Next Goal Wins [2023]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 2. Dezember 2023
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: Next Goal Wins
Laufzeit: 103 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Taika Waititi
Musik: Michael Giacchino
Besetzung: Michael Fassbender, Oscar Kightley, Kaimana, David Fane, Rachel House, Beulah Koale, Will Arnett, Elisabeth Moss, Uli Latukefu, Chris Alosio, Lehi Makisi Falepapalangi, Semu Filipo, Ioane Goodhue, Rhys Darby, Angus Sampson, Luke Hemsworth, Kaitlyn Dever


Kurzinhalt:

Eine wirkliche Wahl hat der amerikanische Fußballtrainer Thomas Rongen (Michael Fassbender) nicht. Seine Frau Gail (Elisabeth Moss), selbst Teil der American Soccer Federation, teilt ihm mit, dass er gefeuert ist, sollte er nicht den schier unmöglichen Job annehmen und das Team von Amerikanisch-Samoa trainieren. Das hat mit einem Spiel im Jahr 2001 die höchste Niederlage des Profifußballs erlitten und bemüht sich nun, 10 Jahre später, erneut um die Qualifikation der Fußball-Weltmeisterschaft. Dabei ist der Anspruch des Verbandspräsidenten Tavita (Oscar Kightley) nicht hoch, er will nur, dass sein Team einmal ein einziges Tor schießt. Widerwillig reist Rongen auf die Pazifikinsel und findet dort Menschen und eine Mannschaft vor, die seinem Naturell überhaupt nicht entsprechen. Fußball ist für sie ein Spiel, keine Leidenschaft. Dabei geben sie sich durchaus Mühe, nehmen ihn offen auf und seine Anregungen an. Doch einen Zugang zur Mannschaft findet er kaum. Ausgerechnet in Jaiyah (Kaimana), die als Mann geboren wurde, derzeit nach den Regularien aber noch Teil der Männermannschaft sein darf, findet Thomas eine Vertraute, die ihm die Einstellung der Menschen sowie der Gesellschaft nahebringt und damit womöglich auch den Schlüssel für den Erfolg …


Kritik:
Regisseur, Autor und Darsteller Taika Waititi macht es dem Publikum bei seiner von wahren Ereignissen inspirierten Komödie Next Goal Wins unnötig schwer, sich darin fallen zu lassen. Dafür ist sein eigener Auftritt als Erzähler zu aufgesetzt, der Humor oft absehbar und erzwungen. Dass man den Film dennoch mit einem großen Lächeln auf den Lippen verlässt, ist der inspirierenden wie herzlichen Geschichte zu verdanken, die von einer engagierten Besetzung zum Leben erweckt wird. Dem zuzusehen ist einfach schön.

Die Erzählung beginnt mit einem kurzen Rückblick in das Jahr 2001, als Amerikanisch-Samoa bei einem Fußballländerspiel im Rahmen der Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft mit 31:0 Toren gegen Australien verlor. Bis heute der höchste Sieg in einem solchen Fußballspiel – oder die höchste Niederlage. Auch die darauffolgenden Jahre brachten dem Team aus Samoa kein einziges Tor ein, geschweige denn einen Sieg. Im Jahr 2011, kurz vor Beginn der nächsten Qualifikationsrunde, sucht der amerikanisch-samoanische Verbandspräsident Tavita daher einen neuen Coach. Widerwillig nimmt Thomas Rongen an, der sich seit zwei Jahren in einer Abwärtsspirale befindet und kurz davor steht, auch seinen letzten Job zu verlieren. Sein einziger Auftrag ist es, dass das Team aus Amerikanisch-Samoa endlich ein Tor schießt, nur ein einziges. Doch Rongen, der die Aufgabe ohnehin nicht ernst nimmt und seinen Alltag lieber im Alkohol ertränkt, findet keinen Zugang zu den Spielern. Insoweit erzählt Next Goal Wins eine Geschichte wie viele andere inspirierende Sportbiografien. Was diese hier unterscheidet, ist dass es nicht wirklich um den Sport an sich geht.

