Miller’s Girl [2024]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 6. März 2024
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: Miller’s Girl
Laufzeit: 93 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Jade Halley Bartlett
Musik: Elyssa Samsel
Besetzung: Martin Freeman, Jenna Ortega, Gideon Adlon, Bashir Salahuddin, Dagmara Domińczyk, Christine Adams, Augustine Hargrave, Elyssa Samsel


Kurzinhalt:

Cairo Sweet (Jenna Ortega) kann im Grunde alles haben, was sie will. Sie wohnt in einem riesigen Haus, das für viele wie ein Spukhaus anmutet. Ihre Eltern, beide Anwälte, sind nie zuhause. Gerade erst ist Cairo 18 Jahre alt geworden, aber das Erwachsensein fühlt sich für sie nicht anders an. Ihre Freundin Winnie (Gideon Adlon) rät ihr, als Cairo sich beschwert, dass sie im Leben noch nichts geleistet hat, dass sie einen Aufsatz darüber schreiben könnte, wie eine junge Frau einen älteren Mann verführt. Die jungen Frauen sind sexuell unerfahren, aber selbstbestimmt und mutig, dies auch einzufordern. Zwar geht Cairo nicht darauf ein, aber als sie ihren Literaturdozenten Jonathan Miller (Martin Freeman) erblickt, wittert sie eine Chance. Sie sucht seine Aufmerksamkeit und Miller, der in seiner Ehe mit der Autorin Beatrice (Dagmara Domińczyk) kaum mehr glücklich ist, fühlt sich von den Avancen geschmeichelt. Zusehends verfällt Miller der jungen Cairo, die auf Grund ihres Musikgeschmacks und ihrer Belesenheit reifer wirkt, als ihr Erscheinungsbild vermuten lässt. Doch als er sie zurückweist, tritt die gekränkte Cairo Ereignisse in Gang, die Millers ganze Existenz bedrohen …


Kritik:
Jade Halley Bartletts Spielfilmregiedebüt Miller’s Girl über eine bestenfalls unangemessene Beziehung zwischen Lehrer und Schülerin trägt seine Aura des verrucht Verbotenen derart plakativ vor sich her, dass man sich beständig fragt, wann das durchaus erotisierend inszenierte Drama die nicht minder provokanten Fragen im Kern offenlegt und behandelt. Doch hierzu kommt es nicht. Stattdessen verharrt die Erzählung in einer Oberflächlichkeit, bei der es auch angesichts des Endes schwerfällt, irgendetwas mitzunehmen.

Die Geschichte klingt, als hätte man sie nicht erst einmal gehört. Der 18jährigen Cairo Sweet mangelt es abseits ihrer ständig verreisten Eltern im Grunde an nichts. Außer an einer Perspektive und dem Gefühl, etwas erreicht zu haben. Auf die Frage in ihrer Collegebewerbung, was sie in ihrem Leben geleistet hat, weiß die belesene Einserschülerin, die ihre Enttäuschung darüber, dass sie keine Änderung in ihrem Leben spürte, als sie volljährig wurde, keine Antwort. Ihre Freundin Winnie schlägt ihr einen Essay darüber vor, wie eine junge Frau einen älteren Mann verführt. Obwohl Cairo die Idee ablehnt, findet sie in dem Lehrer und ehemaligen Autor Jonathan Miller ein passendes Studienobjekt. Der nette Mann mittleren Alters wirkt unscheinbar und versucht durchaus, seinen Schülerinnen und Schülern in der Literaturvorlesung etwas mitzugeben. Als er sieht, dass Cairo sein einziges Buch gelesen hat, fühlt er sich geschmeichelt und in ihren Gesprächen erkennt er Cairos Potential. Er will sie fördern und kommt ihr dabei näher, als es für einen Lehrer und dessen Schülerin angemessen ist.

Selbst für Jonathans Kollegen Boris ist dabei unübersehbar, wie offensichtlich Cairo ihn anflirtet – und wie bereitwillig er dies akzeptiert. Gleichzeitig lässt Boris jedoch zu, dass Winnie dasselbe bei ihm versucht. Mit einfachen Mitteln, aufreizender Kleidung, persönlichen Nachrichten und Blicken, die so viel mehr aussagen, als sich in Worte fassen lässt, verführt Cairo Jonathan, der lange Zeit darauf nicht eingeht, es aber auch nicht unterbindet. Er erzählt sogar seiner Frau Beatrice davon. Doch wie Miller’s Girl herausarbeitet, ist gerade seine Ehe ein Grund dafür, weshalb sich Jonathan nicht gegen die Avancen wehrt. Beatrice ist eine erfolgreiche, alkoholabhängige Autorin. Die Beziehung ist kühl, funktioniert aber auf Grund des Status Quo. Während Jonathan nach den wenig schmeichelhaften Kritiken auf sein erstes und einziges Buch die Schreibmaschine gegen das Lehrerpult getauscht hat, streitet sich Beatrice, deren neuster Roman nicht vorankommt, regelmäßig mit ihrer Verlegerin. Wenn sie in einem entblätternden Dialog Jonathan herausfordert, wieder zu schreiben, da alles, was ihm im Wege steht, er selbst ist, will sie letztendlich dasselbe wie Cairo für ihn – doch die junge Frau versucht, ihn mit positiven Aussagen aus der Reserve zu locken und zu ermuntern, anstatt ihn zu demütigen.

