The Inspection [2022]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. Juni 2023
Genre: Drama

Originaltitel: The Inspection
Laufzeit: 95 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Elegance Bratton
Musik: Animal Collective
Besetzung: Jeremy Pope, Raúl Castillo, Bokeem Woodbine, Gabrielle Union, McCaul Lombardi, Aaron Dominguez, Nicholas Logan, Eman Esfandi, Andrew Kai, Aubrey Joseph


Kurzinhalt:

New Jersey im Jahr 2005. Seit beinahe einem Jahrzehnt ist Ellis French (Jeremy Pope) auf sich gestellt, seit seine Mutter Inez (Gabrielle Union) mit dem damaligen Teenager auf Grund dessen sexueller Orientierung gebrochen hat. Doch auf der Straße sieht Ellis die Menschen um sich herum verfallen und sterben, weshalb er ein United States Marine werden will. Im Bootcamp unter seinem Ausbilder Leland Laws (Bokeem Woodbine) wächst Ellis über seine Grenzen hinaus, bis seine Kameraden erfahren, dass er schwul ist. Was folgt, ist eine eskalierende Aneinanderreihung von Schmähungen und Erniedrigungen, auch durch seinen Platoonleader Harvey (McCaul Lombardi). Einzig Drill Sergeant Rosales (Raúl Castillo) steht hinter Ellis, kann dies jedoch nicht offen zeigen, zumal auch andere Rekruten wie der muslimische Ismail (Eman Esfandi) in der Ausbildung aufgerieben werden. Doch die Misshandlungen nehmen immer weiter zu und Ellis’ Stärke, all dies durchzuhalten, bekommt Risse …


Kritik:
In seinem autobiografisch angehauchten Spielfilmregiedebüt The Inspection erzählt Filmemacher Elegance Bratton von einem queeren jungen Mann, der seit Jahren auf sich gestellt ist und ganz am Boden angekommen scheint. Sein Wunsch, ein Marine zu werden, ist mehr der Anerkennung geschuldet, die er erhofft, als ein solcher Soldat zu erhalten. Doch im Bootcamp entdecken die übrigen Rekruten seine sexuelle Orientierung, woraufhin er von ihnen wie von seinen Vorgesetzten schikaniert und ausgegrenzt wird. Dem beizuwohnen, ist zermürbend und dennoch inspirierend.

Seit er 16 Jahre alt war, ist Ellis French auf sich gestellt. Seine Mutter Inez, eine strenggläubige, homophobe Frau, will mit der Person, die Ellis geworden ist, nichts zu tun haben. Als er sie aufsucht, um seine Geburtsurkunde abzuholen, ist ihre erste Frage, ob er in Schwierigkeiten steckt. Ellis selbst lebt auf der Straße in Obdachlosenunterkünften und sieht dort, wie die Menschen um ihn herum den Drogen im Speziellen oder allgemein immer mehr zerfallen. Er ist davon überzeugt, dass er nicht mehr lange überleben wird, weshalb er sich in den Kopf gesetzt hat, dem United States Marine Corps beizutreten, wofür er seine Geburtsurkunde braucht. Die ist, das sagt Ellis die von Gabrielle Union in den wenigen Auftritten stark gespielte Inez, das einzige, was ihr von dem Menschen geblieben ist, der sie dachte, dass ihr Sohn einmal werden würde. Sollte er dem Anspruch dieser Vision nicht gerecht werden, bräuchte er nicht wieder zu kommen. Es ist eine Aussage, die einen ebenso unvermittelt trifft wie ihre Feststellung später im Film, die verdeutlicht, wie tiefgehend die Ablehnung der sexuellen Orientierung ihres Sohnes ist.

Sieht man den 25 Jahre jungen Ellis, der nicht einmal einen Gürtel trägt, sondern seine Hose mit einer Schur enger bindet, dass sie ihm nicht vom Körper rutscht, wohnt man dem emotional kühlen, entfremdeten Besuch bei seiner Mutter bei und sieht gleichzeitig seinen Blick, der wortlos verdeutlicht, dass er sich nichts mehr wünscht, als von der einzigen Person, die ihm in seinem Leben etwas bedeutet, akzeptiert zu werden, dann versprüht The Inspection eine so greifbare wie schmerzvolle Authentizität. Dasselbe gilt für die Schilderungen dessen, was Ellis im Bootcamp widerfährt. Die Ausbildung ist körperlich wie psychisch fordernd, die Vorgaben der Truppe so rigoros wie teilweise abstrus. Beim Eintreffen soll Ellis sich äußern, gewissermaßen schwören, dass er nie zuvor verurteilt war – und weder derzeit noch zuvor schwul ist bzw. war. Doch selbst wenn es ihm gelingt, bei der Ausbildung über sich hinauszuwachsen und er ein Ziel vor Augen hat, er schafft es nicht, seine sexuelle Orientierung geheim zu halten. Was folgt, ist eine sich steigernde Kaskade an verbalen und körperlichen Misshandlungen, Mobbing von Kameraden wie Vorgesetzten und einer abfälligen Behandlung, die ihn buchstäblich in Lebensgefahr bringt.

