Nora Roberts: "Das Leuchten des Himmels" [2004]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. Januar 2006
Autor: Nora Roberts

Genre: Krimi / Liebesroman

Originaltitel: Northern Lights
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 637 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2004
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2004
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-515-13974-2


Kurzinhalt:
Nach seinem traumatischen Diensterlebnis in Baltimore, verschlägt es den Polizisten Ignatious "Nate" Burke fernab nach Alaska, in die Kleinstadt Lunacy, um dort die neu eingerichtete Polizeizentrale zu leiten. In der eingeschworenen Gemeinde hatte Chief Burke die Möglichkeit für einen Neuanfang erwartet und sieht sich – wie nicht anders zu erwarten – zuerst mit dem reservierten Verhalten der Einwohner gegenüber einem Außenseiter konfrontiert.
Aber während der Winter in Lunacy Einzug hält und die Tage immer kürzer werden, lebt sich Burke mit Hilfe von Bürgermeisterin Hopp und der Hotel-Besitzerin Charlene, seinen Kollegen, den Deputies Otto und Peter, sowie der charismatischen Peach allmählich im Polizeiquartier ein. Als zudem eine unerwartete Beziehung mit der Pilotin Meg Galloway, Charlenes Tochter, aufflammt, scheint für Burke das Leben in Ordnung.
Doch bei einem Kletterzwischenfall mehrerer Jugendlicher in den Bergen Alaskas, finden die Teenager eine Leiche, die dort schon seit 16 Jahren verschollen war – wie sich herausstellt, war es Megs Vater, der bei einem Aufstieg auf den Berg ermordet worden war. Als wenig später ein weiterer Mord geschieht, steht für Chief Burke fest, dass der Mörder von Pat Galloway immer noch in Lunacy lebt und nun darum bemüht ist, seine Vergangenheit zu verbergen. Und je mehr Burke nachforscht, umso mehr Geheimnisse tun sich bei den Bewohnern Lunacys auf ...


Kritik:
Ihr erstes Buch, Einklang der Herzen, erschien 1981; im Februar 1979 während eines Schneesturms hatte die damals 29jährige Nora Roberts mit dem Schreiben begonnen, da sie eine Woche lang das Haus nicht verlassen konnte. Mit zwei Söhnen zu Hause, suchte sie nach einer Beschäftigung, die sich nicht um die Kinder drehte und heute sagt sie über diesen Blizzard, er war ein Segen, den sie zunächst nicht erkannte: "Ich habe mit Schreiben angefangen, um einen klaren Kopf zu bewahren und ich habe einen Beruf gefunden, den ich liebe."
Sowohl unter ihrem richtigen Namen, als auch unter dem Pseudonym J.D. Robb verfasste Roberts in den bisherigen 25 Jahren ihrer Karriere über 150 Bücher (darunter 100 New York Times-Bestseller) und zählt mit einer Auflagenstärke von 280 Millionen Exemplaren zu den meistgelesenen Autor(inn)en unserer Zeit. Diese Menge an Büchern bewältigt sie durch diszipliniertes Arbeiten von acht Stunden täglich, jeden Tag und auch im Urlaub – so gelingt es Roberts, bis zu einem Dutzend Romane im Jahr zu veröffentlichen. Das Genre, das sie dabei für sich behauptet und bis heute erfolgreich verteidigt, wird von vielen anderen Autoren und Autorinnen bevölkert, doch sticht keiner und keine als Romanautor von Liebesromanen so hervor, wie Nora Roberts, die von ihren Kollegen auch nur "The Nora" genannt wird.

