Spy/Master [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 2. Dezember 2023
Genre: Thriller

Originaltitel: Spy/Master
Laufzeit: 286 min.
Produktionsland: Rumänien
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Christopher Smith
Musik: Lukasz Targosz
Besetzung: Alec Secăreanu, Parker Sawyers, Ana Ularu, Svenja Jung, Nico Mirallegro, Claudiu Bleont, Elvira Deatcu, Andreea Vasile, Alexandra Bob, Laurentiu Bãnescu, Iulian Postelnicu, Aidan McArdle, Amira El Sayed, Omar El-Saeidi, Mido Hamada, Ovidiu Niculescu, Igor Chistol, Marc Rissmann, Nicu Banea, Shvorne Marks, Brian Caspe


Kurzinhalt:

Der Kalte Krieg befindet sich im Jahr 1978 in einer Hochphase. Während die USA versuchen, mit Verhandlungen in Camp David, den Nahostkonflikt zu befrieden, steht Victor Godeanu (Alec Secăreanu), engster Berater des rumänischen Präsidenten Ceaușescu (Claudiu Bleont), vor einem Dilemma. Die Spionageabwehr ist ihm dicht auf den Fersen, denn Godeanu spioniert auch für den sowjetischen KGB. Bei einer diplomatischen Reise in die Bundesrepublik Deutschland sucht er daher die US-Amerikanische Botschaft auf und verlangt, CIA-Agent Frank Jackson (Parker Sawyers) zu sprechen. Godeanu will ihm mitteilen, dass er überlaufen will. Doch dann sieht er in der Botschaft die Stasi-Agentin Ingrid von Weizendorff (Svenja Jung), mit der er einst zusammen war, und plötzlich wird die Situation noch komplizierter. Während in Rumänien Ceaușescu alle Hebel in Bewegung und die Spionageabwehr-Agentin Popescu (Ana Ularu) darauf ansetzt, herauszufinden, wo Godeanu abgeblieben ist, muss der entscheiden, ob er mit seinen Plänen fortfahren und seine Frau Adela (Andreea Vasile) nebst Tochter Ileana (Alexandra Bob) in Lebensgefahr bringen will, die er in Rumänien zurücklassen musste. Dabei verspricht ihm Jackson Sicherheit, die er ohne das Einverständnis des US-Präsidenten aber gar nicht gewähren kann, der wiederum die Friedensverhandlungen nicht gefährden will …


Kritik:
Die sechsteilige Miniserie Spy/Master erzählt die Geschichte eines fiktiven, rumänischen Doppelagenten im Jahr 1978, der beabsichtigt, überzulaufen, ehe seine Tarnung auffliegt. Angesiedelt vor einem realen politischen Hintergrund und mit historischen Figuren gespickt, ist die überaus sehenswerte und aufwändig umgesetzte Spionagestory das eigentliche Highlight, selbst wenn sie nie in dem Maße packend gerät, wie man sich wünschen würde. Dafür ist die Herangehensweise an die Thematik vermutlich realistischer als die meisten Hollywood-Produktionen.

Die Geschichte wird auf so vielen Ebnen und mit zahlreichen Figuren erzählt, dass man vermuten könnte, sie basiere auf einer Vorlage von Autor John le Carré, doch dem ist nicht so. Das Spionagegenre wird zwar überwiegend von der Darstellung von Superagenten wie im Falle von James Bond dominiert, Spy/Master orientiert sich allerdings hinsichtlich der authentischen und zurückgenommenen Herangehensweise an Dame, König, As, Spion [2011]. Es ist das Jahr 1978 und während in Camp David US-Präsident Jimmy Carter im Nahostkonflikt zwischen Israel und Ägypten vermittelt, um nicht nur eine Friedenslösung herbeizuführen, sondern auch dem palästinensischen Volk im Gazastreifen und Westjordanland eine Zukunft zu sichern, regiert in der Sozialistischen Republik Rumänien seit 13 Jahren der neostalinistische Autokrat Nicolae Ceaușescu. Das Lands nabelt sich zwar zunehmend von der Sowjetunion ab und sucht den Kontakt zum Westen, doch das ändert nichts an der repressiven Diktatur. General Victor Godeanu ist nicht nur Ceaușescus persönlicher Sicherheitsberater, sondern auch stellvertretender Leiter des rumänischen Auslandsgeheimdienstes. Er koordinierte dutzende Spionageoperationen im Westen und mittleren Oste, leitet eine geheime Abteilung, um Patente sowie militärische und technologische Geheimnisse zu stehlen. Was niemand, nicht einmal Godeanus Frau Adela oder seine Tochter Ileana ahnen, Victor ist ein Doppelagent und arbeitet insgeheim für den KGB. Als die rumänische Spionageabwehr ihm auf die Schliche kommt, sucht Godeanu bei Verhandlungen mit dem deutschen Innenministerium in Bonn die US-Amerikanische Botschaft auf und verkündet, dass er überlaufen will.

