Lady Bird [2017]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 25. Januar 2018
Genre: Drama / Komödie

Originaltitel: Lady Bird
Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Greta Gerwig
Musik: Jon Brion
Darsteller: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Lucas Hedges, Timothée Chalamet, Beanie Feldstein, Lois Smith, Stephen Henderson, Odeya Rush, Jordan Rodrigues


Kurzinhalt:

Christine McPherson (Saoirse Ronan) ist 17 Jahre alt, besucht das letzte Jahr einer katholischen High School in Sacramento und hofft nichts mehr, als dass sie auf ein College möglichst weit weg wird gehen können, um ihrem Zuhause, das nach ihrer Aussage „auf der falschen Seite der Gleise“ liegt, entkommen zu können. Ihre Eltern Marion (Laurie Metcalf) und Larry (Tracy Letts) sind nicht wohlhabend und die Situation wird nur prekärer, als Christines Vater entlassen wird. Christine, die sich selbst „Lady Bird“ nennt, ist wie ihre beste Freundin Julie (Beanie Feldstein) darum bemüht, dazu zu gehören. Im Laufe des Abschlussjahres findet sie in der bei Mitschülerinnen und Mitschülern beliebten Jenna (Odeya Rush) jemanden, der so ist wie sie selbst gern wäre, und in Danny (Lucas Hedges) eine erste Liebe. Dabei ist „Lady Bird“ immer noch auf der Suche nach ihrer eigenen Persönlichkeit und sie wird stärker von ihrer strengen Mutter geprägt, als sie sich eingestehen will …


Kritik:
Wer bei Greta Gerwigs Lady Bird ein extrovertiertes Drama mit hochemotionalen Konfrontationen erwartet, wird enttäuscht werden. Die Coming-of-Age-Geschichte um die 17jährige Christine, die sich im letzten Jahr auf der High School fragt, was das Leben für sie bereithält, ist fantastisch gespielt und auf eine Art erzählt, als würde die Regisseurin als Beobachterin in das Leben der gezeigten Personen treten. Doch bewegt der Film sein Publikum inhaltlich weniger als es die starken Frauenfiguren sollten.

Die Filmemacherin erzählt von Marion und Christine, Mutter und Teenager-Tochter. Die Familie wohnt in Sacramento im Jahr 2002. Christine ist so rebellisch, wie man es in diesem Alter nur sein kann. Selbst der Name, den sie sich selbst gegeben hat und mit dem sie sich überall vorstellt, „Lady Bird“, soll zeigen, dass ihre Eltern keine Macht über sie haben. Groß sind ihre Ambitionen, ihre Träume und Wünsche, in denen sie ein Aufsehen erregendes Leben herbeisehnt, in dem auch etwas passiert.
Bereits die Eröffnungssequenz von Lady Bird, in der diese so unterschiedlichen Figuren gemeinsam im Auto sitzen, fängt die komplexe und komplizierte Dynamik zwischen ihnen ein. Sie beginnt freundlich und harmonisch, bis die Stimmung so schnell kippt, dass man am zurückspulen möchte, um den Moment, in dem es geschieht, genau festhalten zu können. Die Bedenken ihrer Mutter, an der entgegengesetzten Ostküste in New York aufs College zu gehen, insbesondere angesichts der finanziellen Situation der Familie, schlägt sie in den Wind und tut alles dafür, ein Stipendium zu bekommen – sie lässt dafür sogar das Notenbuch ihres Mathematiklehrers (ihr schwächstes Fach) verschwinden.