Das Setting in Alaska, das Nora Roberts für Das Leuchten des Himmels wählt, prägt den Roman ebenso wie die Figuren darin und wird – so viel ist schon nach wenigen Seiten klar – ein essentieller Bestandteil des Romans. So kommt Chief Burkes Ermittlung erst dann richtig in Fahrt, wenn sich auch die Landschaft dem kommenden Frühling beugt und die Tage in Lunacy wieder länger werden.
Die Autorin nimmt sich zu Beginn von Northern Lights, so der Originaltitel, sehr viel Zeit, die Figuren und die Kleinstadt einzuführen, ehe nach dem ersten Drittel das Augenmerk des Romans auf den kommenden Krimi gelenkt wird. Diese Einführungszeit nutzt Roberts, der Umgebung in Alaska eine Persönlichkeit zu verleihen, die Gesinnung der Menschen ebenso einzufangen, wie das Aussehen der Stadt und der Landschaft um sie herum. So finden in diesen Seiten manche Figuren sichtlich mehr Platz, als in der zweiten Hälfte des Buches, was einerseits zwar verständlich ist, aber auch enttäuscht, wenn sympathische Charaktere etwas vernachlässigt werden.
Die Story selbst konzentriert sich dabei aber ebenso sehr auf die Beziehung zwischen Nate Burke und den Kleinstädtern, sowie die Anziehung zwischen ihm und der Pilotin Meg Galloway. Für Krimifans eher ungewöhnlich sind somit sicherlich die zahlreichen Liebesszenen der beiden Figuren, die (dem Genre von Nora Roberts entsprechend) auch sehr ausführlich und detailliert geraten sind. Überraschend ist dabei aber, dass die Autorin sich was die Dialoge und Verhaltensmuster der Figuren angeht, nicht auf Genreklischees verlässt, sondern auch die Liebesbeziehung so realistisch wie natürlich erzählt, auch wenn ein gewisser Kitschaspekt nicht abzusprechen ist.
Gerade im letzten Drittel entfaltet der Krimi neue Ebenen, führt den Leser auf falsche Fährten und stellt immer mehr zwielichtige Figuren vor, die verdeutlichen, dass in der beschaulichen Kleinstadt weit mehr Geheimnisse in den Familien verborgen liegen, als Burke oder der Leser als Außenseiter vermutet hätte. Doch wenn sich die eigentliche Ermittlung auch auf das Befragen der Einwohner konzentriert, die wirklich wichtigen Hinweise bekommt der Polizeichef von außerhalb zugetragen und er muss lediglich darauf reagieren. Das mag zwar realistisch sein, nimmt der Story aber den Thrilleranteil, den man etwas vermisst. Ein wenig ärgerlich ist auch die Auflösung, die man in dem Sinne als Leser nicht selbst hätte ausknobeln können, und auf die Chief Burke viel zu spät kommt, immerhin hätte er genau das, was ihn letztlich zum Täter führt, schon kurz nach dem Eintreffen des wichtigsten Hinweises tun können. So zögert Roberts das Finale nur unnötigerweise 50 Seiten hinaus.
Davon einmal abgesehen ist die Story für einen romantischen Krimi aber ausreichend ausbalanciert und bietet genügend interessanten Lesestoff für die 600 Seiten, die wirklich schnell vergehen.