Die verschiedenen Implikationen, die sich daraus ergeben, werden erst beim darüber nachdenken wirklich deutlich. Denn der in der Botschaft stationierte, ambitionierte CIA-Agent Frank Jackson, der hofft, seinen Namen wieder reinwaschen zu können, sieht die Chance, einen hochrangigen Beamten Rumäniens zu gewinnen, ahnt aber nicht, dass Godeanu auch im Dienst des sowjetischen Geheimdienstes KGB steht. Bei der rumänischen Spionageabwehr vermutet man indes, dass Godeanu in die Sowjetunion fliehen will, während der ebenso paranoide wie unter dem Einfluss seiner intriganten Frau Elena stehende Ceaușescu überall Verräter und Saboteure wittert. Was allein der Verdacht von Viktors Überlaufen für seine Familie bedeutet, erkundet Spy/Master im weiteren Verlauf, wobei CIA-Agent Jackson vor einem großen Problem steht, denn ohne das Einverständnis des US-Präsidenten kann er Godeanu keine Amnestie gewähren und der will den Erfolg von Camp David mit einem politischen Skandal nicht gefährden.

Wie in sich verschränkt die Situation ist, wie stark die Abhängigkeiten voneinander, arbeitet Christopher Smith nicht in dem Maße heraus, wie es nötig wäre, um ein breites Publikum mitzunehmen. Spy/Master richtet sich an Zuschauerinnen und Zuschauer, die bereit sind, sich selbst in die Ausgangslage hinein zu versetzen und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen herzustellen. Ganz zu schweigen vom politischen Hintergrund, der nicht wenige fragend zurücklassen dürfte. Aber nur dann entfaltet die Story ihre volle Sogwirkung und zieht einen durchaus in ihren Bann. Nicht zuletzt dank der mehr als ein Dutzend umfassenden, tragenden Figuren, bei denen man sich lange fragt, wie sie in der Geschichte denn noch wichtig werden. Angefangen von der Mitarbeiterin des Innenministeriums Ingrid von Weizendorff, die bereits früher auf Godeanu getroffen war und ihn in der US-Botschaft wiedererkennt. Dass sie insgeheim für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR arbeitet (kurz: „Stasi“) spioniert, macht die gesamte Situation nicht einfacher.

Anstatt explosiv die Geschehnisse zuzuspitzen, entwickelt sich die Geschichte in Spy/Master langsam, stellt die zahlreichen Charaktere vor und was für sie alle auf dem Spiel steht, ehe die Schlinge, insbesondere um Godeanus Hals, immer weiter zugezogen wird. Selbst vermeintliche Randfiguren wie die Haushälterin von Weizendorffs, Safiya, ist kein Beiwerk der Story, sondern stellt eine wichtige Verbindung zu Charakteren her, die in den letzten beiden Episoden stärker beleuchtet werden. Dass gerade bei dieser Nebenhandlung Motivation der Figuren und inhaltliche Zusammenhänge unerwähnt bleiben, ist bedauerlich. Ebenso, dass Carmen Popescu, Agentin der Spionageabwehr, nicht stärker ausgebaut wird. So sehr Figuren wie Frank Jackson oder auch Victor Godeanu selbst Raum einnehmen, was sie antreibt wird doch nie ganz deutlich. Weshalb Jackson in Ungnade gefallen ist, bleibt ebenso unausgesprochen, wie Godeanus Motivation und was zum Zerwürfnis mit seiner Ehefrau Adela geführt hat.

Das ist insofern bedauerlich, da die Laufzeit der einzelnen Episoden immer kürzer wird, also durchaus Zeit bestanden hätte, die Charaktere weiter zu vertiefen. Mehr noch, da Spy/Master in den ersten Teilen bereits mit Rückblicken arbeitet, die bestimmte Situationen und wie sie entstanden sind, aus anderen Blickwinkeln beleuchtet und erläutert. Es ist ein Stilmittel, das sich glücklicherweise wieder verliert, da es die ohnehin komplexe Story nur noch schwerer zugänglich macht, wenn Ereignisse eingespielt werden, die Tage oder Stunden zuvor stattgefunden haben und dann aber nicht klargestellt wird, wann die Erzählung wieder in die tatsächliche Zeit zurückspringt. Mit einigen historischen Eckdaten beim Vorspann stimmt die Miniserie ihr Publikum auf die geschichtlichen Zusammenhänge der Erzählung ein und es würde einen nicht wundern, hätte es einen Fall wie denjenigen von Victor Godeanu tatsächlich gegeben, wobei die Geschehnisse von dem realen Fall eines Überläufers inspiriert sind. Dabei verdeutlicht die Miniserie das unbändige Gefühl des Misstrauens jener Zeit, in der Loyalitäten flexibel waren und selbst in Regierungskreisen niemand dem Nächsten vertraute. Jede Partei spioniert jede andere aus, mitunter sogar sich selbst. Das so kompetent und authentisch zum Leben erweckt zu sehen, ist faszinierend, die stark verwobene Story wie ein hochkarätig und aufwändig zum Leben erweckter Spionageroman. Für Zuschauerinnen und Zuschauer, die bereit sind, sich auf diese Art der Thriller-Unterhaltung einzulassen, die erfordert, dass man selbst mitdenkt und kombiniert, ist das ungemein empfehlenswert und steht als europäische Produktion solchen aus Hollywood in nichts nach.

