A Haunting in Venice [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 10. September 2023
Genre: Krimi

Originaltitel: A Haunting in Venice
Laufzeit: 103 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Kenneth Branagh
Musik: Hildur Guðnadóttir
Besetzung: Kenneth Branagh, Tina Fey, Kelly Reilly, Jamie Dornan, Camille Cottin, Kyle Allen, Jude Hill, Ali Khan, Emma Laird, Riccardo Scamarcio, Michelle Yeoh


Kurzinhalt:

Im Jahr 1947 hat sich der weltberühmte, belgische Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) in Venedig zur Ruhe gesetzt und widmet sich zurückgezogen einem ruhigeren Alltag. Zumindest, bis die befreundete, amerikanische Autorin Ariadne Oliver (Tina Fey) zu ihm kommt, deren Kriminalromane auf Poirots Schaffen basieren und ihn umso berühmten werden ließen. Nach 27 Bestsellern waren die letzten drei Bücher kein Erfolg und so recherchiert Oliver in Venedig für einen neuen Roman. Dabei stieß sie auf das Medium Joyce Reynolds (Michelle Yeoh), die angeblich mit den Toten Kontakt aufnehmen kann. Oliver ist der Überzeugung, dass dies stimmt und lädt Poirot ein, sie an Halloween zum Palazzo der trauernden Rowena Drake (Kelly Reilly) zu begleiten. Die hat Reynolds gebeten, Kontakt mit ihrer verstorbenen Tochter aufzunehmen. Poirot willigt ein und findet in dem verfallenden Haus unter anderem Dr. Ferrier (Jamie Dornan), dessen Sohn Leopold (Jude Hill) und Olga Seminoff (Camille Cottin) vor, die Drakes Tochter zuletzt gepflegt hatte. Deren ehemaliger Verlobter Maxime Gerard (Kyle Allen) ist ebenfalls vor Ort. Doch nachdem die eindrucksvolle und beängstigende Séance unterbrochen wird, in der Reynolds behauptet, gesehen zu haben, dass Rowenas Tochter ermordet wurde, geschieht ein weiterer Mord. Während draußen ein Sturm tobt, beginnt Poirot mit den Ermittlungen, doch Eindrücke, die er sich nicht erklären kann, lassen ihn an seinem Verstand zweifeln. Es sei denn, das Haus ist tatsächlich verflucht …


Kritik:
Zum dritten Mal bringt Kenneth Branagh den aus Agatha Christies Romanen bekannten wie darin weltberühmten, belgischen Meisterdetektiv Hercule Poirot auf die Leinwand, der in Venedig in einem mystisch-mysteriösen Fall ermittelt. A Haunting in Venice baut dabei die Stärken der ersten beiden Filme konsequent aus und erzählt mit einem fantastisch besetzten Ensemble einen klassischen Krimi vor einem berauschenden Hintergrund. Einziger Wermutstropfen dabei ist, dass erfahrene Genrefans denn Fall früher lösen als der Detektiv. Die Atmosphäre trübt das kaum.

Dabei ist dies das erste Mal, dass Christies Vorlage Die Halloween-Party [1969] überhaupt für die große Leinwand adaptiert wird. Im Jahr 1947 hat sich Poirot in Venedig zur Ruhe gesetzt. Sein Ruhm wurde durch die Kriminalromane der Bestsellerautorin Ariadne Oliver nur vergrößert, doch Poirot ist nach zwei Weltkriegen und den Verbrechen, die er beobachtet hat, der Leichen müde und kümmert sich stattdessen um seinen Gemüsegarten. Sein Ruf ist indes ungebrochen und wäre es nicht um seinen Bodyguard, könnte der auf seine Routinen festgelegte Detektiv seine geliebten Süßigkeiten nicht in Ruhe verspeisen. Das ändert sich, als Ariadne ihn aufsucht. Bei Recherchen zu einem neuen Buch ist sie auf das Medium Joyce Reynolds gestoßen, die behauptet, mit den Toten sprechen zu können. Ariadne ist der Auffassung, sie habe tatsächlich eine solche Begabung. Poirot soll sie zu einer Séance in dem als heimgesucht geltenden Palazzo der ehemaligen Sängerin Rowena Drake begleiten. Deren Tochter hat Selbstmord begangen. Poirot willigt ein, der Séance beizuwohnen, bei der Joyce Reynolds Dinge offenbart und Unheimliches geschieht, das Poirot nicht erklären kann. Doch kurz, nachdem Reynolds behauptet, in ihrer Vision den Mord an Drakes Tochter beobachtet zu haben, und die Sitzung unterbrochen wird, geschieht ein weiterer Mord in jenem Haus. Bei seinen Nachforschungen beginnt Poirot, Stimmen zu hören und Dinge zu sehen, die nicht vorhanden sind, als wäre dies ein Fall, der keine natürliche Erklärung bereithält.

