The Iron Claw [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Dezember 2023
Genre: Biografie / Drama

Originaltitel: The Iron Claw
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Sean Durkin
Musik: Richard Reed Parry
Besetzung: Zac Efron, Jeremy Allen White, Holt McCallany, Harris Dickinson, Lily James, Maura Tierney, Stanley Simons, Maxwell Jacob Friedman, Brady Pierce, Aaron Dean Eisenberg, Kevin Anton, Cazzey Louis Cereghino, Chavo Guerrero Jr., Ryan Nemeth, Scott Innes


Kurzinhalt:

Trotz seiner Erfolge blieb dem durch sein Markenzeichen, die „Iron Claw“, bekannten Wrestler Fritz Von Erich (Holt McCallany) die große Anerkennung der nationalen Wrestling-Föderation verwehrt. Umso mehr setzt er seine Hoffnung auf seine vier Söhne, in seine Fußstapfen zu treten und die Auszeichnung des Weltmeisters im Schwergewicht endlich ins Haus zu holen. Entsprechend spornt er Kevin (Zac Efron), David (Harris Dickinson) und den jüngsten, Mike (Stanley Simons), dem eher eine Karriere als Musiker vorschwebt, zu sportlichen Leistungen an und knüpft sogar seine väterliche Anerkennung daran. Sohn Kerry (Jeremy Allen White) ist als Diskuswerfer erfolgreich und insoweit ausgenommen, bis er auf Grund politischer Entscheidungen nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen kann. Für Fritz ist es ein weiterer Schlag, der sich gegen die ganze Familie richtet. Auch Kerry steigt fortan in den Ring, was den Konkurrenzdruck unter den Brüdern noch verstärkt. Dass Kevin in Pam (Lily James) jemanden findet, die ihm zeigt, dass es im Leben mehr als nur Wrestling gibt, lässt ihn in Fritz’ Gunst nur sinken. Als eine weitere Tragödie die Familie ergreift, suchen sie alle, auch Mutter Doris (Maura Tierney), Trost in sportlichen Erfolgen und bleiben damit in einem Teufelskreis, der nur noch mehr Leid hervorruft …


Kritik:
Sean Durkins The Iron Claw ist weniger ein Sportporträt einer der einflussreichsten Familien im professionellen Wrestling, als ein biografisches Drama über eine Familie, auf der ein Fluch lastet. Doch sind die Tragödien, die einzelne Mitglieder heimsuchen, nicht übernatürlichen Ursprungs, gleichwohl ihnen Übermenschliches abverlangt wird. Authentisch eingefangen und preiswürdig gespielt, eignet sich die tragische Erzählung nicht nur für Fans des Sports, der hier durchaus beleuchtet wird. Erhellend ist es unabhängig davon.

Mit seinem Markenzeichen der „Iron Claw“, einer unbezwingbaren Kralle, mit der er die Köpfe seiner Gegner zu zerdrücken drohte, wurde Jack Adkisson unter dem Wrestling-Namen Fritz Von Erich bekannt. Aber selbst, wenn er dafür berühmt und einer der besten Wrestler seiner Zeit ist, der Titel des Weltmeisters im Schwergewicht der US-amerikanischen Wrestling-Föderation NWA blieb ihm verwehrt, da ihm eines fehlte: die Sympathie des Publikums. Das Wrestling ist in gewisser Hinsicht die Inszenierung eines Sports. Die Animositäten zwischen den Kontrahenten meist ebenso abgesprochen, wie Teile der Kämpfe selbst. Aber wenn das Publikum nicht mit den Stars im Ring während der Show mitfiebert, sie anfeuert und vielleicht sogar eine Hassliebe zu ihnen aufbaut, bleibt ihnen der große Erfolg verwehrt. So erging es Fritz, der seine vier Söhne dazu erzieht, in seine Fußstapfen zu treten, um den Titel ins Haus zu holen, der ihm seiner Meinung nach vorenthalten wurde. Kevin ist ein hervorragender Kämpfer, vor der Kamera jedoch unsicher, David ein Naturtalent mit dem Publikum. Während Kerry als Diskuswerfer Karriere macht, will Michael im Grunde lieber Musik machen, wird von seinem Vater jedoch im Sport gehalten.

Es ist ein Elternhaus, in dem die Söhne überwiegend auf sich gestellt sind. Beim Frühstück erzählt Fritz offen, wer sein Lieblingssohn ist, stellt dabei jedoch heraus, dass sich das Ranking durch ihre Leistung im Sport verändern kann. Man sollte meinen, dass die erwachsenen Brüder in einem ständigen Konkurrenzkampf leben, doch das Gegenteil ist überwiegend der Fall. Ihr Zusammenhalt ist ungebrochen, wohl auch, weil sie sich mit ihren privaten Sorgen weder an ihren Vater, noch ihre Mutter wenden können, die ihnen offen sagen, dass sie dafür nicht da sind. The Iron Claw begleitet die Familie überwiegend in den 1980er-Jahren, als Kevin auf Pam trifft, die nicht nur an ihm interessiert ist, sondern genau weiß, was sie will. Für Kevin, der bis dahin nur berufliche Pläne hatte, stellt sie einen Gegenpol zu der einzigen Welt dar, die er kennt. Gleichzeitig bekommt Fritz die Möglichkeit, die bislang überwiegend in Texas ausgetragenen und im Fernsehen gesendeten Wrestling-Kämpfe im nationalen Fernsehen auszustrahlen. Es wäre ein großer Erfolg, der aber mit einem Weltmeistertitel in der Familie umso sicherer wäre, weshalb er von seinen Söhnen verlangt, noch härter zu trainieren.

