The Persian Version [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. Dezember 2023
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: The Persian Version
Laufzeit: 107 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Maryam Keshavarz
Musik: Rostam Batmanglij
Besetzung: Layla Mohammadi, Niousha Noor, Bijan Daneshmand, Bella Warda, Jerry Habibi, Arty Froushan, Andrew Malik, Tom Byrne, Samuel Tehrani, Ash Goldeh, Chiara Stella, Kamand Shafieisabet, Shervin Alenabi, Sachli Gholamalizad


Kurzinhalt:

Dass ihre Eltern Shireen (Niousha Noor) und Ali Reza Jamshidpour (Bijan Daneshmand) aus dem Iran in die USA gekommen waren und dort blieben, ist Leila (Layla Mohammadi) als einziges Mädchen unter acht Brüdern bekannt. Doch dass es in der Vergangenheit ihrer Eltern einen Skandal gegeben haben soll, wie ihre Großmutter Mamanjoon (Bella Warda) ihr erzählt, ist Leila neu. Für sie ist das umso interessanter, da die Beziehung zwischen Mutter und Tochter seit jeher schwierig ist und vollends zerbrach, als Leila erklärte, dass sie lesbisch ist und eine Frau heiratete. Die Ehe ist zwischenzeitlich geschieden, aber nicht nur, dass Shireen die sexuelle Orientierung ihrer Tochter nicht akzeptiert, sie macht sie sogar für die Herzprobleme ihres Vaters verantwortlich, der seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, was die Existenz der gesamten Familie bedrohte. Es war eine Situation, in der die ohnehin starke Shireen über sich hinauswuchs. Als Leila den Werdegang ihrer Mutter mit Mamanjoons Hilfe näher beleuchtet, findet sie nicht nur Vieles über eine Frau heraus, die sie im Grunde kaum kennt, sondern entdeckt vor allem ein Verständnis, das sie zuvor nicht hatte – bis eine Nachricht Leilas Leben aus der Bahn wirft …


Kritik:
Maryam Keshavarz’ The Persian Version ist eine andere Art Film, als man erwarten würde. In dieser Beziehung spiegelt die Filmemacherin vermutlich am treffendsten wider, was sie erwartete, als sie in die eigene Familiengeschichte abtauchte, die sie hier „so in etwa“ nacherzählt, wie es eingangs heißt. Ihr Porträt einer iranisch-amerikanischen Einwandererfamilie ist dabei nur der Hintergrund für eine viel persönlichere Annäherung, die den emotionalen Kern des Films ausmacht. Das ist mitunter witzig, mitunter tragisch, aber stets authentisch und inspirierend gleichermaßen.

Erzählt wird The Persian Version wortwörtlich von Leila, die als einziges Mädchen unter acht Brüdern früh lernen musste, sich zu behaupten. Ihre Eltern Shireen und Ali Reza Jamshidpour kamen als Einwanderer in die USA, da Ali als Arzt eine gefragte Fachkraft war. Aus einer Auslandstätigkeit, die ursprünglich fünf Jahre dauern sollte, wurde ein Leben in einem neuen Land. Ihre Kinder sind zum großen Teil dort geboren und aufgewachsen. Zusammen mit ihrer Tochter Leila konnte Shireen regelmäßig in den Iran zurückreisen, ohne Gefahr zu laufen, dort zum Militärdienst herangezogen zu werden. So wuchs Leila in zwei Welten auf, in denen sie sich jeweils wie eine Außenseiterin fühlte. Für die USA war sie zu iranisch, für die Menschen dort zu sehr vom Westen geprägt. Ihre Mutter empfand sie seit jeher als einschüchternd und als Leila eine andere Frau heiratete, kam es zum Bruch zwischen Mutter und Tochter, der sich in der Folge nur verstärkte. Nun, da Leilas Vater viele Jahre, nachdem eine Herzerkrankung ihn dazu zwang, seine Arbeit aufzugeben, ein Spenderherz erhalten soll, versucht Leila, die als Autorin und Filmemacherin respektable Erfolge feiern konnte, ihre Mutter dadurch besser zu verstehen, dass sie nicht nur ihre Beziehung zueinander in einem Drehbuch aufarbeitet, sondern sich auch ihren Werdegang selbst genauer ansieht. Ausgangspunkt dafür ist die Aussage ihrer Großmutter, dass es im Leben ihrer Eltern einen „Skandal“ gegeben haben soll.

