The Bikeriders [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Juni 2024
Genre: Drama

Originaltitel: The Bikeriders
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Jeff Nichols
Musik: David Wingo
Besetzung: Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Mike Faist, Michael Shannon, Norman Reedus, Boyd Holbrook, Damon Herriman, Beau Knapp, Emory Cohen, Karl Glusman, Toby Wallace, Happy Anderson


Kurzinhalt:

Als Kathy (Jodie Comer) im Jahr 1965 in einer Bar auf die Motorradgang der in Chicago basierten „Vandals“ trifft, ist ihr erster Instinkt, wieder zu verschwinden. Doch der junge Benny (Austin Butler) hat es ihr angetan, selbst wenn sie gewarnt wird, dass er immer wieder Unfälle baut. Benny besitzt eine Ausstrahlung, dank der es ihm gelingt, Kathy und ihren Freund auseinander zu bringen, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Kurz darauf sind sie verheiratet und Kathy ebenso Teil des von Johnny (Tom Hardy) gegründeten Motorradclubs. Doch so frei und ungezwungen die Biker sich dort organisieren, durch die Expansion der Vandals in Ablegern anderer Städte gewinnt der Club eine Dynamik, die auch Johnny nur schwer unter Kontrolle halten kann. Dabei muss Kathy mitansehen, wie sich Benny mit seinem Motorrad oder auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Club immer wieder Ärger einhandelt. Es ist eine Situation, die offenbar nur einen Ausgang kennt …


Kritik:
Inspiriert von Interviews und dem Fotoband von Danny Lyon, der Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre eine Motorradgang begleitet hat, erzählt Filmemacher Jeff Nichols in The Bikeriders die Geschichte eines fiktiven Motorradclubs in Chicago. Sein zunehmend ernster und bedrohlicher werdendes Drama ist weniger eine Biografie der einzelnen Mitglieder, die hier vorgestellt werden, als ein Blick darauf, wie sich diese sehr spezielle Gemeinschaft zu einer Organisation mit geradezu mafiösen Strukturen verändert.

Seiner Vorlage bleibt Regisseur Nichols insoweit treu, dass auch Filmemacher und Fotograf Danny Lyon Teil der Erzählung ist. Er interviewt die junge Kathy, die im Jahr 1965 mit dem von Johnny gegründeten Motorclub der „Vandals“ in Kontakt kommt. Dort trifft sie auf den schweigsamen Benny, zu dem sie sich sofort hingezogen fühlt. Nur fünf Wochen später sind sie verheiratet. Doch der anfangs überschaubare Club mit seinen wenigen Mitgliedern expandiert, gründet Ableger in anderen Städten. Die wenigen, klaren Regeln sorgen in dieser frühen Zeit dafür, dass eine gewisse Ordnung herrscht. Aber nicht nur muss Kathy mitansehen, wie der unnachgiebige Benny für seine Zugehörigkeit zu den Vandals immer wieder in Schwierigkeiten gerät, die Stimmung im Club wandelt sich im Laufe der Jahre, so dass immer mehr Mitglieder mit ihrem Leben bezahlen.

Es ist dieser Stimmungswechsel, der einen bei The Bikeriders unvermittelt trifft. Anfangs wirkt Kathys Erzählung geradezu unbeschwert, wenn nicht gar naiv verklärend. Doch spätestens im letzten Drittel weicht dies einer Atmosphäre, bei der man sich nicht nur aus der Perspektive Kathys als eine der wenigen Frauen, zunehmend unwohl fühlt. Regisseur Nichols springt in der Erzählung immer wieder zeitlich zurück, zeigt Momente aus dem Leben von Johnny, Benny oder einem anderen Mitglied der Vandals und vervollständigt so das Bild, was diese Menschen zu dem Motorradclub gezogen hat. Im Zuge dessen erzeugt der Film ein authentisches Bild einer Gemeinschaft, die nicht nur der Drang und die Begeisterung des Motorradfahrens vereint, sondern ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Allgemeinen. Johnny, so sagt er selbst ohne eine Spur von Bedauern oder Reue in der Stimme, hat dem Club mehr Zeit geschenkt, als seiner eigenen Familie. Für ihn ist das seine Familie. Umso mehr schmerzt es ihn, mitansehen zu müssen, wie ihm der Club im Laufe der Jahre entgleitet. Er setzt seine Hoffnung in Benny, ihm eines Tages die Verantwortung abzunehmen, aber so sehr sich dieser als Teil des Clubs fühlt, er hat nie um eine solche Position gebeten, noch will er eine derartige Verpflichtung übernehmen.