Die deutsche Sprachfassung ist hingegen schwer einzuordnen. Die internationale Story bedingt, dass grundsätzlich auch mehrere Sprachen gesprochen werden, nämlich rumänisch, englisch und deutsch. Das ist in der Synchronfassung jedoch nicht mehr der Fall, da schlicht alle Gespräche eingedeutscht sind, was dazu führt, dass bestimmte Dialoge schlicht keinen Sinn mehr ergeben. Bittet im Original Jackson Godeanu von rumänisch auf englisch zu übersetzen, als sie mit einer dritten Person sprechen, sind so alle Dialoge auf deutsch zu hören und wiederholen sich inhaltlich. Das wirkt holprig und unnötigerweise so. Auch kostet es die Serie an Authentizität, statt dass die Studios den Mut bei internationalen Produktionen besitzen würden, die Tonfassung jeweils im Original mit Untertiteln zu belassen. Dann würden auch bestimmte Momente nicht derart unpassend klingen, wenn sich deutsche Schauspielerinnen selbst nachsynchronisieren, da die ursprünglichen Texte vermutlich auf englisch aufgenommen wurden, während ihre deutschen Dialoge in deutsch aufgenommen wurden und ganz natürlich erklingen. Die Sprecherinnen und Sprecher sind indes aus anderen Produktionen bekannt und passend besetzt, es fehlt der Tonfassung jedoch merklich an Ambiente. Ob sich die Figuren draußen oder drinnen befinden, im Auto unterhalten oder im Büro, die Atmosphäre klingt stets gleichermaßen künstlich. Das ist schlicht schade.


Fazit:
Sieht man Victor Godeanu, würde man vermuten, dass er der Held der Geschichte ist, doch das Bild, das von ihm gezeichnet wird, ist weit weniger eindeutig. Ruhig, methodisch und überlegt, agiert einer der ranghöchsten Beamten des Ostblocks, der zum inneren Kreis des rumänischen Präsidenten Ceaușescu gehört, eiskalt und berechnend. So fragt man sich, was diesen Mann inmitten des Kalten Krieges dazu bewegt, statt in die Sowjetunion zu fliehen, als er droht, enttarnt zu werden, sich an die US-Botschaft zu wenden, wohl wissend, dass er seine Familie zurücklässt. Die Antwort darauf findet sich in der letzten Episode und es ist eine Überraschung, die größer ist, als die Serie selbst am Ende herausstellt. Trotz der Laufzeit kompakt erzählt, werden die Zusammenhänge immer dichter und verworrener, so dass sich Godeanus Wut über die von Jackson verschleppte Operation Bahn bricht, da dieser die Gefährlichkeit der Situation nicht umreißt. Immer wieder stellt Regisseur Christopher Smith Verbindungen zwischen den Figuren her und erzeugt damit eine erzählerische Struktur, bei der die Spannung merklich steigt. Die zeitlichen Sprünge und Rückblenden zu Beginn sind dabei unnötig anstrengend und manche Hintergründe hätte man sich ebenso wie die Charakterisierungen stärker ausgearbeitet gewünscht, doch vor allem die herausragende Ausstattung, angefangen von den Kostümen über Fahrzeuge, Drehorte, Einrichtungen und Bauten, ist bemerkenswert. Dass die Erzählung nur selten Fahrt aufnimmt, ist auch der zurückhaltenden Musik geschuldet, doch ist das vermutlich realistischer, als die allgegenwärtigen Actionagententhriller. Handwerklich tadellos umgesetzt und gut gespielt, lebt Spy/Master von seiner greifbaren Darstellung einer im besten Sinne klassischen Spionagestory und ihrer politisch nach wie vor aktuellen Bestandteile. Fans des Genres, die bereit sind, mitzudenken, können sich darin merklich verlieren, zumal es vor allem die inhaltlichen Wendungen sind, die hier packen. Nicht nur für dieses Publikum eine eindeutige Empfehlung.