Auf den ersten Blick erzählt Miller’s Girl eine Geschichte über Verführung und Verlangen, in der auch diejenige des gekränkten Jonathan liegt, der sich in der Sicherheit der Mittelmäßigkeit und der Demütigung zu wohl fühlt, als dass er für seine Ambitionen kämpfen und die Komfortzone verlassen würde. Als er Cairos Aufreizungen jedoch nicht nachkommt, beschließt diese aus der Kränkung heraus, sich zu rächen. In dem besten Dialog des Films verschiebt Filmemacherin Bartlett dabei die Perspektive und spiegelt so gekonnt wider, wie die Figuren zueinander stehen. Will Jonathan als der lebenserfahrene Erwachsene Cairo anfangs Einhalt gebieten, blickt und redet auf sie herab. Doch dann dreht sie kurze Zeit später den Spieß um, wobei sich auch der Blickwinkel ändert, so dass Cairo urplötzlich über Jonathan zu stehen scheint. Die Szene ist in jeder Hinsicht, auch was die darstellerischen Leistungen von Jenna Ortega und Martin Freeman anbelangt, das Highlight der im Grunde kurzen Erzählung, die sich aber länger anfühlt. Sie offenbart in dem Dialog eine Schärfe und ein Bedacht auf die gewählten Worte, die in Cairo personifiziert werden. So beißend wortgewandt die junge Frau ist, sie ist gleichzeitig oberflächlich und unreif, eben so, wie Miller’s Girl die Figuren vorstellt, ohne sie jedoch zu vertiefen.

Am Ende erscheinen die weiblichen Figuren durchweg manipulativ niederträchtig und mit einer Ausnahme ohne jegliche Einsicht oder dass sie aus der Tragödie, die sich abspielt, irgendetwas lernen würden. Da Miller’s Girl gerade dann endet, wenn andere Geschichten die Charaktere an den Punkt bringen, an dem sie ihre eigenen Handlungen reflektieren und Konsequenzen daraus ziehen müssen, drängt sich die Frage auf, was Regisseurin Jade Halley Bartlett mit alledem tatsächlich aussagen will. Stellenweise vulgär, aber durchaus sinnlich in Szene gesetzt, bleibt die Erzählung einen Abschluss ebenso schuldig, wie eine Auseinandersetzung mit dem Kern des Themas. Das ändert nichts an den sehenswerten Darbietungen oder den geschliffenen Dialogen. Auch die Inszenierung selbst gefällt mit tollen Bildern, die oftmals überaus stylisch in Zeitlupe eingefangen sind, als wollte man daraus Social Media-taugliche Werbeclips machen. Doch ist all das nur Fassade, so wie Cairos steinerne Miene, wenn sie das Leben ihres Opfers ruiniert – oder seine, wenn er dies endlich erkennt. Die kräftezehrende Aufarbeitung all dessen bleibt der Film schuldig und gerät damit am Ende so papierdünn wie seine Hochglanzbilder.


Fazit:
„Jugendliche Mädchen sind gefährlich“, warnt ihn Jonathans Frau, nachdem es im Grunde bereits zu spät ist. Auch zu spät, dass Jonathan eine Lehre daraus ziehen könnte und weder er, noch Cairo oder irgendeine andere Figur scheint aus den Ereignissen etwas zu lernen. Das Porträt einer Ehe, die eine selbstgewählte Bestrafung darstellt, wird ebenso wenig vertieft, wie welche Bedürfnisse Cairos manipulative Oberflächlichkeit offenlegt. Filmemacherin Jade Halley Bartlett kleidet die Geschichte in tolle Bilder und findet eine teils sehenswerte und gelungene Inszenierung, die das Geschehen fantastisch unterstreicht. Auch die lyrischen, pointiert geschliffenen Dialoge sind erstklassig, wie auch die zentralen Darbietungen sehenswert. Doch die Geschichte eines unerfüllten Verlangens und in welche Abgründe eine Verletzung durch Zurückweisung führen kann, ist inhaltlich überaus absehbar und der fehlende Abschluss beraubt sie sowohl eines Thriller-Elements als auch einer kathartischen Auflösung. Miller’s Girl erzählt zwar außerdem davon, dass eine Grenze zwischen Lehrer und Schülerin überschritten wurde, aber anstatt zu erörtern, wo diese Grenze liegt, konzentriert man sich darauf, wie eine Seite die Tatsache allein nutzt, um die andere Person zu vernichten. Das ist chic anzusehen, aber letztlich so oberflächlich wie die Figuren selbst. Zäh ist es gerade deshalb obendrein.