Vergiftete Wahrheit [2019]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. Mai 2021
Genre: Drama / Biografie

Originaltitel: Dark Waters
Laufzeit: 126 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Todd Haynes
Musik: Marcelo Zarvos
Besetzung: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Pullman, Bill Camp, Victor Garber, Mare Winningham, William Jackson Harper, Louisa Krause, Kevin Crowley, Bruce Cromer, Denise Dal Vera, Richard Hagerman, Abi Van Andel, John Newberg, Barry Mulholland, Jeffrey Grover


Kurzinhalt:

Ende der 1990er-Jahre ist Rob Bilott (Mark Ruffalo) gerade Partner in der auf Unternehmensrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Taft Stettinius & Hollister geworden, als ihn der Farmer Wilbur Tennant (Bill Camp) aufsucht. Tennant benötigt einen Rechtsbeistand, um gegen den großen Chemiekonzern DuPont vorzugehen, denn er ist überzeugt, dass dessen Deponie neben seinem Grundstück der Grund ist, weshalb beinahe alle seiner knapp 200 Kühe qualvoll verendet sind. Rob lehnt ab, immerhin war er jahrelang Anwalt eben für Firmen die DuPont, doch da ihn der Besuch nicht loslässt, beginnt er zu forschen. DuPonts Anwalt Phil Donnelly (Victor Garber) ist zu Beginn noch sehr zuvorkommend, doch als Rob in bereitgestellten Unterlagen auf eine Chemikalie mit der Bezeichnung PFOA oder C-8 stößt, wandelt sich der Umgang. Während sein vorgesetzter Kollege in der Kanzlei, Tom Terp (Tim Robbins), ihn ebenso unterstützt wie seine Frau Sarah (Anne Hathaway), verliert sich Rob immer mehr in seinem Fall. Zwar kommt er dahinter, dass womöglich tatsächlich Chemikalien für verheerende gesundheitliche Folgen in Parkersburg, West Virginia verantwortlich sein könnten, doch die finanziellen Möglichkeiten DuPonts machen einen juristischen Sieg so gut wie unmöglich …


Kritik:
Todd Haynes’ Drama Vergiftete Wahrheit ist Furcht einflößender als jeder Horrorfilm. Nicht nur, dass das Thema, das er aufgreift, auf wahren Begebenheiten beruht, es findet sich in so gut wie jedem Haushalt. Eine Jede und ein Jeder im Publikum hat damit bereits Kontakt gehabt und wird es auch weiterhin haben. Dies in dieser Deutlichkeit aufbereitet zu sehen, ist erschreckend und derart greifbar authentisch dargebracht, dass man vermuten könnte, es handelt sich hierbei mehr um eine Dokumentation als eine Dramatisierung der Ereignisse.

Basierend auf mehreren Artikeln, Berichten und den Memoiren von Robert Bilott, erzählt Vergiftete Wahrheit nach, wie der erfolgreiche Unternehmensanwalt Rob Bilott von einem Farmer aus West Virginia um Hilfe gebeten wird. Robs Großmutter stammt aus Parkersburg und hat den verzweifelten Landwirt an ihren Enkel verwiesen. Widerwillig sieht er sich an, was dort geschehen ist und muss erkennen, dass dort in West Virginia nicht nur viele Menschen krank sind, sondern Farmer Wilbur Tennant in kurzer Zeit 190 seiner Kühe verloren hat. Sie sind an unerklärlichen Krankheiten gestorben, weder er, noch der Tierarzt haben so etwas je gesehen. Tennant vermutet, dass die neben seinem Grundstück gelegene Deponie des Chemiegiganten DuPont verantwortlich ist, doch ist dies eine der Firmen, für die Rob bislang als Anwalt gearbeitet hat.

Was Bilott im Rahmen seiner Recherchen, die nicht nur seine Karriere, sondern auch sein Familienleben und seine Gesundheit nachhaltig geprägt haben, entdeckt, hat vor etwas mehr als 20 Jahren auch international für Schlagzeilen gesorgt. DuPont hat, wissentlich und systematisch, das Land und das Grundwasser der Menschen dort und an anderen Orten der Welt, mit Chemikalien verseucht, die für die Herstellung einer als Welt verändernd und wunderbar angepriesenen Erfindung eingesetzt wurden: Teflon. Verwendet in schmutz- und wasserabweisenden Materialien aller Art, sei es Pfannen, Regenkleidung oder Kontaktlinsen, gehört die damals für die Herstellung verwendete Perfluoroctansäure (PFOA) zu den sogenannten Ewigkeitschemikalien, da sie in der Umwelt – und im menschlichen Körper – nie abgebaut werden. Es kommt der Punkt beim Ansehen von Vergiftete Wahrheit, an dem man sich sagt, dass man danach die eigenen Küchenutensilien durchschauen muss, um nachzusehen, ob man möglicherweise giftige Haushaltsgegenstände täglich verwendet. Je tiefer Rob Bilott gräbt und je offensichtlicher wird, welche Auswirkungen PFOA haben, umso mehr wünscht man sich, man hätte früher mit dem Aussortieren angefangen. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass die Herstellung und das Inverkehrbringen von PFOA erst seit dem 4. Juli 2020 in der Europäischen Union verboten sind, wird einem zunehmend unwohler.

