The Boogeyman [2023]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. Mai 2023
Genre: Horror

Originaltitel: The Boogeyman
Laufzeit: 98 min.
Produktionsland: USA / Kanada
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Rob Savage
Musik: Patrick Jonsson
Besetzung: Sophie Thatcher, Chris Messina, Vivien Lyra Blair, David Dastmalchian, Marin Ireland, Madison Hu, Lisa Gay Hamilton


Kurzinhalt:

Nach dem Tod ihrer Mutter versuchen Sadie (Sophie Thatcher) und Sawyer Harper (Vivien Lyra Blair) so gut es geht, den Alltag durchzustehen. Ihr Vater Will (Chris Messina) begleitet sie nicht zu den Therapiesitzungen mit der Psychologin, obwohl er selbst Therapeut ist. Verschlossen stürzt er sich stattdessen in die Arbeit mit seinen Patientinnen und Patienten. Bis Lester Billings (David Dastmalchian) in seiner Praxis auftaucht und ihn vor etwas warnt, das ihm seine Kinder genommen haben soll. Eins nach dem anderen. Kurz darauf wird Sawyer von etwas angegriffen, das aus ihrem Schrank kam und auch Sadie sieht sich dem Wesen gegenüber, das Lesters Kinder als „Boogeyman“ bezeichnet haben, und vor dem es kein Entrinnen gibt …


Kritik:
Ein halbes Jahrhundert, nachdem Stephen Kings Kurzgeschichte das Licht der Welt erblickte, adaptiert Filmemacher Rob Savage die Story für die große Leinwand. Die Ereignisse der Vorlage finden sich hier auch wieder, doch erweitert der Spielfilm die Geschichte um eine Ebene, die man so nicht erwarten würde. Gleichzeitig präsentiert The Boogeyman unheimlichen Horror mit ebenso vielen Gänsehaut- wie Schreckmomenten, die letztlich nur verdeutlichen, dass der größte Schrecken in uns selbst lauert.

Auf welche Weise Regisseur Savage das Grauen in Szene setzt, macht bereits die Eröffnung deutlich, die ebenso hervorragend wie unnachgiebig eingefangen ist und das, ohne ins Detail zu gehen. Zu wissen, zu erahnen, was geschieht, ohne es zu sehen, ist beinahe noch Furcht einflößender, als die Monster, die in den Schatten lauern. Im Zentrum der Erzählung steht die Familie des Therapeuten Will Harper. Zusammen mit seinen Töchtern Sadie und Sawyer versucht er, in so etwas wie einen Alltag zurück zu finden, nachdem seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Er selbst empfängt bereits wieder Patienten, während Sawyer nur mit viel Licht in einem hellen Zimmer schlafen kann und Sadie sich auch von ihren Freundinnen immer weiter isoliert und versucht, ihre Mutter in ihrem Leben zu bewahren, indem sie sich mit ihren Dingen umgibt. Eines Tages steht der verstört wie verängstigt wirkende Lester Billings in Wills Praxis und erzählt ihm davon, wie er alle seine Kinder in kurzer Zeit verloren hat. Etwas habe sie getötet, etwas das in den Schatten haust. Kurz darauf begegnet Sawyer dem, was Lesters Kinder „Boogeyman“ genannt haben. Immer weiter breitet es sich im Haus aus und greift auch auf Sadie über.

Dass Will von den Übergriffen überwiegend nichts mitbekommt, die Geschichte aus Sicht der Kinder erzählt scheint, ist kein Zufall. Während Sadie und Sawyer gemeinsam zu einer Therapeutin gehen, weigert sich Will nicht nur, er hat nicht einmal ein Ohr für seine eigene Tochter, wenn diese über ihre Trauer nach dem Tod ihrer Mutter sprechen möchte. Will möchte und er kann auch nicht, stellt er sich der Situation doch selbst nicht und überlässt seine Töchter in ihrer aller Verlust sich selbst. Zuerst Sawyer und dann Sadie können das seltsame, Furcht einflößende Wesen sehen und Sadie fällt schließlich auf, wie sich das Haus verändert. Die Optik von The Boogeyman ist so alltäglich wie erstklassig. Mit toll ausgesuchten Perspektiven und langen Einstellungen erzeugt der Filmemacher eine Spannung, die es auszuhalten gilt, und bei denen nicht im Fokus steht, wann der Erschreckmoment kommt. Das Publikum selbst weiß nicht mehr, als die Figuren, die meist nur einen flüchtigen Blick des Boogeyman in dunklen Ecken erhaschen können. Die Geräuschkulisse trägt dabei ungemein zur bedrohlichen Atmosphäre bei und verdeutlicht nur, dass die Charaktere in einer Gefahr schweben, die über das Sichtbare hinausgeht. Bei Sawyers Konfrontationstherapie im Dunkeln kommen diese Elemente fantastisch und wirkungsvoll zusammen.

Da ein Großteil der Geschichte im Haus der Harpers spielt, ist es bedauerlich, dass Regisseur Rob Savage dieses eingangs nicht entsprechend vorstellt. So weiß man leider nie, wo im Haus sich die einzelnen Figuren befinden und weshalb sie einander nicht hören können. Auch geht die Geschichte im letzten Drittel in eine Richtung, die stilistisch nicht ganz zum Rest der Erzählung passen mag, wenn Sadie zu Lester Billings’ Hintergrund recherchiert und auf eine Person trifft, deren einziger Zweck es scheint, Informationen bereit zu stellen. Zwar wird der Storyzweig nochmals wichtig, greifbarer macht es das Gezeigte aber nicht. Dafür gibt es in The Boogeyman zahlreiche Momente, in denen man bereits beim Zusehen die Luft anhält, weil man erahnen kann, wohin sich die Situation entwickelt. Den starken Darbietungen von Sophie Thatcher, Vivien Lyra Blair und Chris Messina stiehlt David Dastmalchian mit einem kurzen, aber einprägsamen Auftritt die Show. Sie alle verdeutlichen die Qualen, in denen sie sich befinden, selbst wenn die Dialoge dies nicht vermuten lassen. Lässt man sich darauf ein, ist die Adaption von Stephen Kings Kurzgeschichte einer der stimmungsvollsten und gruseligsten Film der jüngsten Zeit. Umso mehr in Anbetracht der Geschichte hinter der Geschichte.


Fazit:
Gleichwohl ähnlich zurückhaltend wie das inhaltlich verwandte Horrordrama The House At Night [2020], ist Filmemacher Rob Savage weit weniger subtil, wenn es um die Aussagen seiner Geschichte geht. Die handelt im Kern davon, wie sich eine nicht aufgearbeitete Trauer in das Leben und Zuhause der Menschen hineinfrisst. Wie sie wuchert und man von ihr buchstäblich verschlungen wird. Dies bringt die Stephen King-Adaption mit einem Monster zum Ausdruck, das die Figuren im Grunde in sich tragen, was der Schlussmoment toll herausarbeitet. In welcher Gefahr sie schweben, ist stets mit Händen zu greifen, die Spannung, die sich daraus entwickelt, lässt einen tiefer in den Sessel zurücksinken. Nicht ruhig, sondern atmosphärisch, ist The Boogeyman fantastisch eingefangen, toll umgesetzt und packend gespielt. Ein unheimlicher, starker Genrefilm für ein Publikum, das bereit ist, sich einem Horror zu stellen, der sich nicht in Gewalt auf der Leinwand, sondern in der eigenen Vorstellung manifestiert. Klasse!