Kinds of Kindness [2024]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. Juni 2024
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: Kinds of Kindness
Laufzeit: 164 min.
Produktionsland: Irland / Großbritannien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Yorgos Lanthimos
Musik: Jerskin Fendrix
Besetzung: Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe, Margaret Qualley, Hong Chau, Mamoudou Athie, Joe Alwyn, Hunter Schafer, Yorgos Stefanakos, Merah Benoit


Kurzinhalt:

Das Leben von Robert Fletcher (Jesse Plemons) wird ihm bis ins Detail von seinem Boss Raymond (Willem Dafoe) vorgeschrieben. Alles was er tut, isst, wie er sich kleidet – seit 10 Jahren. Zum Dank war Robert ein großer Erfolg vergönnt und er hat seine Frau Sarah (Hong Chau) kennengelernt. Hierfür verlangt Raymond von ihm, dass er Aufgaben erfüllt. Doch die aktuelle Herausforderung bringt Robert nicht über sich, zu vollenden. Schlimmer jedoch, als der Erwartung Raymonds nicht zu entsprechen, ist die Zurückweisung und wozu sie Robert treibt.

Die Ehefrau Liz (Emma Stone) von Polizist Daniel (Jesse Plemons) wird auf Hoher See vermisst. Daniel zerbricht beinahe daran und könnte kaum glücklicher sein, als Liz gefunden wird. Doch nachdem sein Frau zuhause ist, bemerkt er Veränderungen an ihr, die ihn zur Überzeugung führen, dass dies nicht Liz sein kann. Als sie wiederholt versichert, sie würde alles tun, um ihn zu überzeugen, ersinnt er grausame Opfer, mit denen Liz ihre Hingabe beweisen soll.

Sektenmitglieder Emily (Emma Stone) und Andrew (Jesse Plemons) sind auf der Suche nach der einen Frau, die in der Lage ist, ein Wunder zu vollbringen. Sie geben sich dabei nicht nur der Überzeugung der Gemeinschaft hin, sondern auch dem Sektenführer Omi (Willem Dafoe). Die strikten Reinheitsvorgaben könnten jedoch dazu führen, dass Emily aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird – um die Gunst der anderen zurückzugewinnen, ist sie bereit, alles zu tun …


Kritik:
Es fällt derart schwer, die eigenen Gedanken nach Yorgos Lanthimos’ in drei grob miteinander verbundenen Erzählungen unterteilten Film Kinds of Kindness zu sortieren, dass wenn nichts anderes, man zumindest darüber sagen kann, dass er sein Publikum beschäftigen wird. Das aber nur, sofern man die weit über zweieinhalbstündige Laufzeit durchgestanden hat. Die erscheint deshalb kürzer, als sie sich anhört, da die Geschichten derart abstrakt sind, dass man stets auf eine Eingebung oder Erläuterung hofft.

Die wird sich – so viel sei verraten – auch am Ende nicht einstellen. Zumindest nicht bewusst. Das erzählerische Triptychon lässt sich jedoch auf verschiedenste Art und Weise interpretieren und ist ohne die Interpretation von Seiten des Publikums nicht mehr als eine Aneinanderreihung von geradezu beißend bösartigen Aussagen die jeweiligen Protagonisten betreffend. Die drei Geschichten werden von einer kleinen Besetzung zum Leben erweckt, die darin jeweils in unterschiedliche Rollen schlüpft. In „Der Tod von R.M.F.“ verkörpert Jesse Plemons einen Mann, der sich seit 10 Jahren in einem unvorstellbaren Abhängigkeitsverhältnis befindet. Sein Boss bestimmt jeden Moment seines Lebens, was er isst und wie er sich kleidet. Sogar, wie oft er mit seiner Frau schlafen darf bzw. muss, die für ihn ausgesucht wurde. In seinen Tagesablauf eingeplant sind entsprechende Aufgaben und Herausforderungen. Als die gestellte Aufgabe das übersteigt, was der Mann bereit ist zu tun, wird er aus dem Abhängigkeitsverhältnis entlassen, mit der Folge, dass er unter der Zurückweisung und der neu gewonnenen Freiheit so sehr leidet, dass ihn die Situation zu extremen Maßnahmen greifen lässt, die Gunst seines vorigen Meisters wiederzuerlangen. In „R.M.F. fliegt“ ist ein Polizist überzeugt, dass seine auf Hoher See verschollene und gerettete Frau eine Hochstaplerin und nicht seine tatsächliche Frau ist. Die letzte Geschichte „R.M.F. isst ein Sandwich“ handelt von den Sektenmitgliedern Emily und Andrew, die auf der Suche nach einer verheißenen Frau sind, die Tote wieder zum Leben erwecken können soll. Der Glaube an den Erlösungskult und insbesondere die Abhängigkeit von der Sekte selbst, sind dabei so groß, dass die Mitglieder bereit sind, Unvorstellbares in deren Namen zu tun.

