Alles steht Kopf 2 [2024]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. Juni 2024
Genre: Animation / Komödie / Fantasy

Originaltitel: Inside Out 2
Laufzeit: 100 min.
Produktionsland: USA / Japan
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Kelsey Mann
Musik: Andrea Datzman
Stimmen: Amy Poehler, Phyllis Smith, Lewis Black (Hans-Joachim Heist), Tony Hale (Olaf Schubert), Liza Lapira, Maya Hawke, Ayo Edebiri, Adèle Exarchopoulos, Paul Walter Hauser, Kensington Tallman, Diane Lane, Kyle MacLachlan (Leon Windscheid), Lilimar (Tahnee)


Kurzinhalt:

Die 13jährige Riley Andersen (Kensington Tallman) hat sich nach ihrem Umzug inzwischen eingelebt und an der neuen Schule auch neue Freundinnen gefunden, mit denen sie zusammen in einem Hockeyteam erfolgreich spielt. Sie alle werden sogar eingeladen, an einem Hockey Camp teilzunehmen, wo die Trainerin die Spielerinnen für das kommende Jahr aussucht. An der High School spielt auch Valentina „Val“ Ortiz (Lilimar / Tahnee), die coolste Hockeyspielerin, die die Mädchen sich vorstellen können. Dem Camp steht an sich nichts im Weg, bis über Nacht die Pubertät über Rileys von Freude (Amy Poehler), Kummer (Phyllis Smith), Wut (Lewis Black / Hans-Joachim Heist), Ekel (Liza Lapira) und Angst (Tony Hale / Olaf Schubert) sorgfältig geführte Gefühlswelt hereinbricht. Mit ihr treten neue Gefühle in Rileys Leben, von denen Sorge (Maya Hawke) den größten Einfluss auf Rileys Handlungen ausübt. So sehr, dass Sorge die anderen Gefühle aus der Kommandozentrale verbannt. Vollends in der Hand dieses starken Gefühls, trifft Riley Entscheidungen, die sie nicht nur von ihren Freundinnen entfremdet, sondern sie auf einen regelrechten Abgrund zusteuern lassen …


Kritik:
Pixars preisgekrönter Fantasyfilm Alles steht Kopf [2015] führte seinem Publikum so einfallsreich wie nachvollziehbar vor Augen, welche Emotionen die elfjährige Riley prägen, die mit einer für sie außergewöhnlichen Situation konfrontiert wird. In Alles steht Kopf 2 ist Riley nun zwei Jahre älter und ihr beinahe geordnetes Gefühlsleben wird durch die Pubertät in einen wahres Gefühlschaos verwandelt. Das klingt bekannt, ist aber wie zuvor liebevoll und mit tollen Ideen zum Leben erweckt, selbst wenn es hier der dritte Akt ist, der am meisten mitnimmt.

Zu Beginn wiederholt die Geschichte nicht nur, aus welchen Gefühlen sich Rileys Wahrnehmung ihrer Welt zusammensetzt, sondern fasst auch zusammen, was bislang und insbesondere in den vergangenen beiden Jahren geschehen ist. So hat sich Riley zwischenzeitlich in ihrem neuen Zuhause eingelebt und die Klassenbeste spielt in einem Hockeyteam. Sie trägt eine Zahnspange und hat zwei beste Freundinnen, was es für ihre fünf Gefühle Freude, Kummer, Wut, Ekel und Angst in der Kommandozentrale weniger bedenklich macht, dass die sogenannte Familieninsel, der Ort mit Rileys prägenden Erinnerungen betreffend ihre Eltern, deutlich kleiner ist, als die Freundschaftsinsel. Zusätzlich zu den unterschiedlichen Erinnerungsinseln, die Rileys Persönlichkeit ausmachen, haben sich tief unterhalb der normalen Erinnerungen Überzeugungen manifestiert, die als Fäden unmittelbar in Rileys Kommandozentrale führen und dort ein Glaubenssystem formen, das ihre Persönlichkeit und ihre Handlungen bestimmt. Doch gerade, als Riley die Möglichkeit erhält, in einem Camp die Trainerin der High School Hockeymannschaft von sich zu überzeugen, bricht über Nacht die Pubertät über sie herein. Und nicht nur, dass das Steuerpult der Zentrale viel zu empfindlich auf alle Eingaben der Gefühle reagiert, mit Sorge (im Deutschen wenig passend „ Zweifel“ genannt), Neid, Verlegenheit (auch „Peinlich“) und Langeweile („Null Bock“ bzw. Ennui) buhlen neue Gefühle um die Kontrolle über Rileys Verhalten, so dass sie gar nicht mehr sie selbst ist.