Doch jeder berufliche Erfolg ist mit einem neuen Rückschlag verbunden, wie wenn Kerry die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau verwehrt wird, da die USA entscheiden, ihre Sportlerinnen und Sportler in einer Hochzeit des Kalten Krieges nicht an den Spielen teilnehmen zu lassen. Mit den vielen Kämpfen häufen sich die Verletzungen und damit der Gebrauch von Schmerzmitteln sowie der Drogenkonsum. Zusammen mit Fritz’ Erwartungen an seine Söhne sowie seiner kompromisslosen Art, finden sich die Brüder in einer Situation ohne Vaterfigur wieder. Fritz ist ein Geschäftsmann, der das Ziel auch dann nicht aus den Augen verliert, wenn erneut eine Tragödie die Familie trifft. Es ist weder die letzte, noch in gewisser Hinsicht die dramatischste. Was The Iron Claw dabei so tragisch macht, ist der Umstand, dass kein Mitglied in der Familie in der Lage scheint zu erkennen, dass all dies menschengemacht ist. Zwar wird der „Fluch der Von Erichs“ vorgeschoben, in Wirklichkeit jedoch ist Fritz von seinem Stolz derart getrieben, dass er bereit ist, alles für einen freudlosen Sieg und Titel zu opfern.

So findet der Zusammenhalt der Brüder im Ehrgeiz ihres Vaters einen Gegner, den sie nicht besiegen können und der ihnen letztlich alles abverlangt. Zu sehen, wie diese Familie nach einem so hart erkämpften sportlichen Höhepunkt immer weiter zerbricht, insbesondere Kevin und Kerry von Ereignissen mitgerissen werden, die sie kaum fassen können, ist unvermittelt bewegend und herausragend gespielt. Nicht nur, dass die körperliche Transformation der Besetzung, angeführt von einem fantastischen Zac Efron mit seiner vermutlich besten Darbietung bislang, geradezu beängstigend gerät, insbesondere Holt McCallanys Verkörperung des unnachgiebigen Patriarchen Fritz Von Erich sorgt für Gänsehaut. The Iron Claw erzählt eine wahrhaft tragische und tragischerweise wahre Geschichte, die mit merklich über zwei Stunden Laufzeit spürbar langsam erzählt ist, deren erstklassige Beobachtungen jedoch nichtsdestotrotz fesseln, sofern man sich darauf einlässt. Hierfür muss man kein Fan des Wrestling-Sports sein, vielleicht ist es sogar von Vorteil, wenn man es nicht ist. Umso überraschender sind die Ereignisse, die die Familie immer weiter in den Abgrund reißen. Und umso mehr spiegelt die erfolgreiche Fassade der Familie den Profisport an sich wider, hinter dessen Glamour sich nicht selten Tragödien abspielen.


Fazit:
Während Mutter Doris die Familie seit jeher mit Gott vor Gefahr beschützen wollte, wählte Vater Fritz den Wrestling-Sport, um seine Familie vor Unheil zu bewahren. Nach jedem Rückschlag will er noch härter für den Sieg arbeiten, auf dass seine Söhne den Erfolg und die Anerkennung erhalten, die ihm verwehrt blieb. Doch was ist man bereit, für den Erfolg zu opfern? Und was, wenn man nicht erkennt, dass man selbst am Unheil der Familie eine Mitverantwortung trägt? Filmemacher Sean Durkin nähert sich seinen Figuren behutsam, beobachtend und mitunter in ihren dunkelsten Momenten. Die oft geäußerten Kritikpunkte am Wrestling-Sport selbst werden hier zwar wiederholt, aber nicht verurteilend, sondern vielmehr als Anerkennung der Leistung der Sportlerinnen und Sportler. Im Zentrum von The Iron Claw steht nicht der Sport an sich, sondern eine Familie, die den Sport nachhaltig geprägt hat, selbst wenn ihr dabei beinahe alles genommen wurde. Es ist eine Familie, in der Ehrgeiz und Erfolg über allem stehen und der inspirierende Zusammenhalt der Brüder untereinander durch den Ehrgeiz ihres Vaters auf geradezu tragische Weise ausgehöhlt wird. Die Erzählung mag zu lange und nicht in letzter Konsequenz kritisch genug sein, aber sie ist handwerklich erstklassig eingefangen, fantastisch gespielt und und mit einer Authentizität zum Leben erweckt, der jegliche verklärende Nostalgie fehlt. Bewegend und zum Nachdenken anregend, eignet sich das für ein ruhiges Publikum und ist unumwunden sehenswert.