Dass die Autorin ihre Figuren auch in den 400 Seiten nach Beginn der eigentlichen Krimihandlung nicht vernachlässigt ist bemerkenswert und erfreulich, manche Charaktere kommen gar erst dann richtig zur Geltung, werden aber insbesondere im letzten Drittel kaum mehr erwähnt. So hätte man sich gewünscht, den weiteren Verlauf der Stadtzeitung genannt zu bekommen und auch das Schicksal von Charlenes Liebesleben bleibt schließlich unbekannt.
Die wichtigsten Veränderungen erfahren sicherlich die beiden Hauptfiguren Nate Burke und Meg Galloway, aber interessanterweise wird auch der verstorbene Pat Galloway so sehr beleuchtet, dass man sich als Leser einen sehr guten Eindruck von der Figur machen kann – an interessanten Nebenfiguren wie den Deputy Otto, oder Jacob (Megs Ziehvater) mangelt es außerdem nicht. Die Anzahl der Figuren ist dabei ebenso groß wie ihr Hintergrund und ihre Verhaltensweisen mannigfaltig. Nora Roberts gewährt ihren Figuren den notwendigen Raum, sich zu entfalten, schildert die Zusammenhänge und die Verwicklungen im Kleinstadtleben, in dem früher oder später alle aufeinander angewiesen sind und viele Menschen ihren Nachbarn und Lebenspartner nicht alles erzählen.
So entsteht ein lebendiges Bild von Lunacy und seinen Bewohnern, ein farbiges und bewegtes Porträt dieses Mikrokosmos, der durch die Verdächtigungen und Entwicklungen der Polizeiermittlung so empfindlich gestört wird. Diese Veränderungen einzufangen, das Barrikadieren der Figuren zu beobachten ist so interessant wie faszinierend und spricht für Roberts Talent, eine lebendige Welt mit greifbaren Figuren in ihren Romanen zu erschaffen.

Dramaturgisch vermag der Roman zwar durchweg zu überzeugen, das aber ansich, ohne die Figuren großartig in Gefahr zu bringen. Selbiges geschieht erst in der zweiten Romanhälfte, wenn klar wird, dass der Mörder Pat Galloways immer noch in Lunacy weilt und auch nicht davor scheut, sein Geheimnis zu bewahren. Bis dahin zieht der Roman seine Sogwirkung aus der Vielzahl der Charaktere und der berauschenden Landschaftsbeschreibungen, die unter anderem dafür sorgen, dass man den Roman stellenweise gar nicht mehr aus den Händen legen kann.
Mit der steigenden Unruhe in Lunacy schraubt Roberts auch die Spannungsschraube immer weiter nach oben, liefert kleine Details und Teile des Puzzles um den Mord, den es zu klären gilt, und sorgt so für ein ständiges Interesse des Lesers, das dadurch weiter angeheizt wird, dass sich die Beziehung zwischen Meg und Nate immer weiter entwickelt.
Etwas aus der Reihe fällt hier allerdings das Finale, das einerseits zu schnell abläuft und dann auch noch in einer Art und Weise aufgelöst wird, wie man es sich in einem handelsüblichen TV-Krimi vorstellen würde. Leider auf unschöne Weise abgerundet wird dies durch einen viel zu kurzen Epilog, der zu wenig Abschluss für die Figuren bietet, denen man als Leser in dieser 600 Seiten währenden Reise gefolgt ist. Hier wäre mehr eindeutig besser gewesen.

Sprachlich gibt es indes nichts zu bemängeln. Nora Roberts zieht alle Register, um mit einer möglichst leicht verständlichen Sprache ein möglichst effektives und facettenreiches Bild im Kopf des Lesers zu zeichnen. Das gelingt ihr ansich auch sehr gut, doch gibt es (gerade beim Finale) immer wieder einige Abschnitte, die wirken, als wären sie nicht nochmals Korrektur gelesen worden, zu verworren der Satzbau, zu schnell die Perspektivenwechsel der Szenerie.
Selbst für Gelegenheitsleser ist die Sprachwahl gut verständlich, beinhaltet im Polizei-Jargon aber einige Fachausdrücke, die unerfahrenen Lesern der Englischen Romane unbekannt sein dürften.

Noch einige kurze Anmerkungen zum vorliegenden Format des Romans aus dem Hause Jove: Als "Premium"-Format angepriesen weist diese Ausgabe von Northern Lights einige Besonderheiten auf, so wurde das Design überarbeitet, um ein angenehmeres Leseerlebnis zu gewährleisten – das Buch selbst ist höher, als bekannte Taschenbücher, mit einer größeren Schrift auf hellerem Papier gedruckt, und mit größeren Zeilenabständen versehen.
Herausgekommen ist ein recht großes, aber sehr handliches Taschenbuch, das durch den verstärkten Buchrücken auch keine großen Gebrauchspuren aufweist. Leseratten sei diese Ausgabe durchaus empfohlen, denn auch wenn das Druckbild im ersten Moment durch die kurze Zeilenbreite etwas verwundert, gewöhnt man sich schnell an das Aussehen und hat nicht zuletzt in der Handhabung Vorteile gegenüber einem traditionellen Taschenbuch – besonders in nicht hell ausgeleuchteten Umgebungen.

