Berlin Nobody [2024]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Juni 2024
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: A Sacrifice
Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: USA / Deutschland
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Jordan Scott
Musik: Volker Bertelmann
Besetzung: Eric Bana, Sadie Sink, Sylvia Hoeks, Jonas Dassler, Sophie Rois, Stephan Kampwirth, Lara Feith, Alexander Schubert


Kurzinhalt:

Der US-amerikanische Sozialpsychologe Ben Monroe (Eric Bana) kam nach der Trennung von seiner Frau nach Berlin, um an der Universität zu dozieren und für sein zweites Buch zu recherchieren. Im Zuge dessen wird er von Nina Hoffmann (Sylvia Hoeks), Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, zu einem Tatort eingeladen, wo sich eine Gruppe Menschen offenbar selbst das Leben genommen hat. Sie haben einer Gemeinschaft angehört, die das Opfer des eigenen Lebens als Weg der Erlösung zur Heilung der Welt sieht. Ben vermutet dahinter eine gefährliche Sekte und übersieht angesichts des neuen Materials für sein Buch, dass seine Tochter Mazzy (Sadie Sink), die ihn aus den USA besucht, Kontakt zu dem jungen Martin (Jonas Dassler) geknüpft hat, der ebenfalls einer solch zerstörerischen Gemeinschaft angehört, die von der charismatischen Hilma (Sophie Rois) mit eiserner Hand geführt wird …


Kritik:
Die Adaption des Romans Tokyo [2015] von Nicholas Hogg wird zu spät dem Potential gerecht, das in der Geschichte oder auch dem Drehbuch von Filmemacherin Jordan Scott liegt. Mit der Verlagerung des Schauplatzes bedient Berlin Nobody darüber hinaus zahlreiche Klischees, die im Ausland über die deutsche Hauptstadt vorherrschen. Die tadellose Inszenierung und einige gute Darbietungen wiegen daher nicht auf, dass das Thrillerdrama um eine zerstörerische Sektenangehörigkeit keine neuen Impulse setzt.

Die Geschichte handelt von dem amerikanischen Sozialpsychologen Ben Monroe, der in Berlin an der Universität lehrt und gleichzeitig für sein zweites Buch recherchiert. Sein erstes war ein Bestseller und da er sich in seinem zweiten Werk gefährlichen Gruppendynamiken zuwendet, nimmt er die Gelegenheit wahr, als Nina Hoffmann vom Bundesamt für Verfassungsschutz ihn an einem Tatort Einblick nehmen lässt. Dort haben sich offenbar mehrere Mitglieder eines Kults nacheinander das Leben genommen. Die Sekte sieht in der Aufopferung Erlösung, um den Schaden wiedergutzumachen, den die Menschen der Natur antun. Das Überleben des Planeten um jeden Preis ist die Botschaft, selbst wenn es das eigene Leben kostet. Als Bens Tochter Mazzy zu Besuch kommt, die ansonsten bei seiner von ihm seit einem Jahr getrennten Frau in Kalifornien lebt, lernt sie auf dem Weg vom Flughafen den sympathischen Martin kennen und gerät über ihn in die Fänge einer von der charismatischen Hilma angeführten Gemeinschaft.

Scotts Erzählung verbindet damit zwei unterschiedliche und durchaus aktuelle Elemente. Einerseits dasjenige von zerstörerischen, sektenhaften Gemeinschaften, die ihre Mitglieder bis zur vollkommenen Selbstaufgabe vereinnahmen. „Der Mensch allein ist nichts. Die Gruppe ist alles.“, propagiert Hilma hier mantraartig und auch Martin wiederholt, dass Glück mehr als nur einen Menschen braucht und aus der Gemeinschaft kommt. Das zweite Element betrifft Ökoaktivisten, die derart von der Endgültigkeit und Unaufhaltsamkeit der Klimakatastrophe überzeugt sind, dass sie ihre Überzeugungen bis hin zur Selbstaufgabe im Suizid radikalisiert haben. Der erste und offensichtlichste Kritikpunkt hieran muss sein, dass sich Berlin Nobody mit letzterem Aspekt inhaltlich überhaupt nicht auseinandersetzt. Filmemacherin Scott lässt Martin sich als Mitglied einer Umweltorganisation vorstellen, der bis auf zwei Sätze, dass die Menschen die Natur ausbeuten, aber keine substanzielle Diskussion anstößt. Auch Hilma geht in ihren monotonen Vorträgen kaum darauf ein, weshalb ein Selbstmord der Mitglieder der ‚Sache‘ mehr helfen soll, als sich politisch zu engagieren und aktiv eine Veränderung zu bewirken.

