Curse of the Piper - Melodie des Todes [2023]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. Dezember 2023
Genre: Horror / Fantasy

Originaltitel: The Piper
Laufzeit: 95 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Erlingur Thoroddsen
Musik: Christopher Young
Besetzung: Charlotte Hope, Aoibhe O’Flanagan, Julian Sands, Kate Nichols, Oliver Savell, Philipp Christopher, Alexis Rodney, Pippa Winslow, Salomé Chandler, Boyan Anev


Kurzinhalt:

„Es ist das Böse, niemand darf je davon erfahren.“ Es sind die letzten Worte, die Dirigent Gustafson (Julian Sands) von der renommierten Komponistin Katherine gesagt bekommt, ehe sie versucht, das „Konzert für Kinder“ zu verbrennen, das vor beinahe 50 Jahren uraufgeführt und seither weggesperrt war. Gustafson ist am Boden zerstört, denn nicht nur, dass seine langjährige Freundin auf unerklärliche Weise ums Leben kommt, das Konzert sollte als Basis einer Spendengala dienen. Die junge Musikerin und Komponistin Melanie Walker (Charlotte Hope) ist selbst Teil des Sinfonieorchesters und wartet auf ihren Durchbruch, auch um sich und ihrer schwerhörigen Tochter Zoe (Aoibhe O’Flanagan) ein besseres Leben zu ermöglichen. Katherine war Melanies Mentorin und so bietet sie an, die Kompositionen des Konzerts zu beschaffen und, wenn nötig, zu vollenden. Aber nicht nur, dass ihr dafür kaum Zeit bleibt, als sie sich damit zu beschäftigen beginnt, bemerkt sie eine seltsame Wirkung der Kompositionen, die sich beinahe von selbst fortzuschreiben scheinen. Auf ihrer Suche nach den Ursprüngen der Melodie kommt sie einer finsteren Macht auf die Spur, die von der Musik entfesselt wurde und kaum mehr aufzuhalten ist …


Kritik:
Die Interpretation der Rattenfänger von Hameln-Sage, die der isländische Filmemacher Erlingur Thoroddsen in Curse of the Piper - Melodie des Todes erzählt, besitzt genügend interessante Aspekte und Ideen, dass man sich wünschen würde, der Film würde sie auch nutzen und erkunden. Doch abseits der durchaus stimmungsvollen handwerklichen Umsetzung enttäuscht ausgerechnet das letzte Drittel mit Entscheidungen, die sich in dem Budget offenbar nicht ansprechend realisieren ließen, und Klischees, auf die man gern verzichten würde.

Wie viele Adaptionen der Rattenfänger-Sage es gibt, ist durchaus erstaunlich. Allein 2023 gab es zwei Hollywood-Produktionen, die sich der Thematik annahmen, und Curse of the Piper gibt sich lange Mühe, die hinter der Geschichte liegende Mythologie nicht zu erwähnen. In der ersten Hälfte der kurzweiligen Laufzeit von eineinhalb Stunden konzentriert sich das Drehbuch vielmehr auf die im deutschen Untertitel genannte Melodie, mit der die Sagenfigur zuerst Ratten und später Kinder an sich bindet. Die renommierte Komponistin Katherine versprach dem Dirigenten Gustafson – gespielt von dem dieses Jahr verstorbenen Julian Sands, dem der Film gewidmet ist –, ein bereits 1975 aufgeführtes Konzert für Kinder zu vollenden, das bei einer Spendengala in wenigen Wochen gespielt werden soll. Damals brach ein verheerendes Feuer bei dem Konzert aus, bei dem viele Kinder verschwanden, deren Leichen nie gefunden wurden. Nun stirbt Katherine selbst bei dem Versuch, ihre Kompositionen zu verbrennen. Gustafson ist verzweifelt, bis die Musikerin seines Sinfonieorchesters, Melanie Walker, anbietet, das Konzert aus dem Nachlass ihrer Mentorin Katherine zu beschaffen. Mehr noch, da lediglich die ersten beiden Sätze den Brand überlebten, bietet Melanie an, das Konzert zu beenden. Hierfür kann sie auf Tonbandaufnahmen von einst zurückgreifen. Doch als sie beginnt, sich mit dem Konzert zu beschäftigen, geschehen seltsame Dinge und Visionen suchen sie heim.

Vieles hiervon klingt bekannt und tatsächlich erinnern zahlreiche Aspekte an andere Genrefilme. Doch es gelingt Filmemacher Thoroddsen erstaunlich gut, sich auf die Stärken seiner Produktion zu konzentrieren: unheilvoll ausgestattete Sets oder eine so spärliche Ausleuchtung, dass man in dunklen Momenten selbst dort Bewegung zu erkennen glaubt, wo es gar keine gibt. Dies sorgt für eine gruselige und beunruhigende Atmosphäre, die durch das Unbekannte, das in den Schatten lauert, noch verstärkt wird. Umso bedauerlicher, dass Curse of the Piper gleichzeitig auf laut eingespielte Geräusche oder plötzlich einsetzende Musik baut, um zusätzliche Schreckmomente zu erzeugen. Das ist durchaus effektiv, aber gleichermaßen absehbar. Dabei hält der Regisseur lange Zeit mit seinem Titel gebenden Pfeifenspieler zurück, so dass nicht deutlich wird, ob es sich dabei um eine tatsächliche Präsenz handelt, oder um eine Sagenfigur, die in den Köpfen der Zuhörerinnen und Zuhörer erschaffen wird.