Blickt man nach den sehr schnell verflogenen Seiten auf den Roman zurück, bleibt zuerst ein positiver Eindruck zurück, der sich allerdings in mehrere Bereich aufgliedert. Während die Stärken des Buches eindeutig bei den Figuren und der Beschreibung Alaskas liegen und gerade die Verknüpfungen innerhalb Lunacys sehr gut herausgearbeitet sind, wirkt der Krimi im Gegensatz zur gleichzeitig erzählten Liebesbeziehung etwas unausgegoren und schlicht zu einfach gestrickt.
Der Storyaspekt scheint vielmehr ein Vorwand, um die Stärken des Romans erzählen zu dürfen und insofern mag man das der Autorin gern nachsehen. Hinter Das Leuchten des Himmels verbirgt sich ein rasant und bildreich erzählter Liebesroman mit routinierten Krimielementen, der Genrefans durchaus empfohlen sei, der als reiner Krimi aber nicht ganz hält, was er verspricht. Kenner von Nora Roberts Werken legen aber darauf ohnehin weniger Wert, als auf die bereits angesprochenen Stärken des Buches.


Fazit:
Man muss sich als männlicher Bewohner des Planeten seltsamen Blicken aussetzen, wenn man öffentlich zugibt, einen Nora Roberts-Roman gelesen zu haben – was mich dabei an dem Werk interessierte, ist bereits im Klappentext zu lesen und von den zitierten Pressestimmen zu Beginn des Buches hervorgehoben: Die Art und Weise, in der Nora Roberts die Landschaft Alaskas beschreibt, in Bild der Szenerie im Kopf des Lesers zeichnet, es mit Farben und Geräuschen füllt, ist atemberaubend und für diejenigen noch intensiver, die sich mit Bildern und Eindrücken jenes vermeintlich unwirtlichen Ortes bereits auseinander gesetzt haben.
So ist die Kleinstadt Lunacy und die nur kurz erwähnten Bewohner derselben ebenso ein Charakter im Buch, wie Alaska selbst, die weiten Schneelandschaften, die unberührte Natur mit den himmelhohen Bergen und die malerischen Wälder mit der Tierwelt darin. Der Autorin gelingt es gekonnt, diese Momente auszukosten, um den Leser sich darin verlieren zu lassen, und dabei doch immer wieder ihren Krimi voran zu treiben. Doch entpuppt sich dessen Auflösung im Endeffekt als ebenso unvorhersehbar für den Leser, wie das Finale aufgesetzt actionreich wirkt. Dafür können die Figuren in den 630 Seiten zuvor überzeugen, die allesamt einen vielschichtigen Hintergrund zugeschrieben bekommen und auch entwickelt werden. Schade nur, dass Roberts ihren Lesern einen richtigen Epilog vorenthält, denn ein Abschluss jenes halben Jahres im Leben von Chief Ignatious Burke hätte umfassender ausfallen können und auch sollen.
So bleibt bei Das Leuchten des Himmels ein solide erzählter Krimi mit viel Romantik, Sex und einer bezaubernden Kulisse, in der man sich gern erneut verlieren würde, in Erinnerung. Die Auflösung mag zwar nicht vollkommen überzeugen, aber dank des flotten Erzähltempos vergehen die 600 Seiten wie im Flug und seien damit all jenen empfohlen, die zumindest in ihren Gedanken einen "mörderischen" Urlaub in einem der faszinierendsten Orte dieser Erde machen möchten.