So sehr es Benny an einem Ziel fehlt, so sehr mangelt es Johnny an einer Perspektive, dessen Einfluss und Macht sogar bei Polizei wie Einsatzkräften gefürchtet ist. Er rutscht in einen charakterlichen Abgrund, aus dem es kein Entkommen gibt. Der Club entwickelt ein Eigenleben, das er nicht gezähmt bekommt, und bei dem stets das Recht des Stärkeren gilt. Kathy wiederum ist dazu verdammt, bei alledem von der Seitenlinie zuzusehen. Bei Benny geht sein Motorrad stets vor, anschließend die Vandals. Trotz der gelungenen Chemie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen, gelingt es The Bikeriders nicht, herauszuarbeiten, was diese beiden Figuren zueinander zieht. Als Person wird allenfalls Johnny tatsächlich charakterisiert und sein Werdegang nachgezeichnet. Weder über Kathy, noch über Benny erfährt das Publikum viel, was es schwer macht, mit ihnen mitzufiebern. Dafür arbeitet Filmemacher Nichols die Faszination des Clubs heraus, verwebt mit der Darstellung der Biker, die den Fahrtwind ohne Helm im Gesicht spüren, ein Gefühl der Freiheit und der Ungebundenheit. Zusammen mit anderen Gangs können sie sich in einem Moment prügeln, im nächsten gemeinsam mit ihnen am Lagerfeuer sitzen. Es ist ein Leben im Moment, ohne an Morgen zu denken, oder sich an Gestern erinnern zu müssen.

Die Stimmung ist einnehmend und faszinierend zugleich, anfangs sogar unerwartet amüsant. Veredelt von einer namhaften Besetzung, bei der insbesondere Jodie Comer und Tom Hardy mit preiswürdigen Darbietungen hervorstehen, kann man sich gleichermaßen in der makellosen Ausstattung verlieren. Autos, Motorräder, Frisuren und Kostüme passen derart gut zusammen, dass man sich in die längst vergangene, goldene Ära der Motorräder, wie es hier heißt, zurückversetzt fühlt. Austin Butler erzeugt gelungen den rebellischen Charme eines James Dean und in seinen wenigen Momenten glänzt Michael Shannon in einer Nebenrolle, von der man gern mehr gesehen hätte. So interessant es aber ist, dies zu beobachten und nicht nur den Blick aus der Motorradgang heraus, sondern auch von der Seite der umstehenden Zivilisten zu sehen, bei denen sie mitunter Angst und Schrecken verursachen, The Bikeriders zieht einen nur selten wirklich in den Bann. Zu distanziert ist der Blick des Fotografen, durch dessen Interviews diese Welt betrachtet wird, auf das Geschehen. Von diesen tatsächlichen Gesprächen inspiriert, wäre vielleicht ein klassischerer Ansatz, die Geschichte zu erzählen, den Figuren die gesamte Zeit über zu folgen, einnehmender gewesen. So wirkt Jeff Nichols’ Film beinahe wie eine fiktive Dokumentation. Das hat durchaus seinen Reiz, ist aber weit weniger zugänglich.


Fazit:
Wirkt es zu Beginn beinahe, als würde Regisseur Jeff Nichols das Leben dieser Biker zu etwas Heroischem stilisieren, folgen sie doch ihren Idealen und unterwerfen sich ihren eigenen Regeln, beleuchtet er zunehmend beide Seiten der Medaille. Steht auf der einen Seite eine Zusammengehörigkeit, die viele der Mitglieder anspricht, ihnen Werte und ein Zuhause gibt, ohne ihnen ihre Freiheit zu nehmen, ist die andere geprägt von einer Gesetzlosigkeit, die zunehmend in eine anarchische Brutalität abgleitet. Zwar stehen Kathy und Benny im Vordergrund der Erzählung, am umfassendsten wird jedoch Johnnys Geschichte geschildert, der gleichermaßen den interessantesten Charakter darstellt. Getragen von zwei erstklassigen und ergänzt von vielen sehenswerten Darbietungen, ist es die authentische Atmosphäre, die fesselt. Fantastisch ausgestattet und tadellos in Szene gesetzt, gelingt The Bikeriders ein stimmiges und einnehmendes Porträt dieser Gemeinschaft. Ist man sich bewusst, dass weniger die Figuren im Mittelpunkt stehen, ist das so interessant wie sehenswert und macht greifbar, weshalb die Person, die in der allerletzten Einstellung zu sehen ist, selbst wenn sie in einem Hinterhof sitzt, den Fahrtwind zu hören glaubt – es ist wohl ein Lebensgefühl, das einen nie mehr loslässt, wenn es einen einmal gepackt hat.