Um das Publikum entsprechend darauf einzustimmen, wird der Mythos jenes Palazzos eingangs einer Gruppe Kindern zur Feier von Halloween in einem Schattenspiel erzählt. So war das Gebäude ursprünglich ein Waisenhaus, in dem Kinder eingesperrt wurden und darin starben. Ihre Geister suchen seither alle Menschen heim, die dort wohnen. Jeder, der hier lebt, verliert jemanden, heißt es, und wenn man den Schatten eines Kindes an irgendeiner Wand oder dem Boden sieht, ist man verloren. Diese Geister sollen Drakes Tochter Alicia in den Tod getrieben haben. Es ist ein Mysterium, das sich hervorragend in das sturmgepeitschte Venedig einfügt mit dem barocken Palazzo, das trotz der alptraumhaft und heruntergekommenen Erscheinung eine anmutige Schönheit ausstrahlt. Die Geschehnisse der Vorlage aus Großbritannien nach Venedig zu verlagern, ist eine der besten Entscheidungen der Verantwortlichen und dass Filmemacher Branagh an Originalschauplätzen gedreht hat, kommt A Haunting in Venice umso mehr zugute. Die Aufnahmen der überwiegend menschenleeren Stadt sind atemberaubend, die Ausstattung und Bauten fantastisch gelungen.

Es ist ein Hintergrund, vor dem die erlesene Besetzung umso mehr aufblüht. Angeführt von Kenneth Branagh selbst, der sich die Rolle des eigenwilligen wie arroganten Detektivs zu Eigen gemacht hat, als wäre sie ein Anzug, der ihm wie angegossen passt, stehen Kelly Reilly als trauernde Mutter ebenso hervor wie Jamie Dornan in der Rolle des gezeichneten Kriegsveteranen und Freund der Familie. Dass Tina Fey trotz einiger Spitzen ihrer Figur gegenüber Poirot doch eine ernste Rolle einnimmt, ist so ungewohnt wie gelungen, es ist jedoch Michelle Yeoh, die als Medium und gequälte Seele Joyce Reynolds abseits der Hauptfigur am stärksten in Erinnerung bleibt. Getragen werden die Darbietungen von Dialogen, in denen sich die unterschiedlichen Charaktere treffend wiederfinden und Poirots analytische Fähigkeiten messerscharf zum Ausdruck gebracht werden. Gleichzeitig verlässt sich A Haunting in Venice stark auf den Mystery-Aspekt der Story mit einem krächzenden Papagei, platzenden Glühbirnen, Flüstern im Hintergrund oder dem Unwetter, das von draußen gegen die Fensterläden drückt. Die Atmosphäre wird weniger durch den Fall definiert, als dass sie Teil von Poirots Ermittlungen ist.

Dass diese unterschiedlichen Elemente, zumal nicht in einem Horrorfilm, sondern einen Krimi eingebettet, allzu vertraut sind und wenig überraschend, ist auch dem Umstand geschuldet, dass das Genre von den vielen Vorlagen der Autorin profitiert hat. Auch der Fall an sich ist für Fans früh zu durchschauen, selbst wenn nicht alle Zusammenhänge gleichermaßen offensichtlich sind. Doch das ändert nichts daran, dass A Haunting in Venice ein in jeder Hinsicht toll in Szene gesetzter Krimi mit einer gelungenen Stimmung ist. Für ein junges Publikum ebenso wenig geeignet wie für eines, das erwartet, dass die Ermittlungen stets nach vorne preschen, konzentriert sich das Drehbuch auf die wenigen Figuren und präsentiert Poirot wie die Zuschauerinnen und Zuschauer mit unterschiedlichen Charakteren, deren Motivation es zu durchleuchten gilt. Das ist im besten Sinne klassische Krimi-Erzählung, wie es sie heute – mit Ausnahme von Mord im Orient Express [2017] und Tod auf dem Nil [2022] – so gut wie gar nicht mehr gibt. Umso schöner ist es, sie auf der großen Leinwand zu sehen.


Fazit:
Während Kenneth Branagh in der Rolle des eingangs zurückgezogenen und doch leicht zu pikierenden Detektivs brilliert, dessen Blick Bände spricht, als seine Freundin Ariadne Oliver ihm erzählt, sie sei die intelligenteste Person, die sie kenne und da sie das Rätsel um das Medium nicht habe lösen können, sei sie zur zweitintelligentesten Person gekommen – Poirot –, ist es seine Inszenierung, die durchweg beeindruckt. Einerseits gelingt ihm eine in ihrer Unheimlichkeit sich steigernde Stimmung, andererseits versteht er es, die unterschiedlichen Charaktere des Falles entsprechend in Szene zu setzen. Venedig als Hintergrund hierzu eignet sich hervorragend und die Bilderauswahl ist auch dann, wenn Poirots steigendes Unbehagen verdeutlicht wird, mit Perspektiven und Kameraideen erstklassig. Hinzu kommt eine Ausstattung und Kulisse, die besser nicht sein könnte und ein Ensemble, das sich die meisten Filmschaffenden nur erträumen können. Handwerklich, stilistisch und hinsichtlich der Atmosphäre, ist dies ein Lehrstück des Genres und für ein Publikum, das sich auf einen solch althergebrachten Krimi einlässt, ist A Haunting in Venice fantastisch zum Leben erweckte Unterhaltung. Selbst dann, wenn der Krimi wie auch die gruseligen Elemente viel Vertrautes beinhalten. Man kann sich nur wünschen, dass dies nicht Branaghs letzter Auftritt in dieser Rolle ist. Klasse!