Diese Entdeckungsgeschichte kommentiert Leila regelmäßig, in dem sie sich unmittelbar an das Publikum richtet, wobei sie dabei nicht die einzige Person bleibt. So befremdlich dieses Stilmittel oftmals erscheint, in The Persian Version hat es zur Folge, dass sich das Publikum gewissermaßen fühlen kann, als würde man die Familiengeschichte nicht nur erleben, sondern als würde sie einem erzählt. Dabei wählt Filmemacherin Keshavarz als Ansatz nicht nur den Werdegang der Familie selbst. Sie schildert vor diesem Hintergrund, in welcher Umgebung Leila einerseits aufgewachsen ist, ehe sie ihre Nachforschungen weit in das Leben ihrer Mutter zurückführen. In langen Rückblicken werden deren Aufwachsen im Iran, ihre Erfahrungen als junge Ehefrau und Mutter beleuchtet. Keshavarz verurteilt die kulturellen Eigenschaften dieser Wegstationen nicht, sondern schildert sie neutral. Sei es, dass Shireen erst 13 Jahre alt war, als sie mit dem neun Jahre älteren Ali verheiratet wurde, oder dass sie nicht die Möglichkeit bekam, die Schule zu beenden. Wäre man vorschnell, Leilas Mutter zuvor dafür zu kritisieren, wie sie mit ihrer Tochter umgeht, dass sie ihre sexuelle Orientierung ablehnt, oder dass sie Leila in Kindertagen für die Hausarbeit heranzog, ihre älteren Brüder aber nicht, nimmt das Porträt dieser Frau im Verlauf immer mehr Gestalt an.

Was Leila findet, ist keine Frau, die durch Härte und Bitterkeit definiert wird, sondern deren einschüchterndes Auftreten vielmehr daher rührt, was sie alles erreicht hat. Wie sie als Mutter von neun Kindern für die Familie sorgen musste, als ihr Mann nach 20 Jahren in den USA seinen Beruf aufgeben musste. Shireen musste sich um ihn kümmern, die Familie zusammenhalten, eine Ausbildung absolvieren und ihren Schulabschluss nachholen. Die Bewunderung der Filmemacherin für die Leistungen dieser Frau sind geradezu spürbar, doch es ist die Art und Weise, wie sie bereits in jungen Jahren mit einer unvorstellbaren Bürde umging, welche Größe sie zeigte, die The Persian Version nachhaltig prägt. Zu sehen, wie die nie einfache Beziehung zwischen Mutter und Tochter um eine Ebene des Verständnisses erweitert wird, ist berührend und inspirierend zugleich. Vor allem jedoch ist dies insbesondere von Niousha Noor sowie von Kamand Shafieisabet in der Rolle der Shireen in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens hervorragend und packend zum Leben erweckt.

Dem gegenüber gestaltet sich die Suche von Leila nach ihrem Platz in der Familie, als ihr Leben urplötzlich auf den Kopf gestellt wird und sie sich nur noch mehr als Außenseiterin fühlt, weit weniger interessant und auch die zahlreichen Unterbrechungen, wenn sie die vierte Wand durchbricht und in mehreren Zeitebenen zurückblickt, lassen den Erzählfluss ein wenig stocken. Dafür entschädigt The Persian Version mit einer geradezu heimeligen Atmosphäre innerhalb der iranischen Familie, trotz der Differenzen zwischen Mutter und Tochter. Diesen Zusammenhalt zu sehen, wohin er führt und welche abgebrochenen Brücken er zu überwinden vermag, macht Hoffnung und weckt ein kulturelles Verständnis, das ebenso nachwirkt, wie das Porträt dieser zwei Frauen im Zentrum.


Fazit:
Es ist vielleicht das natürlichste Bedürfnis des Erwachsenwerdens, nicht so werden zu wollen, wie die eigenen Eltern, zeichnet dies doch die eigene Individualität in Anbetracht der wichtigsten Bezugspersonen aus. Filmemacherin Maryam Keshavarz nähert sich Leilas Mutter Shireen nicht dadurch, dass sie die Gemeinsamkeiten zwischen beiden herausstellt, sondern vielmehr, indem sie in Leila ein Verständnis dafür weckt, welche Erfahrungen ihre Mutter zu der Person gemacht haben, die sie ist. Shireens Geschichte zeichnet das Bild einer Frau, die zu stolz und dickköpfig ist, Schulden aufzunehmen, um ihre Familie vor dem bankrott zu bewahren, die Leilas Hilfe in Anspruch nimmt, ihre Söhne aber nie fragen würde. Was sie zu der Person machte, die sie ist, ist tragisch, in welche Stärke sie ihre Erfahrungen verwandelt, beeindruckend und inspirierend. The Persian Version erzählt im Zentrum einer authentischen Einwanderergeschichte ein Porträt iranischer Frauen. Die zwei so unterschiedlichen Werdegänge von Mutter und Tochter sind ein Plädoyer für Verständigung und Akzeptanz gleichermaßen. Toll gespielt, ist das oft amüsant und witzig, mitunter auch berührend und unerwartet emotional, aber stets greifbar. Schön!