Insofern scheint der Aspekt der von einem „revolutionären Suizid“ überzeugten Umweltaktivisten nicht mehr als ein Versuch, Berlin Nobody inhaltlich einen modernen, zeitgemäßen Anstrich zu verleihen. Das ist gerade deshalb so unnötig wie gefährlich, da so Umweltaktivisten, die wie hier gezeigt mit Protestaktionen in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen, als radikalisierte Endzeitfanatiker dargestellt werden. Da Jordan Scott außerdem nicht herausarbeitet, inwiefern der Suizid der Mitglieder tatsächlich eine Auswirkung auf die weiter voranschreitende Klimaveränderung haben sollte, die Scheinheiligkeit von Hilmas Absichten somit nicht aufgeklärt wird, wird auch der zweite Aspekt nie vollends aufgegriffen. Denn letztlich steht im Zentrum eines solchen Kults und ihrer Anführerinnen bzw. Anführer nicht weniger als deren Streben nach Macht über das Leben und die Persönlichkeit ihrer Mitglieder. Wie leer Hilmas Floskeln sind, wie manipulativ sie Menschen einnimmt, die an einem hoffnungslosen Punkt in ihrem Leben angekommen sind, die ihre letzte Bezugsperson verloren haben und einen Sinn in alledem suchen, wird nie ergründet. Nicht einmal Ben darf dies entblättern, was sich in Anbetracht seiner Expertise anbieten würde.

Stattdessen präsentiert das ruhig erzählte Drama zahlreiche Klischees der deutschen Hauptstadt, angefangen von exklusiven Partys in altindustriellen Anlagen, bei denen Drogen konsumiert werden, über Bilder des Berliner Fernsehturms, zerfallenen, mit Graffiti überzogenen Wohnsiedlungen, Hausbesetzungen in zum Abbruch freigegebenen Häusern oder riesigen, gentrifiziert hippen Altbauapartments. Eingefangen ist all das routiniert, lässt aber eine eindeutige Handschrift vermissen. Weder tauchen Farbfilter das Geschehen in unverwechselbare Stimmungen, noch überraschen Perspektiven oder Szenenkompositionen. Dafür ist die Besetzung durchaus engagiert, allen voran Eric Bana und Sadie Sink, aber auch Sylvia Hoeks und Jonas Dassler, die allesamt in der zweiten Hälfte und insbesondere dem Finale mehr gefordert sind. Dann entwickelt Berlin Nobody auch die bedrohliche und erdrückende Stimmung, die man bereits früher erwartet hätte. Zusammen mit einer Schlusseinstellung, die dem, was unmittelbar davor geschieht, nicht gerecht wird und auch einen richtigen Epilog vermissen lässt, muss man sich fragen, was die Botschaft der nihilistisch geprägten Story sein soll. Sie hilft kaum, die Muster solch gefährlich einnehmender Sekten zu erkennen, die durchaus dargestellt werden, und sie nimmt den ökologischen Aspekt überhaupt nicht ernst. Das ist sogar eine in zweifacher Hinsicht verpasste Chance.


Fazit:
Offenbart Regisseurin Jordan Scott in viel zu vielen Rückblicken und Erklärungen am Ende, in denen auch unnötigerweise Dinge wie der Selbstmord eines Gruppenmitglieds gezeigt werden, die sich das Publikum ohnehin bereits erschlossen hat, dass manche Szenen zudem außerhalb der richtigen zeitlichen Abfolge eingestreut wurden, dann wirkt das wie ein billiger Trick. Die scheinbar großen Wendungen und die Verbindungen der tragenden Figuren, sind trotzdem ebenso früh absehbar, wie worauf all das hinausläuft. Die Story wähnt sich selbst cleverer, als sie tatsächlich ist, wobei allenfalls Martins Rolle innerhalb der Gemeinschaft wirklich überrascht. Dass die inhaltliche Auseinandersetzung sowohl mit der destruktiven Gruppendynamik als auch dem Umweltschutzaspekt fehlt, ist beinahe ärgerlich, wenigstens aber verschenktes Potential. Handwerklich gut, wenn auch statisch eingefangen, fehlt es der Inszenierung an einer spürbaren Handschrift und der Stimmung insgesamt an dem unausweichlich bedrückenden Gefühl, das sich erst im letzten Drittel einstellt. Dann lässt Berlin Nobody durchblicken, was für eine Geschichte hier verborgen liegt. Jedoch ist es dann zu spät, einen packenden dramaturgischen Erzählbogen aufzubauen, der die engagierte Besetzung rechtfertigen würde. Schade.