Wochenendrebellen [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. September 2023
Genre: Komödie / Drama

Laufzeit: 109 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Marc Rothemund
Musik: Hans Hafner, Johnny Klimek
Besetzung: Florian David Fitz, Cecilio Andresen, Aylin Tezel, Florina Siegel, Joachim Król, Petra Marie Cammin, Milena Dreissig, Leslie Malton, Tilo Nest, Michaela Wiebisch


Kurzinhalt:

An die ganz individuellen Bedürfnisse ihres Sohnes Jason (Cecilio Andresen) als Asperger Autist konnten sich Mirco (Florian David Fitz) und Fatime (Aylin Tezel) gewöhnen, je älter er wurde. Inzwischen ist Jason 10 Jahre alt und wird in der Schule tagtäglich mit Situationen und Menschen konfrontiert, die er nicht versteht und seine Welt für ihn zum Einstürzen bringen. Mirco umgeht das anspruchsvolle Zusammenleben, indem er als Außendienstmitarbeiter überwiegend unterwegs ist und auch auswärts übernachtet. Fatime hingegen hat nicht nur ihren und Jasons Alltag zu bewältigen, sondern auch seine jüngere Schwester Lucy (Florina Siegel), um die sie sich kümmern muss. Die Spannungen in der Schule steigen und als Jason erfährt, dass alle seine Mitschülerinnen und Mitschüler einen Lieblingsfußballverein haben, möchte er auch einen. Doch um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, will er sie alle in Aktion gesehen und nach bestimmten Kriterien bewertet haben. Alle 56 Vereine der ersten, zweiten und dritten Bundesliga. Mirco macht ihm daher einen Vorschlag. Er besucht mit seinem Sohn je Wochenende eine Fußballmannschaft in deren Stadtion, wenn Jason sich in der Schule nicht mehr so leicht provozieren lässt. Es beginnt eine Entdeckungsreise, bei der Jason einen Fußballverein sucht und Mirco das Verständnis dafür, wie sein Sohn die Welt sieht …


Kritik:
In dem auf wahren Ereignissen basierenden Wochenendrebellen erzählt Filmemacher Marc Rothemund die Geschichte einer Familie, die mit den Herausforderungen zurechtzukommen versucht, die der Alltag mit ihrem autistischen Sohn Jason mit sich bringt. Betont leichtfüßig erzählt, erschließt sich damit ihr komplexes Leben einem breiten Publikum, selbst wenn viele Facetten nur angerissen werden und die Erzählung selbst altbekannten Mustern folgt. Dafür gibt es ein unerwartetes, verbindendes Element.

Für Mirco und Fatime klingt es wie ein vernichtendes Urteil, als eine Ärztin ihnen mitteilt, dass ihr Sohn Jason ein Asperger Autist sei. Wie sich dies bei der Entwicklung des Kleinkinds auswirken wird, kann sie zwar nicht sagen, doch mit den Worten „Autismus ist eine Behinderung und nicht heilbar“, nimmt sie den jungen Eltern beinahe den Lebensmut. Als Jason 10 Jahre alt ist, haben sie sich mit vielen seiner Anforderungen arrangiert, die er sogar in Familienregeln festgehalten hat, die am Kühlschrank einsehbar sind. Dass kein Essen verschwendet wird, beispielsweise, oder dass sich auf seinem Teller die einzelnen Bestandteile des Essens, wie Gemüse, Soße oder Nudeln, nicht vermischen dürfen. Doch andere Verhaltensweisen sind nicht nur für Außenstehende schwerer zu verstehen. Wenn Jason eine ältere Frau anbrüllt, die auf „seinem Platz“ an der Bushaltestelle sitzt, oder er die Religionslehrerin in der Schule als Verschwörungstheoretikerin bezeichnet. Es kommt auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, die die Rektorin feststellen lässt, dass die Schule für Jasons Bedürfnisse nicht geeignet ist. Er hat noch eine Chance, sich zu bewähren. Als Jason bei seinen Mitschülerinnen und Mitschülern erfährt, dass sie alle einen Lieblingsfußballverein haben, so wie auch sein Opa Gerd, fragt er sich, weshalb er keinen hat. Um einen zu finden, will er alle Fußballvereine in ihren Stadien erleben – der gesamten ersten bis dritten Bundesliga. 56 Vereine insgesamt. Mirco lässt sich darauf ein, wenn Jason verspricht, sich in der Schule nicht mehr so leicht provozieren zu lassen.

