot, Mac McDonald, Colin Stinton, Perlis Vaisieta, Mindaugas Papinigis, Mindaugas Capas, Visockaite Sonata, Larisa Kalpokaite, Valentinas Krulikovskis


Kurzinhalt:
Nachdem sie mit Roys (Woody Harrelson) Kirche ein Kinderhilfsprojekt in Asien erfolgreich auf den Weg gebracht haben, sitzen er und seine Ehefrau Jessie (Emily Mortimer) im transsibirischen Zug nach Moskau. Es ist eine tagelange Fahrt, bei der Roy seinem Faible für alte Loks und Jessie ihrer Liebe für die Fotografie nachkommen können. Nach einem Stopp trifft das Paar auf Abby (Kate Mara) und Carlos (Eduardo Noriega), die mit ihnen das Abteil teilen. Während Jessie dem ungleichen Duo misstrauisch gegenüber steht, ist Roy den neuen Freunden aufgeschlossen. Dabei erinnern sie Jessie an das Leben, das sie vor Roys Zeiten geführt hatte. Es ist eine Versuchung, der sie nur schwer widerstehen kann.
Dann betritt der altgediente russische Drogenfahnder Grinko (Ben Kingsley) den Zug und Jessie ahnt, was es mit der zufälligen Reisebekanntschaft auf sich hat ...


Kritik:
Müsste man sich als jemand, der nie in Sibirien gewesen ist, auf Anfrage vorstellen, wie es dort aussehen sollte, dann käme man vermutlich auf Bilder, wie sie in Transsiberian gezeigt werden: karge Schneelandschaften, eine ländliche Bevölkerung, die vom Prunk und der Industrialisierung der Großstädte unberührt geblieben ist und eine Infrastruktur, die städtischen Menschen von der ersten Begegnung an Unbehagen bereiten würde. Ob das Bild, das Regisseur Brad Anderson von jenem Teil Russlands zeichnet realistisch ist, sei dahingestellt. Es wirkt authentisch. Ebenso wie Roy und Jessie, die auf der Rückreise von einem erfolgreichen Kirchenprojekt eine mehrtägige Zugreise nach Moskau antreten. Es mutet wie eine Pilgerreise an, was sie auf sich laden, und während die lebenserfahrene Jessie erkennt, welche Menschen sie in Abby und Carlos vor sich hat – nämlich jemanden, der nicht viel anders ist wie sie selbst – scheint Roy gegen solche Erkenntnisse immun zu sein. Beiden Sorten von Menschen ist ein jeder schon einmal begegnet, vielleicht besitzt man selbst auch Charakterzüge von ihnen. Und nicht zuletzt darum macht einen ihr Verhalten mit der Zeit wütend. Während Roy jedes Warnsignal übersieht, das von ihren Reisenachbarn ausgeht, erkennt sie Jessie und steigt trotzdem auf Carlos Offerten ein. Sie lässt sich von einer Versuchung locken, die ihren Ursprung in ihrer Vergangenheit besitzt, und setzt damit ihre Zukunft aufs Spiel. Auf sie beide legt das Drehbuch von Transsiberian bedeutend mehr Wert, als auf die übrigen Charaktere. Was es mit Abby und Carlos auf sich hat, reimt man sich als Zuseher in den ersten beiden Dritteln des Films selbst zusammen, ist dabei aber Roy und Jessie immer einen Schritt voraus. Auch wie sich die Situation entwickelt, wenn Jessie allein mit Carlos auf eine Erkundungstour eines abgeschiedenen Flecks in Sibirien geht, nachdem Roy aus Versehen den Zug verpasste und mit einem Tag Verspätung nachfährt. Der abgeschiedene Moment in einer Kapellenruine ist ein Paradeschauplatz für einen folgenschweren Fehltritt. Wie Regisseur Anderson die Szene auflöst ist hingegen überraschend und scheint gleichzeitig wie ein Befreiungsschlag für die Erzählung zu wirken, die bis zu jenem Moment eine bedrückende Atmosphäre bot, nun aber endlich eine Bedrohung für die Charaktere aufbaut. Auch wenn es Jessie als Figur nicht sympathischer gestaltet, wühlt es dennoch auf mitzuerleben, wie ihre Entscheidungen ein Eigenleben entwickeln, aus dessen Labyrinth sie nicht mehr entkommen kann. Zumal sie den einzigen Sympathieträger, Roy, damit ebenso ins Verderben reißt.

Wirkt jener Moment wie ein Zäsur in der Geschichte, erfolgt zu Beginn des letzten Drittels ein weiterer Knick. Beginnt Transsiberian wie eine stille Charakterstudie vor einer atemberaubend unterkühlten Kulisse, entwickelt sich der Film zuerst in ein Drama, ehe ein thrillerlastiges Finale den Abschluss bildet. Diese Aufteilung macht den Auftakt nicht nur unnötig zäh, sondern hinterlässt auch einen sehr uneinheitlichen Eindruck. Zweifellos ist der Regisseur darum bemüht, mit den ersten Szenen einen Brückenschlag zur eigentlichen Handlung zu finden, und selbstverständlich gehören auch Abby und Carlos zur grundsätzlichen Geschichte. Nur fühlt sich Transsiberian über weite Strecken so an, als könnte sich das Drehbuch nicht entscheiden, was es sein will. Dabei scheint der Film außerdem aus den Augen zu verlieren, was er eigentlich aussagen möchte. Bis es soweit ist, überzeugt die internationale Produktion mit engagierten Darstellern, die sich durchweg Mühe geben, ihre Figuren authentisch zu gestalten. Auch die malerischen, aber beunruhigenden Bilder tragen zum Ambiente des Films bei. Regisseur Anderson gelingt es ausgesprochen gut, eine Stimmung zu erzeugen, die keine Zweifel offen lässt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Würde sich die Erzählung früher entscheiden, welche Richtung sie einschlagen möchte, würde der Film einen besseren Gesamteindruck hinterlassen. Für zarte Nerven ist das letzte Drittel dabei nicht geeignet, auch wenn heutzutage in manchen Fernsehserien schon Schlimmeres gezeigt wird.


Fazit:
Woody Harrelson und Emily Mortimer tragen auf Grund ihrer unerwarteten Rollenverteilung die ungewöhnliche Erzählung. Ben Kingsley hält sich bewusst zwiespältig, während Kate Mara und Eduardo Noriega sowie Thomas Kretschmann eindeutig auf der gegenüberliegenden Seite angesiedelt sind. Herausgekommen sind glaubhafte Charaktere vor einem stimmigen Hintergrund. Transsiberian erweckt den Eindruck, in jenen Gegenden gedreht worden zu sein, selbst wenn man selbst nie dort gewesen ist. Und auch was die Figuren tun, was geschieht und wie sich die Situationen entwickeln ist glaubhaft.
Nur fehlt es an einer Figur, der man unumwunden durch jene Momente hindurch folgen möchte. Und auch die Erzählung selbst erfindet sich in ihrer Stimmung zu oft neu, als dass man gepackt würde. Wer interessiert bleibt, wird am Schluss vermutlich Schwierigkeiten bekommen, den Film einzuordnen. Transsiberian entzieht sich in weiten Teilen jener Kategorisierung.