Annette [2021]

Wertung: 2 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Dezember 2021
Genre: Drama / Musical / Liebesfilm

Originaltitel: Annette
Laufzeit: 141 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien / Deutschland / USA / Japan / Mexiko / Schweiz
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Leos Carax
Musik: Ron Mael, Russell Mael
Besetzung: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg, Devyn McDowell, Catherine Trottmann (Stimme), Hebe Griffiths (Stimme), Leos Carax


Kurzinhalt:

Erst kürzlich sind der Stand-up Comedian Henry McHenry (Adam Driver) und die Opernsängerin Ann Defrasnoux (Marion Cotillard), beides gefeierte Größen ihrer Zunft, ein Paar geworden und stehen entsprechend unter medialer Beobachtung. Über seine Auftritte sagt Henry, dass er das Publikum hinwegfegt, sie sich totlachen – Ann hingegen stirbt, wie in der Oper üblich, jeden Abend auf der Bühne, um ihr Publikum dadurch zu retten. Das Glück der beiden ist nur von kurzer Dauer, denn nach der Geburt ihrer Tochter Annette werden Anschuldigungen gegen Henry vorgebracht, von Frauen, die ihn der Gewalt bezichtigen. Seine Popularität schwindet, Ann hingegen wird mehr gefeiert, als je zuvor. Es weckt in Henry tiefe Eifersucht und nach einer Tragödie, als er entdeckt, dass Annette über dasselbe Talent wie ihre Mutter verfügt, wittert er eine Chance, zurück auf die Bühne zu kommen, mit der Hilfe von Anns früherem Verehrer, dem Dirigenten (Simon Helberg) …


Kritik:
Leos Carax’ Annette ist gelinde gesagt ein seltsames Filmmusical. Er ist unzweifelhaft ein Erlebnis, ob es aber eines ist, das die geneigte Zuschauerschaft gern ungesehen machen würde, steht auf einem anderen Blatt. Es ist eine für die Besetzung sichtbar fordernde Produktion und eine, die von allen Beteiligten sichtlich Mut erfordert. Sie ist ambitioniert und mit viel Symbolik versehen. Doch zumindest für diesen Kritiker zerbricht der Film an der Frage, ob er so eigenwillig erzählt ist, weil die Geschichte nur so oder wenigstens am besten so erzählt werden kann, oder ist die Art der Erzählung eher dem Umstand geschuldet, weil sie so für mehr Diskussionen sorgen wird? Eine subjektive Antwort darauf fällt nicht schwer.

Die Geschichte handelt von dem Prominentenpaar Henry McHenry und Ann Defrasnoux. Er ist ein erfolgreicher Stand-up Comedian, der von seinem Publikum selbst dann gefeiert wird, wenn er zeigt, wie wenig Respekt er selbigem entgegenbringt, indem er am Ende seiner Show den Zuschauerinnen und Zuschauern seinen nackten Hintern entgegenstreckt. Sie ist eine gefeiert Opernsängerin mit einem begnadeten Gesangstalent. Immer wieder werden in Annette Auszüge eines Promi-Newsmagazins mit dem Titel „Showbizz News“ eingeblendet, die den Stand der Beziehung dokumentieren, während die beiden vor auffallenden Greenscreens aller möglicher Hintergründe gezeigt werden. Henry ist, wenn sein erster Auftritt nichts anderes zum Ausdruck bringt, kein einfacher Charakter. Seine Selbstgefälligkeit wird allenfalls von einer nur spürbaren, düsteren Seite übertroffen. Als die Tochter des Paares, die Titel gebende Annette, auf die Welt kommt, nimmt der Film eine unerwartete Wendung und alsbald das scheinbare Glück des Paares ebenso, denn Henry wird von anderen Frauen der Gewalt beschuldigt. Während sein Stern sinkt, die Gunst des Publikums schwindet, wird Ann nur noch erfolgreicher und Henrys Eifersucht auf den Erfolg mündet in einer Katastrophe.

Ich habe gesagt, der Film nimmt mit Annettes Geburt eine unerwartete Wendung und ohne zu viel zu verraten, sei gesagt, dass die Figur die aller längste Zeit über nicht von einer Schauspielerin verkörpert wird, sondern von einer Puppe. Wer sich also bei ihrem ersten Auftreten verwundert die Augen reibt, sei beruhigt, dies ist beabsichtigt und weswegen (und in wessen Augen) sie so erscheint, wird auch am Ende aufgelöst. Doch beginnen die Eigenheiten der Produktion nicht erst damit. Nach einer die Vierte Wand durchbrechenden und sich an das Publikum richtenden Ouvertüre, zeigt Annette von Beginn an, welchem Stil Carax bis zum Ende treu bleiben wird. Alle Szenen dieses von den Musikern der Gruppe Sparks erdachten und vertonten Rockmusicals sind überlang, um nicht zu sagen, geradezu schmerzhaft ausgedehnt. Man nehme den ersten Auftritt Henrys bei seinem Bühnenprogramm mit dem Titel „Ape of God“ („Affe Gottes“). Nur mit einem Bademantel bekleidet schwafelt der Comedian über sein Leben und weshalb er ein Comedian geworden ist. Ohne jeglichen Erkenntnisgewinn, zieht sich die Szene minutenlang hin. Dabei fängt Carax viele dieser Auftritte aus der Sicht des Publikums im Saal ein.