Die einzelnen Situationen, die The Inspection dabei zeigt, sind überaus greifbar, zumal die Ausgrenzung nicht nur Ellis trifft, sondern auch den muslimischen Rekruten Ismail. Die Truppe besteht großteils aus Mitläufern, wenige sind offen feindselig gegen ihn oder Ellis, noch weniger sprechen sich für sie aus und gegen die unmenschlichen Methoden ihres Vorgesetzten Leland Laws oder des Platoonleader Laurence Harvey. Aber so gut bestimmte Aspekte getroffen sind, wie der Umstand, dass Ellis nicht der einzige homosexuelle Soldat der Einheit ist, so abgedroschen klingen viele Dialoge, insbesondere der Unterdrücker. In der Rolle des Vorgesetzten Laws zeigt Bokeem Woodbine im Grunde eine gute Darbietung, doch seine Textzeilen klingen wie aus jedem beliebigen Militärdrama entnommen, seine Ablehnung gegenüber den Rekruten im Allgemeinen und Ellis im Speziellen so aufgesetzt wie erzwungen. Hinsichtlich der Dynamiken dieser aus Männern bestehenden Truppe, in der sich die einzelnen Personen nicht nur körperlich sehr nahe kommen, sondern auch aufeinander verlassen können müssen, wird kaum etwas herausgearbeitet.

Das ist insofern bedauerlich, da es nicht nur genügend Figuren gäbe, die zu vertiefen sich lohnen würde, sondern auch die Besetzung dem mehr als gewachsen ist. In der Hauptrolle zeigt Jeremy Pope eine preiswürdige Darbietung und ihm zuzusehen, wie er trotz der Erniedrigungen und Misshandlung durch seine Mitmenschen eine Stärke gewinnt, seinen Weg zu gehen, ist in der Tat inspirierend. Aber auch Raúl Castillo und Eman Esfandi bleiben in Erinnerung, zumal ihre Charaktere vielschichtiger sind, als es auf den ersten Blick den Anschein besitzt. Dass Vieles, womöglich zu Vieles, ungesagt bleibt, ist kein Vorwurf, doch bleibt der Eindruck, als wäre The Inspection mehr darum bemüht, zu vermitteln, wie es Ellis im Bootcamp erging, anstatt seinen Werdegang dort tatsächlich nachzuzeichnen. Die spärlichen Dialoge unterstreichen zusammen mit dem Vorhandensein eines einzelnen Erzählstrangs, den toll ausgesuchten Perspektiven und nicht zuletzt der nicht immer so recht passend klingenden, experimentellen Musik den Charakter eines Independentfilms. Das ist nicht als Kritikpunkt gemeint, denn bewegend ist die Geschichte nichtsdestotrotz, mit einer gelungenen Botschaft und vielen erinnernswerten Aspekten. Für ein breites Publikum eignet sich das jedoch weniger auf Grund des Inhalts, als der Herangehensweise, kaum.


Fazit:
Ob Ellis nun ein Marine werden will, weil er fürchtet, auf der Straße zu sterben, und hofft, in einer Uniform zu sterben würde ihn zu einem Helden für irgendjemanden machen, oder weil er glaubt, damit die Anerkennung seiner Mutter zu gewinnen, die ihm seit dem Teenageralter verwehrt bleibt, beides ist tragisch und spürbar persönlich erzählt durch Filmemacher Elegance Bratton, der seiner insgesamt tollen Besetzung einige eindrucksvolle wie sehenswerte Darbietungen abverlangt, allen voran von dem fantastischen Jeremy Pope. Zu beobachten, wie er über die Misshandlungen und Ausgrenzung hinweg über sich hinauswächst, nach so viel Ablehnung und Rückschlägen in Anbetracht einer Anerkennung seines Werdegangs förmlich aufblüht, ist inspirierend. Mehr noch, als wenn einzelne Rekruten den Mut aufbringen, sich gegen die Ungerechtigkeiten in ihren eigenen Reihen zu erheben. Dafür weiß das Drehbuch die übrigen Figuren zu wenig herauszuarbeiten. The Inspection ist ein stark gespieltes und handwerklich toll eingefangenes, lohnenswert wie ermutigendes Drama, dessen greifbare Authentizität dem Gezeigten noch mehr Gewicht verleiht. Selbst wenn erzählerische wie künstlerische Entscheidungen dafür sorgen, dass sich ein größeres Publikum kaum darauf einlassen wird.