Während Rongen entrüstet feststellt, dass Fußball für die Spieler nur ein Spiel ist, hält ihm Tavita entgegen, dass sie nicht bereit sind, ihre Identität für einen Sieg aufzugeben. Das klingt im ersten Moment, als nähmen sie Fußball nicht ernst, doch das Gegenteil ist der Fall. Sie alle, Tavita wie die Spieler, arbeiten in mehreren Jobs, um den Verein zu finanzieren. Ob talentiert oder nicht, sie sind im Gegensatz zu Rongen bei den Trainings anwesend, lassen jede Beschimpfung über sich ergehen und bleiben trotz der andauernden Niederlagen positiv. Es ist eine Einstellung, mit der der Coach nichts anzufangen weiß, weil sie ihm selbst vollkommen fremd ist. Sucht er in dem Sport eine Erfüllung, um einen Verlust an anderer Stelle zu kompensieren, ist der Sport für die Spieler in erster Linie ein Spaß in ihrer Freizeit. Dass Thomas nicht wirklich nach Amerikanisch-Samoa entsandt wurde, um dem Team zu helfen, sondern dass ihm dort in seinem Leben geholfen wird, erkennt er nicht.

Es ist eine Bedeutung der Geschichte, die sich erst nach und nach offenbart, verdeckt unter vielen Trainings- und privaten Momenten, in denen Regisseur Waititi den Humor in den Mittelpunkt rückt. Der ist mitunter böse und erscheint angesichts der Darstellung der Menschen dieser streng religiösen Gemeinschaft mit ihren Bräuchen und ihrer Kultur etwas überzogen, doch er belächelt sie nicht von oben herab, im Gegenteil. Vielmehr beweist Next Goal Wins großen Respekt vor der Lebensphilosophie der Inselbewohner und ihrem Engagement. Bei kaum jemandem wird dies so deutlich wie bei dem Fußballspieler Johnny, der als Faʻafafine mit männlichem Geschlecht geboren wurde, sich aber als non-binär identifiziert und als Trans-Frau Jaiyah Saelua ein integraler Bestandteil, nicht nur des Teams, sondern der Gesellschaft ist. Mit viel Gespür für die Akzeptanz der übrigen Mannschaft ihr gegenüber, die Thomas anfangs nicht versteht, bringt Kaimana in einer tollen Darbietung die persönlichen Herausforderungen, Ängste und Hoffnungen dem Publikum näher. Es ist auf eine erfrischende Art und Weise unverkrampft, wie Menschen, die ebenso wie alle anderen lediglich in Frieden und glücklich als Teil der Gemeinschaft leben wollen, selten dargestellt oder gehört werden.

Der Aspekt zeichnet Next Goal Wins ebenso aus wie Michael Fassbender selbst, der zuvor unerwartet viel komödiantisches Talent offenbart, mit seiner Ansprache beim Qualifikationsspiel jedoch beweist, dass seine Darstellung von Thomas Rongen komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Es ist ein Moment, der deshalb nahegeht, da man dann versteht, wie er in diese Situation geraten ist und welches Leben er wohl verloren hat. Diese Szenen bleiben in Erinnerung und man würde sich wünschen, dass sich Regisseur Taika Waititi nicht zu sicher wäre, mit aufgesetzt klingenden, absehbaren Dialogen erzwungen witzige Situationen zu erzeugen, oder aber als Erzähler selbst den Film zu begleiten, bis hin zu einer Szene nach dem Abspann. Es sind Entscheidungen, die die Emotion der Story unnötig belasten und den Anschein erwecken, es ginge eher um eine Selbstdarstellung, als darum, diesen Charakteren Platz zu geben. Wer sich auf sie einlässt, wird dennoch von den vielen schönen Momenten, ganz abgesehen von der traumhaften Landschaft zehren. Es sind Eindrücke, die überraschend lange nachwirken.


Fazit:
Auch wenn die Geschichte selten so witzig gerät, dass man davon mitgerissen würde, und der Verlauf allzu absehbar ist, den Beteiligten gelingt es, beinahe trotz des Bezugs von Regisseur Taika Waititi auf seine eigene Person und den oft absehbar verkrampften Humor, das Publikum für sich zu gewinnen. Die Charaktere erscheinen gewissermaßen urig, werden aber nicht belächelt, sondern ernst genommen, im Gegensatz dazu, wie Thomas mit seinen Spielern umgeht. Die positive Ausstrahlung, die von ihnen, wie von Next Goal Wins selbst ausgeht, ist beinahe ansteckend und zaubert einem dank der Herzlichkeit ein Lächeln ins Gesicht. Die Story mag man packender und womöglich besser erzählen können, aber die lebensbejahenden, hörenswerten Botschaften erreichen das Publikum und lassen dies zum ersten Kinobesuch mit Wohlfühlgarantie im neuen Jahr werden.