Die zentrale Rolle der neuen Gefühle nimmt Sorge ein, die sich von der mit ihr verwandten Angst darin unterscheidet, dass Sorge Riley nicht vor Dingen schützt, die sie sehen, sondern die sie eben nicht sehen, sich wohl aber vorstellen kann. Dieses Wechselbad der Gefühle wird dadurch noch verstärkt, da Riley erfährt, dass ihre Freundinnen nicht auf dieselbe High School gehen werden und sie im Hockey Camp die Möglichkeit hat, neue Freundschaften zu schließen, obwohl dies bedeutet, dass sie ihren Überzeugungen untreu werden muss. Daher beginnt Sorge, Rileys Persönlichkeit umzukrempeln und verbannt dafür die ursprünglichen fünf Gefühle ins Exil, wo sie in einem Tresor mit Rileys dunkelsten Geheimnissen eingesperrt werden. So sehr Alles steht Kopf 2 die grundsätzliche Dynamik der unterschiedlichen Gefühlsregungen beibehält, die Rileys Verhalten definieren, so sehr baut die Geschichte auf ihren Erlebnissen und den Erfahrungen des ersten Teils auf, um Rileys Entwicklung zu verdeutlichen. Wieder muss sich Freude auf eine Reise tief in Rileys Welt der Erinnerungen begeben, insbesondere solche, die sie – einer Verdrängung gleich – selbst seit Jahren weit ab in Rileys Hinterkopf vergraben hat, um Riley nicht zu belasten. Und erneut trifft Riley Entscheidungen, getrieben von ihren Gefühlen, die sie im Grunde nie treffen würde.

Alles steht Kopf 2 wiederholt hier Vieles von dem, was den ersten Film so großartig macht, mit dem Unterschied, dass es hier ein wenig den Zauber des Unerwarteten einbüßt. Es erklärt, weshalb die ersten beiden Drittel der Erzählung trotz eines grundsätzlich hohen Tempos nur wenig mitreißen. Zu vertraut sind das Szenario, die Gags und die Auswirkungen, die die Gefühle auf Rileys Verhalten haben. Das mitzuerleben ist lustig und unterhaltsam, es fehlt jedoch die tatsächliche Überraschung. Das ändert sich, wenn Sorge zunehmend das Kommando übernimmt und Filmemacher Kelsey Mann auf geradezu greifbare Weise veranschaulicht, wie dies Rileys Persönlichkeit verändert. Sei es, dass die Sorge die ursprünglich so klar definierten Gefühle unterdrückt, oder dass die Geschichte eine Erklärung liefert, weshalb sich Riley die Nacht vor einem wichtigen Hockeyspiel um die Ohren schlägt, sobald sich ihr eigener Einfallsreichtum gegen sie wendet.

Wie der Gedankenzug im ersten Teil, finden die Verantwortlichen so Augen öffnende wie scheinbar offensichtliche Erklärungen für Verhaltensmuster, die man an sich selbst beobachten kann. So auch beim buchstäblichen Brainstorm, oder wenn Sorge Riley zu Handlungen zwingt, die sie bei klarem Verstand nie treffen würde, bis sie sie buchstäblich lähmt. Alles steht Kopf 2 blickt in den Verstand dieses dreizehnjährigen Mädchens, an dessen Stelle wir uns alle schon irgendwann einmal befunden haben, wenn einen das Gefühlschaos übermannt. Handwerklich ist das fantastisch, farbenfroh und mit Liebe zum Detail eingefangen (bis hin zu einer Hommage des berühmten 1984-Werbespots). Was die Geschichte aber einmal mehr auszeichnet, ist der Umstand, dass sie sich an Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen richtet und vielleicht auch ein bisschen Verständnis dafür schafft, weshalb nicht alle unsere Handlungen immer einen Sinn ergeben. Allein das ist schon mehr als wertvoll, bis hin zur Szene nach dem Abspann.


Fazit:
Anstatt sich an Kinder und jung gebliebene Erwachsene zu richten, erzählt Regisseur Kelsey Mann eine Geschichte, in der sich Jugendliche ebenso wiederfinden werden, wie diejenigen, deren Jugend schon etwas zurückliegt. Trotz der von Grund auf unterhaltsamen Geschichte im nächsten Kapitel von Rileys Erwachsenwerden, dauert es eine Zeit, ehe man tatsächlich von ihr mitgenommen wird. Dann jedoch, wenn sich Rileys Persönlichkeit verändert, die Sorge die Oberhand gewinnt und ihre Handlungen bestimmt, treffen die Verantwortlichen einmal mehr den Nagel auf den Kopf. Sieht man am Ende, was Rileys Persönlichkeit formt und wie sie sich zusammensetzt, ist das nicht nur eine wunderschöne, berührende Botschaft, sondern so wahr, dass es schwerfällt, den Kloß im Hals im Zaum zu halten. Farbenfroh, universell verständlich und mit einem unbändigen Charme gelingt es Alles steht Kopf 2 damit, den Wirbelwind, den man als Pubertät erlebt, ohne ihn in diesem Moment als solchen zu begreifen, für alle Altersklassen verständlich darzustellen. Das mitzuerleben, ist einfach schön.