Es schließen sich Songs an, die unzählige Male dieselben Sätze wiederholen, wie bei „Wir lieben einander so sehr“, ohnehin nicht unbedingt die luftigste Prosa. Der Satz allein wird ein Dutzend Mal am Stück wiederholt, während sich die beiden Figuren anschmachten, oder gar beim verschwitzten Liebesspiel. Dies zu spielen, ist mit Sicherheit nicht einfach, aber es wirkt so verkrampft erzwungen, so gewollt pseudo-künstlerisch, dass man beinahe überhört, dass die Lieder für sich weder eingängig, noch erinnernswert sind. Für gewöhnlich sind sie nicht einmal gesungen, sondern lediglich melodisch gesprochen. Zur Geburt Annettes gibt es ebenfalls ein Lied, das hauptsächlich aus den Aufforderungen „Atme“ und „Presse“ besteht. Ob das witzig gemeint sein soll, oder ernsthaft, ist schwer einzuordnen. Adam Drivers Geständnis bei einer seiner Shows in Las Vegas, zählt dabei zu den besten Darbietungen, die der Darsteller je zeigte. Sie ist mutig, wirkt rau und beinahe beängstigend. Doch auch dieser Moment ist zu lang, zu gewollt.

Gleichzeitig gibt es in Annette viele, mitunter kaum zu übersehende, manchmal versteckte Sinnbilder, wie wenn Henry als „Affe“ Annette hält. Es ist eine Symbolik, die nicht mehr mit dem Holzhammer, sondern mit einer Abrissbirne präsentiert wird. Dass sein Publikum, selbst wenn Henry auf der Bühne sein Gefühle kundtut, daran offenbar nicht interessiert ist, die Öffentlichkeit nicht die Personen hinter den Stars, sondern ihr Promi-Abbild bevorzugt, ist dagegen eine gute Beobachtung. Nutzt Henry Annettes Gesangstalent, das sie von ihrer Mutter geerbt hat, für sich selbst, seinen finanziellen Vorteil, und sie damit aus, drückt der Filmemacher dies dadurch aus, dass das kleine Mädchen mit einem Plüschaffen in der Hand auf der Bühne steht – sie rückt ihn zurück ins Rampenlicht. Die Themen, die Annette dann aufgreift, sind durchaus erkennbar, selbst wenn es teils lange dauert, ehe sie sichtbar werden. Figuren wie Henry selbst oder auch der von Simon Helberg gespielte Begleitmusiker, der in Ann verliebt ist, besitzen solch feine Abstufungen. Nur ist all dies so bewusst und selbstbewusst artifiziell vorgetragen, um Sinnbilder bemüht, anstatt sie leichtfüßig zu erschaffen, dass es regelrecht abstößt.

Ob Annette insgesamt eine ernstgemeinte Erzählung sein soll, eine Satire oder eine Komödie, ist wohl offen für Interpretation. Ja, die Geschichte ist an sich tieftraurig und alle Figuren mehr oder weniger gebrochen. Aber trotz der eigentlich starken Darbietungen wirkt all dies nie natürlich, nie, als würde die Geschichte so erzählt, weil es nicht anders geht. Auch als Nicht-Musical hätte die Story nicht besser oder schlechter funktioniert. Die offensichtlichen Trickeffekte scheinen nicht bewusst, sondern wie ein Kaleidoskop verschiedenster Stilrichtungen und kein Song ist mitreißend oder einprägsam. Die ständigen Textwiederholungen ziehen die Lieder und Szenen unnötig in die Länge und die Erzählung selbst ist in den am längsten vorbereiteten Storyentwicklungen vollkommen absehbar. Annette, die „kleine Ann“, wenn man das Suffix so deutet, als späte Rache Anns an Henry ebenso, wie als Sinnbild dafür, wie er die Menschen in seiner Nähe sieht und behandelt, ist eine interessante Idee, aber allein, dass all dies im Film ausgesprochen werden muss sagt bereits genügend darüber aus, für wie aufmerksam die Verantwortlichen hier ihr Publikum halten.


Fazit:
Handwerklich wie tonal durchaus mutig und sicherlich einzigartig, besitzt Annette unmissverständliche Aussagen, die wichtig sind. Dass in die Präsentation mit den teils langen Einstellungen und den Bauten viel Überlegung und Planung geflossen ist, steht ebenso außer Frage, wie dass die Darbietungen kühn und bemerkenswert sind. Adam Driver zeigt eine Tour de Force, während Marion Cotillard auf geradezu sträfliche Art nicht wirklich etwas zu tun bekommt. Die Ambition der Produktion ist durchaus sichtbar, doch das Ergebnis ist weder emotional involvierend, noch wirklich zugänglich, geschweige denn mitreißend. Wenigstens nicht für ein breites Publikum. Es ist Kunst um der Kunst Willen, mit wilden Ideen und einer Kaskade an „was zum Teufel“-Momenten. Der Gewinner des diesjährigen Regiepreises des Filmfestivals in Cannes für Leos Carax erscheint jedenfalls wie ein selbstverliebtes Werk, dem es an Balance ebenso fehlt, wie an einer packend erzählten Geschichte. Wem das nach 10 bis 15 Minuten nicht gefällt, dem wird das Gesamtwerk, das unvorstellbar lang und zäh geraten ist, gleichermaßen missfallen.
Schwer und spürbar prätentiös. Beides unnötigerweise so.