Talk to Me [2022]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 9. Juni 2023
Genre: Horror

Originaltitel: Talk to Me
Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: Australien
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Danny Philippou, Michael Philippou
Musik: Cornel Wilczek
Besetzung: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Joe Bird, Otis Dhanji, Miranda Otto, Marcus Johnson, Alexandria Steffensen, Zoe Terakes, Chris Alosio


Kurzinhalt:

Woher die einbalsamierte Hand genau kommt, wissen Hayley (Zoe Terakes) und Joss (Chris Alosio) selbst nicht. Sie wissen nur, wie man sie „benutzt“. Wenn man sie hält und die Worte „Sprich mit mir“ sagt, sieht man einen toten Menschen. Sagt man daraufhin „Ich lass Dich rein“, ergreift dieser Besitz vom eigenen Körper. Hayley und Joss haben daraus eine Mutprobe gemacht, Internetvideos der Betroffenen verbreiten sich rasant. Doch die Verbindung mit dem Geist der Toten muss nach spätestens eineinhalb Minuten getrennt werden. Bei einer Party meldet sich Mia (Sophie Wilde), die seit dem Tod ihrer Mutter kaum noch soziale Kontakt hat, freiwillig. Der Trip, so real und intensiv er ist, scheint doch harmlos. Bis Riley (Joe Bird), der jüngere Bruder von Mias bester Freundin Jade (Alexandra Jensen), Kontakt mit einem Geist aufnimmt und Mia auch Geister sieht, selbst wenn sie die Hand nicht berührt …


Kritik:
Der australische Horrorfilm Talk to Me von Danny und Michael Philippou präsentiert ein Konzept, dessen beunruhigende Wirkung auch von seiner Einfachheit kommt und auch daher an den prägenden The Ring [2002] erinnert. Wenn die Figuren hier Kontakt mit den Toten aufnehmen, ist das anfangs noch ein morbider Party-Gag. Doch sobald diese die Lebenden nicht loslassen, körperliche wie seelische Grausamkeiten verüben, begibt sich die Geschichte auf mehreren Ebenen an ganz dunkle Orte. Das ist packend, für ein Publikum mit starkem Nervenkostüm.

Die Geschichte beginnt mit einer Szene, die schnell eine so unerwartete wie schockierende Wendung nimmt, deren Bedeutung man allerdings erst im Verlauf des Films wirklich versteht. In dessen Zentrum steht Mia, die zwei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter zumindest wieder ein wenig aufgeschlossener ist. Doch der Verlust lässt sie nicht los und beschäftigt sie mehr, als sie sich selbst eingesteht. Jede freie Minute verbringt sie bei ihrer Freundin Jade, deren jüngerem Bruder Riley und ihrer Mutter Sue. Ihren eigenen Vater Max meidet Mia bewusst. Auf einer Party suchen Hayley und Joss nach Freiwilligen, die sich einer übernatürlichen Mutprobe stellen. Sie haben eine Handskulptur, die, wenn man sie berührt und die Worte „Sprich mit mir“ sagt, der Person, die sie sagt, einen toten Menschen zeigt. Diese Geister sollen sich in einem Schwebezustand zwischen dieser Welt und der nächsten befinden. Sagt man daraufhin „Ich lass Dich rein“, ergreift der Geist vom eigenen Körper Besitz. Doch die Verbindung muss nach 90 Sekunden unterbrochen werden, sonst könnte es sein, dass man dem Geist verfallen bleibt.

Es mag wenig überraschend klingen, in welche Richtung sich Talk to Me von hier aus entwickelt, aber zum einen ist die Séance, der sich Mia stellt, so atmosphärisch wie beunruhigend umgesetzt, zum anderen hat die Erfahrung auch für alle Übrigen noch den morbiden Charme einer Geisterbeschwörung. Mit ihren Smartphones bewaffnet, streamen sie die Inbesitznahme in die Sozialen Medien, denn sie können nur die Reaktion derjenigen Person sehen, die besessen wird. Es ist ein Rausch, ähnlich der Figuren bei Flatliners - Heute ist ein schöner Tag zum Sterben [1990]. Doch dann, entgegen aller Vernunft, stellt sich der junge Riley der übernatürlichen Hand und es scheint, als könnte Mia endlich Kontakt mit der Person aufnehmen, die sie so sehr vermisst. Was folgt, ist eine wahre Explosion der gezeigten Gewalt, die bis dahin zurückhaltend war. Talk to Me gelingt der Spagat, Stimmung und übernatürliche Brutalität zusammen zu bringen, ohne dass ein Aspekt darunter leiden würde. Umso mehr, da dies Figuren betrifft, die Opfer äußerer Umstände sind. Es ist eine heftige Sequenz und nicht die letzte. Nicht nur, auf Grund dessen, was gezeigt wird, sondern auch, was es emotional mit allen Beteiligten anrichtet.

