Die letzte Fahrt der Demeter [2023]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. August 2023
Genre: Horror / Fantasy

Originaltitel: The Last Voyage of the Demeter
Laufzeit: 118 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: André Øvredal
Musik: Bear McCreary
Besetzung: Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham, David Dastmalchian, Woody Norman, Jon Jon Briones, Stefan Kapičić, Nikolai Nikolaeff, Martin Furulund, Javier Botet, Chris Walley, Nicolo Pasetti, Sally Reeve


Kurzinhalt:

Clemens (Corey Hawkins) schätzt sich glücklich, als er am 6. Juli 1897 noch einen Platz auf Kapitän Elliots (Liam Cunningham) Schiff, der Demeter, ergattert, die auf dem Weg nach England private Fracht befördert. Die kleine Besatzung, darunter Elliots erster Matrose Wojchek (David Dastmalchian) und der Neffe des Kapitäns, Toby (Woody Norman), erhält einen Bonus, wenn die Fracht pünktlich am Ziel ankommt. Doch kurz nach Auslaufen wird das für die Verpflegung an Bord befindliche Nutzvieh abgeschlachtet aufgefunden und Clemens entdeckt im Frachtraum, inmitten großer Holzkisten, in denen sich offenbar Erde befindet, eine bewusstlose, junge Frau, Anna (Aisling Franciosi). Wochenlang versucht Clemens, sie aufzuwecken. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und es scheint, als hätte die Demeter etwas Böses an Bord, das die Crew auf grausame Weise tötet – einen nach dem anderen …


Kritik:
André Øvredals Nacherzählung der Ereignisse, die sich nach den Ausführungen in Bram Stokers Dracula [1897]-Roman an Bord des Schiffes zugetragen haben, das den Fürsten der Finsternis von Rumänien nach England brachte, greift so viele gelungene Inspirationen der verschiedenen Inkarnationen der legendären Figur auf, dass es umso mehr enttäuscht, wie wenig Die letzte Fahrt der Demeter letztlich daraus zu machen versteht. Handwerklich tadellos, ist der Film vor allem eines nicht: Überraschend.

Dabei beginnt die Geschichte ebenso viel versprechend wie stimmungsvoll. Nach einem kurzen Prolog, in dem die an der englischen Küste angespülte Demeter am 6. August 1897 gefunden wird, springt die Erzählung vier Wochen zurück, als Kapitän Elliot mit seiner kleinen Crew neues Personal anwirbt, ehe die Überfahrt nach England mit einer privaten Fracht beginnen soll. Die besteht aus zahlreichen Holzkisten, groß genug, dass sie wie Särge wirken könnten. Doch der Auftraggeber lockt mit einem üppigen Bonus, wenn es der Besatzung der Demeter gelingt, die Fracht rechtzeitig an ihr Ziel zu bringen. Teil der ansonsten eingeschworenen Crew um Elliot und dessen rechte Hand Wojchek (wohl ein Verweis an den Komponisten der Musik von Francis Ford Coppolas Oscar-prämierter Adaption Bram Stokers Dracula [1992]) ist unter anderem Elliots minderjähriger Neffe Toby sowie der Arzt Clemens. Kurz nach dem Auslaufen wird das lebende Vieh, das der Crew bei der vierwöchigen Überfahrt als Nahrung dienen sollte, dahingemetzelt aufgefunden. Unmittelbar darauf entdeckt Clemens im Frachtraum in einer umgestürzten Holzkiste der wertvollen Fracht, begraben unter frischer Erde, eine bewusstlose Frau, die er versucht, mit Bluttransfusionen zu stabilisieren.

Was folgt, ist für Genrefans vollkommen absehbar, erinnert die Ausgangslage doch frappierend an Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt [1979]. Doch anstatt mit dem Schrecken, der die Besatzung heimsucht, zu geizen, zeigt Filmemacher Øvredal den Blutsauger wenn auch nicht ganz und eingangs schnell, dann zumindest früh durchaus umfassend. So stimmungsvoll Die letzte Fahrt der Demeter damit beginnt, das unheimliche Ambiente weicht schnell dem Eindruck, dass die Schiffscrew nicht mehr ist, als eine Gruppe kaum ausgearbeiteter Figuren, die nacheinander das Zeitliche segnen sollen. Wer am längsten durchhält, dürfte dabei nicht verwundern. Dabei ist das Drehbuch, das seit 20 Jahren durch verschiedenste Hände mit unterschiedlichsten Filmschaffenden im Hintergrund reiste, durchaus mutig genug, einige Entscheidungen zu treffen, die man so in einem Hollywood-Film nicht erwarten würde. Auch ist die letzte Überfahrt der Demeter kein Horrorfilm, der Spaß am Horror findet. Dies ist eine düstere, bedrückende und geradezu hoffnungslose Geschichte, bei der die isolierten Figuren ihrem Schicksal nicht zu entkommen vermögen.