In welche Richtung sich die Geschichte fortan entwickelt, ist hingegen nicht allzu überraschend. Jede Person, die die Melodie hört, ist von ihr wie besessen, was auf Dirigent Gustafson und den ehrgeizigen Orchestermusiker Franklin umso mehr zutrifft. Und je mehr Zeit Melanie mit den Kompositionen verbringt, umso mehr verändern sie sie. Es ist beinahe, als würde das Stück sich selbst schreiben. Ihr einziger Ankerpunkt ist ihre schwerhörige Tochter Zoe, die immer dann, wenn sie die Hörgeräte ablegt, immun gegen die Wirkung der Melodie ist. Doch werden eben hieran bereits einige Schwachpunkte der Geschichte allzu offensichtlich, denn Curse of the Piper entscheidet sich nicht, den Pfeifenspieler als tatsächliche oder übernatürliche Figur vorzustellen, die somit erst herbeigerufen werden muss, oder immer präsent ist. Ein Teil der Mythologie wird zwar aufgedeckt, als Melanie zum zweiten Mal Alice, die Schwester ihrer Mentorin Katherine aufsucht, tatsächlich greifbar wird die Hintergrundgeschichte jedoch nicht. Auch ergeben lateinische Texte des Rattenfängers keinen Sinn, wenn der Ursprung der Sage auch hier doch in Niedersachsen liegen soll.

Solange die Erzählung atmosphärisch bleibt, Christopher Youngs ebenso eingängige wie beunruhigende Kompositionen das Unheilvolle greifbar werden lassen, nimmt man die kaum ausgearbeiteten Figuren hin, deren Motivation überhaupt nur im Fall von Melanie erläutert wird. Doch je realer der Horror wird, der in keiner nachvollziehbaren Weise mitunter von den Menschen Besitz ergreift oder Kinder alleine mit dämonisch leuchtenden Augen heimsucht, umso weniger ergibt die Mythologie von Curse of the Piper einen rechten Sinn. Das Finale entführt das Publikum schließlich in die alptraumhafte Welt des Pfeifenspielers, die ein wenig an computergenerierte Hintergründe aus Musikvideoclips der 1990er-Jahre erinnert. Es ist ein Abschnitt, der sich geschrieben vermutlich besser darstellt, als er umgesetzt ist, zumal die praktischen Make-up-Effekte, so brutal das Finale ohne Vorwarnung ausfällt, für das Genre überaus gelungen sind. Die Story, die bis dahin einen eher diffusen Fantasytouch aufwies, setzt ab diesem Moment jedoch auf ein metaphysisches Wesen, dessen tatsächlicher Hintergrund dem Publikum zuvor nie erläutert wird. Dass das letzte Drittel nur wenig mitreißt, überrascht daher nicht. Das bewusst offene Ende, das als weiteres Klischee unnötigerweise heraufbeschwört wird, macht den uneinheitlichen Eindruck schließlich nicht besser.


Fazit:
Glaubt man in der ersten halben Stunde, ein Gespür dafür entwickeln zu können, was für eine Art Geschichte Filmemacher Erlingur Thoroddsen erzählt, scheint er es in Anbetracht der Auflösung selbst nicht ganz zu wissen. Die Figuren verhalten sich zunehmend weniger, wie es normale Menschen in der Situation tun würden, was bereits damit beginnt, dass sie in stockdunkle Zimmer hineinspazieren, ohne jemals zu versuchen, das Licht einzuschalten. Die Story um eine Melodie, die das Böse heraufbeschwört, ist nicht wirklich neu, aber eingangs so stimmungsvoll wie ansprechend in Szene gesetzt. Doch weder wird deutlich, wie es Hauptfigur Melanie gelingt, sich gegen die Macht der Melodie zu wehren, noch weshalb sie nicht einmal versucht, eine übergeordnete Stelle über die Bedrohung zu informieren. Nicht einmal dann, wenn Menschen verschwinden oder verletzt werden. Die Geschichte von Curse of the Piper - Melodie des Todes könnte auch funktionieren, wenn diese Punkte berücksichtigt würden, nur wäre dann keine solch geradlinige Erzählung möglich. Genrefans können sich trotz der Kritikpunkte auf eine stimmungsvolle Umsetzung freuen, die erst dann an Zugkraft verliert, wenn das Finale mit wenig überzeugenden Trickeffekten eine Fantasywelt erschaffen will, die zu groß für die Produktion ist. Das heißt nicht, dass in der Story kein Potential schlummert, man würde sich nur wünschen, dass mehr davon genutzt wird.



Curse of the Piper - Melodie des Todes-Plakat Curse of the Piper - Melodie des Todes
ist ab 5. Januar 2024 als EST
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