Es gibt Menschen, die sich selbst bestrafen und sich schlimme Dinge antun, in einem Stadium tiefer Trauer oder Depression. Was wäre man erst bereit, zu tun, könnte man nochmals Kontakt mit einem geliebten Menschen herstellen, den man verloren hat? Talk to Me zeigt durch Mias Handlungen beide Aspekte, wobei die Geschichte nicht nur ihre Motivation verständlich macht, sondern die Distanz wahrt, für welches Leid sie letztlich gleichermaßen verantwortlich ist. Sophie Wilde trägt die Rolle mit einer Verletzlichkeit, die dann zum Vorschein kommt, wenn sich Mia eingangs so anhänglich zeigt, dass es den Menschen in ihrer Umgebung bereits unangenehm ist. Doch weicht dies einer Überzeugung und Stärke, als sie glaubt, zu wissen, was sie tun muss, um all dem ein Ende zu bereiten. Die unerwartetste Darbietung ist jedoch diejenige von Joe Bird als Riley. Seine Séance und was mit ihm fortlaufend geschieht, ist derart Furcht einflößend verkörpert, dass man sich an die Genre prägende Darstellung des besessenen Mädchens in Der Exorzist [1973] erinnert fühlt. Gleichzeitig sind die praktischen und Make-up-Effekte verstörend realistisch und als solche schlicht nicht zu erkennen.

Die handwerkliche Finesse trägt damit ungemein zu einer Stimmung bei, die trotz der übernatürlichen Elemente ihre größte Bedrohlichkeit aus dem Alltäglichen gewinnt. Die Erklärungen bleiben dabei vage, was hilft, die Mystik zu bewahren. Woher stammt die Hand? Handelt es sich dabei tatsächlich um eine einbalsamierte Hand eines Mediums oder eines Satanisten? Dass Talk to Me im letzten Drittel stark auf einen bekannten Verlauf der Geschichte setzt und die Collage der Besessenen ein wenig zu lange dauert, ist zwar ein wenig bedauerlich, es schadet jedoch weder deren Wirkung, noch schmälert es den erfrischenden Ansatz und die viele guten Ideen, die zuvor gezeigt werden. Klasse!


Fazit:
Der größte Vorwurf, den man vielen Figuren in Horrorfilmen machen kann und muss, ist, dass sie nicht im richtigen Moment die Flucht ergreifen, sich abwenden, wenn einem jede Faser im Körper sagt, dass die eigene Handlung ins Verderben führen wird. Die Filmemacher Danny und Michael Philippou finden dafür eine geschickte Lösung, denn zu Beginn sind die Trips der Geisterbeschwörung für die abgeklärten jungen Menschen noch ein (geschmackloser) Spaß. Als sich dann die Ereignisse überschlagen und die Welt der Figuren zerbricht, steht Mia vor einer kaum lösbaren Gewissensfrage, die sie seit Jahren innerlich auffrisst. So nimmt das Unheil seinen Lauf und das Publikum beobachtet die körperliche wie seelische Zerreißprobe. Erstklassig umgesetzt, sind es hier nicht laute Geräusche, die für Schockmomente sorgen, sondern was mit den Figuren geschieht, die das Drehbuch durchweg ernst nimmt. Die fantastisch beunruhigende Stimmung und die greifbare Story zeichnen Talk to Me als ebenso einfallsreichen wie innovativ effektiven Horrorfilm aus. Die tolle Besetzung und die erschreckend guten Make-up-Effekte lassen den Alptraum schließlich lebendig werden.