Diese Aspekte heben Die letzte Fahrt der Demeter zusammen mit der erstklassigen Umsetzung merklich über diejenigen Genrefilme hinaus, die regelmäßig unmittelbar bei Streamingdiensten veröffentlicht werden. Mit den wenigen Lichtquellen ist die Szenerie oftmals arg dunkel, die Kameraführung so gewählt, dass man die schwankenden Bewegungen des Schiffes gelungen nachvollziehen kann, und insgesamt erscheint André Øvredals Erzählung teurer, als sie war. Wenigstens, bis Dracula als Figur das Finale dominiert. Dabei ist das Design selbst ein Schritt in eine neue Richtung, wird der Untote hier als reines, instinktgetriebenes Monster dargestellt. Das steht nicht nur im Widerspruch zu den bekanntesten Darstellungen der Figur, nach denen der Graf ein Edelmann ist, charmant und gutaussehend, es führt zu ganz offensichtlichen Fragen, die zu stellen der Fantasyfilm dem Publikum zeigt gibt. Wenn Dracula mehr Kreatur als Person ist, wer hat dann seine Überfahrt organisiert? Nachdem Clemens Anna in einer der Frachtkisten findet, wieso sehen sie nicht in den übrigen nach, ob sich dort weitere Menschen verstecken? Erläutert Anna Clemens später die Hintergründe, weiht dieser Kapitän Elliot zwar ein, doch ist der Moment nicht von der Kamera festgehalten, weshalb das Verhalten der Figuren, gar nicht zu reagieren, nachdem sie wissen, wer hinter den brutalen Morden steckt, umso weniger Sinn ergibt.

Dass viele Horrorgeschichten in sich zusammenfallen, wenn man genauer darüber nachdenkt, ist kein unmittelbarer Vorwurf. Doch wenn die Story nicht packend genug erzählt ist, dass einem diese Punkte beim Zusehen ins Auge springen, ist es schlicht störend. Viele Entscheidungen treffen die Charaktere schlichtweg nicht, oder unnatürlich spät, damit die Story überhaupt funktioniert. Schade ist dabei, dass viele einzelne Momente toll in Szene gesetzt sind. Tobys Isolation beispielsweise, aber auch Corey Hawkins bekommt einige gelungene Szenen zugeschrieben, ebenso Liam Cunningham in der Rolle des tragischen Kapitän Elliot, von David Dastmalchian ganz zu schweigen. Es ist die Geschichte dazwischen, vielleicht auch durch das fest vorgegebene Ende, die verhindert, dass Die letzte Fahrt der Demeter ihr volles Potential entfaltet. Schade.


Fazit:
Mit seiner tadellosen Ausstattung und der gelungenen Inszenierung präsentiert André Øvredal einen Genrefilm, der in handwerklicher Hinsicht ebenso überzeugt, wie in Hinblick auf das Design. Beim Fürsten der Finsternis eine ganze andere Richtung einzuschlagen, kann funktionieren, doch dann müsste das Drehbuch dem Publikum Erklärungen liefern, die schlicht ausbleiben, auch wenn dies streng genommen nicht seine Geschichte ist. Sieht man von dem letzten Akt, der sich zu einem Creature-Horror entwickelt, ab, entbehrt das Drehbuch jeglicher Überraschung. Nach einem stimmungsvollen Auftakt und der grundsätzlich passenden Atmosphäre, verläuft die Erzählung genau so, wie man es lange kommen sieht. Die Crew, verkörpert von einer talentierten und durchaus geforderten Besetzung, bekommt keine Möglichkeit zur Gegenwehr, sondern wird wie Lämmer zur Schlachtbank geführt. So bedauerlich, dass Die letzte Fahrt der Demeter sich jedem Klischee fügt, darunter leidet vor allem die Bedrohlichkeit, so dass hier kaum Spannung aufkommt, ungeachtet der laut eingespielten Geräusche bei den Schreckmomenten. Selbst das hat man so schon unzählige Male gesehen.