Ein offensichtlich verbindendes Element der drei Geschichten ist die Figur R.M.F., die man in der zweiten jedoch kaum zu sehen bekommt und die bei der ersten eine andere Person sein könnte, als das Monogramm auf der Hemdtasche vermuten lässt. Weitere Aspekte sind inhaltlicher Natur und lassen sich bereits aus der oben beschriebenen Inhaltsangabe herauslesen. Im Kern beschreibt Kinds of Kindness in drei Geschichten Allegorien von Kontrolle bzw. Abhängigkeit, Macht und Sex. Sex, den die Mächtigen durch die Ausübung der Kontrolle einfordern, den man als Günstling im Abhängigkeitsverhältnis als Belohnung erhält, den man anderen im Gegenzug zu deren möglicher Anerkennung anbietet, oder der entgegen des Willens der anderen Person aufgezwungen wird. Dabei ist es gleichermaßen befremdlich, dass Filmemacher Lanthimos seine namhafte und durchaus engagierte Besetzung hier beim Gruppensex zeigt oder eine Vergewaltigung, ohne dies in irgendeinen erzählerischen Kontext zu rücken. Ersteres ist Teil einer Geschichte, die sich anschließend um die Darstellung der zerstörerischen Selbstaufgabe und Selbstverstümmelung dreht, um mit dem Schlussbild jegliche Aussage toxischer oder paranoider Beziehungen zu negieren. Die gezeigte Vergewaltigung wird weder als solche deklariert, noch der Übergriff bzw. die tatausübende Person verurteilt. Beides erscheint daher umso mehr wie Provokationen unter dem Anschein künstlerischen Anspruchs.

Dass alle drei Erzählungen surreal wirken, die gezeigten Orte beinahe menschenleer sind, macht all dies weder besser, noch verständlicher. Die inhaltlichen Kernaussagen der ersten und dritten Geschichte mögen sich beim ersten Zusehen zwar durch den jeweils gesetzten Schlusspunkt erschließen, „R.M.F. fliegt“ hingegen wirkt in der Erzählung wie der Botschaft schlicht grotesk, verschiebt die Sympathie der Figuren, ohne dass dies zu irgendeinem Ziel führen würde. Abgesehen davon, dass der Erzählstrang um die zweite, gerettete Person vollkommen außer Acht gelassen wird. Dabei wird Kinds of Kindness mit einer Finesse präsentiert, dass sowohl die Bilder faszinieren, wie auch insbesondere die Darbietungen, allen voran diejenigen von Emma Stone und Jesse Plemons. Preiswürdig und furchtlos zeigen sie eine Bandbreite und einen Facettenreichtum, der insbesondere in den dichten Aufnahmen, die jede ihre Regungen zeigen, überrascht.

Ob das ausreicht, das Publikum zu fesseln, selbst wenn man die Erzählungen selbst hinzunimmt, in deren Bedeutung man Vieles hineinlesen kann, sei dahingestellt. Talent vor und hinter der Kamera reicht indes nicht aus, wenn was beides zum Leben erweckt der Darstellung der eigenen Kunstfertigkeit zu dienen scheint. Oder um es anders zu sagen, so eindrucksvoll viele Aspekte sind, ob dies, abhängig von der Zugänglichkeit, die bestmögliche Art ist, die Aussagen zur Geltung zu bringen, sei dahingestellt. Kinds of Kindness ist ein Film, über den das Publikum, das ihn ansieht, sprechen wird und über den die Meinungen sicher auseinandergehen werden. Gehaltvoller macht ihn das nicht.


Fazit:
Dass die Dialoge und Verhaltensweisen der Figuren entrückt erscheinen, eingebunden in eine spürbar artifizielle Welt, ist kein wirklicher Kritikpunkt. Am Ende finden die drei Geschichten jedoch Aussagen zu denselben Themen, mitunter auf eine geradezu bewusst widerliche, zynische Art und Weise. Man mag dies als bösen Humor deuten, er ist jedoch weniger hintersinnig als boshaft. Es schmälert in keinem Fall die handwerkliche Fertigkeit hinsichtlich der Inszenierung und dass die Besetzung spürbar aufblüht angesichts der Möglichkeit, Abgründe ihrer Figuren und Extreme auszuloten, ist so sichtbar wie verständlich. Wer sich nach den ersten 15 Minuten von Kinds of Kindness fragt, ob dies schon „alles“ ist, oder all dies irgendwann noch einen größeren Sinn ergeben wird, sollte sich nicht mit den nachfolgenden zweieinhalb Stunden belasten. Die bieten zwar mehr desselben, mehr aber auch nicht. Dafür gibt es unzweifelhaft ein Publikum, das bei Yorgos Lanthimos gut aufgehoben ist. Doch für einen Großteil der Zuschauerinnen und Zuschauer wird dies nicht nur selbstgefällig langatmig aufstoßen, sondern ebenso verkrampft und eingebildet, so dass die Zurschaustellung des eigenen Talents den verwertbaren Inhalt übersteigt. Die bewusst und unnötig sexualisierte Ausrichtung der Geschichten stößt angesichts dessen sauer auf, dass verbrecherische Übergriffe, das Ausnutzen eines Machtgefälles, hier gezeigt, aber nicht verurteilt werden.