Die „Vereinbarung“ zwischen Vater und Sohn hat auch den Vorteil, dass sich beide näher kommen können. Bislang war Fatime hauptsächlich Jasons Bezugsperson, doch sie hat sich zusätzlich noch um dessen jüngere Schwester Lucy zu kümmern und ist am Ende ihrer Kräfte. Im Zentrum der Geschichte steht damit auch die Beziehung zwischen Vater und Sohn, die bei den Besuchen der verschiedenen Fußballstadien wenn schon nicht wirklich zueinander finden, dann einander wenigstens besser verstehen lernen können. Wochenendrebellen verbindet die Darstellung möglicher Facetten von Autismus mit den Eindrücken der Fußballlandschaft quer durch Deutschland und spätestens, wenn Jason in einem Stadion sagt, „Das ist so toll hier!“, fühlt sich Rothemunds Film ein wenig an wie ein überlanger Werbeclip des Deutschen Fußball-Bundes. Das ist insoweit ein wenig schade, da die Beobachtungen, die das Drehbuch auch hier trifft, durchaus gelungen sind. Die Reizüberflutung ist für Jason beinahe überwältigend, visuell wie in Anbetracht der ohrenbetäubenden Lautstärke oder der Enge durch die Menschenmassen. Doch für ihn, der immer alles verstehen will, bietet es vielleicht auch gerade die richtige Umgebung, so dass er sich auf einen Aspekt konzentrieren kann, während der Rest schlicht übertönt wird. Von einer Desensibilisierung hinsichtlich der alltäglichen Reize ganz zu schweigen.

Für Mirco ist es, als hätte er endlich etwas, das ihn mit seinem Sohn verbindet, ein gemeinsames Interesse. Doch wie sich insbesondere er als eine der zentralen Figuren überhaupt fühlt, blendet Wochenendrebellen überwiegend aus. Er flüchtet sich in die Arbeit, ist meist unterwegs als Außendienstmitarbeiter. Wie ergeht es Eltern eines Kindes, das nie Bitte oder Danke sagt, das stets die eigenen Bedürfnisse über die anderer stellt, weil es sich in andere Menschen nicht hineinversetzen kann? Wie schwer es insbesondere Mirco fällt, sich in die Gedankenwelt seines Sohnes hinein zu versetzen, wird zwar herausgearbeitet, was ihn ihm aber vorgeht, hingegen kaum. So tritt bei den Stadionbesuchen die Charakterentwicklung zurück, auch wenn die Verantwortlichen bemüht sind, greifbar zu machen, was in Jason selbst vorgeht.

Das Bild, das Wochenendrebellen von Menschen mit Asperger Autismus zeichnet, fügt den bereits erzählten Schilderungen kaum etwas hinzu. Dass die Wahrnehmung der Eltern und Großeltern nicht ins Gewicht fällt, ist überdies bedauerlich. Stattdessen scheint Marc Rothemund bemüht, möglichst leichtfüßig und mit dem Fußball als verbindendem Faktor ein großes Publikum für das Thema zu gewinnen. Das gelingt durchaus, selbst wenn die vielen Verweise auf Teilhabe von Menschen mit Herausforderungen oder andere aktuelle, politische wie gesellschaftliche Themen, manchem Publikum dick aufgetragen und mit dem Zeigefinger präsentiert erscheinen mögen. Wichtig sind sie dennoch, zeitgemäß ohnehin und bereichert durch einen Auftritt der beiden tatsächlichen Personen, die die Figuren im Film inspiriert haben. Mehr braucht es für ein unterhaltsames Filmerlebnis an sich nicht.


Fazit:
Ungeachtet des Verlaufs der Geschichte in bekannten Bahnen, ist es das größte Versäumnis des Drehbuchs, die eingangs von Jasons Ärztin getätigte Aussage, Autismus sei eine Behinderung und nicht heilbar, nicht zu entkräften. Sie suggeriert, Autismus sei etwas, das man „heilen“ müsse, als seien die Menschen „krank“. Beides ist nicht nur unnötig, sondern schlichtweg falsch und setzt Menschen mit individuellen Herausforderungen beschämenderweise herab. Dahingegen ist die Idee, die so besondere wie herausfordernde Lebenssituation von Menschen mit Autismus einem größeren Publikum mit dem Fußball als gemeinsamen Nenner näher zu bringen, wie hier auch zwischen Vater und Sohn, merklich gelungen. Doch eben weil die Höhen und Tiefen der Geschichte so absehbar sind, das wenig überraschende Ende zielsicher anvisiert wird, bleibt die emotionale Wirkung des eigentlich berührendsten Moments großteils aus. Nichtsdestotrotz ist Wochenendrebellen so lehrreich wie unterhaltsam und mit einem großen Herz am rechten Fleck, selbst wenn es an Tiefgang merklich fehlt. Dabei ist der Film für die gesamte Familie und nicht nur für Fußballfans geeignet oder solche, die es werden wollen.