Es tut sich Einiges in Gerwigs Porträt dieser jungen Frau: Sie ist verliebt, vermutlich zum ersten Mal mit Gefühlen, die über einfache Sympathie hinausgehen. Aber kann sie ihre Empfindungen auch richtig einordnen? Wie unterscheidet man zwischen Liebe und Verliebtheit?
Sie wird enttäuscht, aber noch zuvor entdeckt sie einen neuen Schwarm. Dabei sind es die Enttäuschungen, die Christine prägen, mehr als ihre besten Freundinnen, die sie wechselt, wenn sie glaubt, dass es ihr hilft, aus ihrer ‚Gefangenschaft‘ der erzkonservativen, katholischen Gemeinde zu entfliehen, die all das einschränkt, was sie erkunden und entdecken will.
Anstatt Lady Bird zu einem Lehrstück mit erhobenem Zeigefinger über das Erwachsenwerden zu machen, beobachtet die Regisseurin nur. Christine bekommt nicht gesagt, dass sie noch viel über das Leben wird lernen müssen, das ist eine Lektion, die ihr von selbst zuteil wird, wenn ihre Idealvorstellungen, beispielsweise von der ersten Liebe, Stück für Stück demontiert werden.

So verschieden die beiden tragenden, weiblichen Figuren sind, es verbindet sie mehr als die Stärke, die sie jeweils ausstrahlen. Christine ist ihrer Mutter in ihrer Hilfsbereitschaft überaus ähnlich und sieht man sie, ihrer gemeinsamen Tradition nachzugehen, bei der sie sich zum Verkauf stehende Häuser ansehen, dann ist das Band zwischen Mutter und Tochter spürbar. Auch deshalb sind die leisen Momente zwischen ihnen ebenso gelungen, wie ihre offen ausgetragenen Konflikte.
In diesem Jahr, das Lady Bird umfasst, reift Christine von einem Teenager zu einer jungen Frau, die erkennen muss, dass die Welt – nicht einmal ihre eigene – sich nur um sie dreht. Ihr Vater verliert seine Arbeit und ihre strenge Mutter arbeitet Doppelschichten im Krankenhaus; dennoch müssen sie jeden Dollar zweimal umdrehen, um über die Runden zu kommen. Christines Entwicklung zu sehen macht den Reiz des Dramas aus und wie umfassend und teilweise doch subtil diese ist, ist auch dank der bis in die Nebenrollen durchweg tollen Besetzung hervorragend auf den Punkt gebracht.

Das klingt, als würde Regisseurin Greta Gerwig, die auch das Drehbuch schrieb, den Alltag unzähliger Teenager und Familien sowohl in den USA als auch überall anders auf der Welt beschreiben. So ist es auch – Lady Bird ist kein Film, in dem ein außergewöhnliches Ereignis im Mittelpunkt steht oder die Figuren etwas Besonderes vollbringen. Es ist ein überraschend ehrlicher Blick auf das Erwachsenwerden und eine Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Das ist auf Grund der Natürlichkeit der Umsetzung überaus gelungen, aber am Ende inhaltlich auch irgendwie wenig.


Fazit:
Mit ihrem selbstgewählten Namen „Lady Bird“ demonstriert die 17jährige Christine ihre Unabhängigkeit und unterstreicht, dass sie dem Käfig ihres Elternhauses entfliehen will. Niemand will anerkennen, wie ähnlich man seinen Eltern wirklich ist. Dabei findet Filmemacherin Greta Gerwig gerade hierfür viele Parallelen. Der Unterschied zwischen ambitionierter Sorglosigkeit und bodenständiger Vorsicht ist mitunter nur eine Frage der Erfahrung. Lady Bird erzählt von dieser heranwachsenden jungen Frau, die eben diese Erfahrungen macht, und rückt eine Dynamik zwischen ihr und ihrer Mutter in den Mittelpunkt, die auf eine unbeschreiblich natürliche und ehrliche Weise zugleich gespielt ist. Saoirse Ronan sieht man das Wechselbad ihrer Gefühle in jedem Moment an, ihre Christine ist bemerkenswert unverfälscht, ihre Emotionen jederzeit ungefiltert. Auf der anderen Seite ist die nicht weniger großartige Laurie Metcalf als Christines Mutter. Beide Darbietungen sind schlicht fantastisch und wie auch die Inszenierung beeindruckend ungeschönt und unverblümt.
Lady Bird ist kein Film, in dem Großes geschieht, aber die Entwicklung der Titel gebenden Hauptfigur ist aus dem Leben gegriffen authentisch erzählt. Das ist für sich genommen nicht so mitreißend, wie man erwarten würde, aber für ein anspruchsvolles Publikum ist es nicht weniger sehenswert.