Dabei muss man verstehen, dass Vergiftete Wahrheit keinen einzelnen Fall beleuchtet, die Arbeit von Rob Bilott nicht auf eine große Verhandlung zusteuert, in der die Gerechtigkeit am Ende siegreich ist. Dies geschieht in der wirklichen Welt bedauerlicherweise selten und wenn man sich gegen marktbeherrschende Konzernriesen stellt, so gut wie niemals. Dramaturgisch würde man vermuten, dass wenn Rob für Wilbur Tennant eine Lösung findet, selbst wenn es kein Sieg ist, die Geschichte endet. Tatsächlich ist dann erst etwas mehr als die Hälfte des Films erzählt. Filmemacher Todd Haynes zeichnet vielmehr den immer noch andauernden Kampf von Rob Bilott gegen DuPont nach, der inzwischen mehr als 20 Jahre dauert und in dem die Zeit, die damit verbundenen, horrenden Kosten und die schwindende Gesundheit der Betroffenen, das größte Kapital des Chemiekonzerns sind. Es braucht dabei keine einzelnen Personen, um Bilott mit einem übermächtigen Gegner zu konfrontieren, vielmehr lässt das Drama eigene DuPont-Dokumente und -Studien sprechen. Ebenso wie wirklich Betroffene, die hier Gastauftritte bekommen. So auch William 'Bucky' Bailey, dessen Mutter bei DuPont in der Teflon-Produktion beschäftigt war und der mit Fehlbildungen zur Welt kam.

Momente wie dieser, oder wenn Bilott dem damaligen Geschäftsführer DuPonts, der jede Kenntnis wie auch Verantwortung von sich weist, Beweis um Beweis des Vertuschens von eigenen Firmenstudien unter die Nase hält, jagen einem deshalb einen Schauer über den Rücken, weil Vergiftete Wahrheit damit die Grenze der Leinwand zwischen Film und Publikum durchbricht. Man kann sich danach nicht entspannt zurücklehnen in dem Wissen, dass den Beteiligten trotz der gezeigten Schrecken nichts geschehen ist, dass es sich hierbei nur um eine Erzählung handelt. Die Auswirkungen, die hier in den Fokus gerückt werden, ebenso wie die erschreckenden Zahlen, sind ganz offensichtlich zutreffend. Und damit auch die Konsequenzen, die uns alle betreffen können. Auch in Deutschland, speziell in Bayern, wurden in der Nähe von Chemiefabriken zigfach erhöhte Werte von PFOA im Trinkwasser und in Menschen nachgewiesen. Behörden verwiesen lange Zeit darauf, dass es keine gesetzlichen Grenzwerte gab. Weshalb sich niemand mit einer solchen Antwort zufrieden geben sollte, weder jetzt, noch irgendwann in Zukunft bei dieser oder anderen Chemikalien, belegt Hanyes’ Film geradezu erschreckend greifbar.


Fazit:
Unaufgeregt und auf eine geradezu erstaunliche Weise beherrscht, erzählt Regisseur Todd Haynes den immer noch andauernden Kampf von Rob Bilott gegen den Chemiekonzern DuPont nach. Ersterer wird von Mark Ruffalo auf eine packende und ebenso zurückhaltende Weise verkörpert, dass die Momente, in denen seine Emotionen aus ihm herausbrechen, umso stärker wirken. Tim Robbins und Anne Hathaway hinterlassen einen ebenso bleibenden Eindruck. Nicht nur, dass tatsächlich betroffene hier mitwirken dürfen, es gelingt dem Film gleichzeitig, die Zerrissenheit der Opfer dieses Skandals greifbar zu machen. Wenn der die Gesundheit der Bevölkerung wissentlich gefährdende Chemiekonzern gleichzeitig der größte Arbeitgeber und Wohlstandsgarant der Region ist, wäre man dann bereit, dies mit der eigenen Gesundheit zu bezahlen? Welchen Preis möchte man für die eigene und die Gesundheit der Angehörigen festlegen? Vergiftete Wahrheit ist ein sich langsam entwickelndes, erstklassig aufbereitetes und packend dargebrachtes Drama, bei dem einem die Auswirkungen für einen selbst erst langsam klar werden. Doch gerade deshalb wirkt das Gezeigte so lange nach. Mag sein, dass die Entwicklung der einzelnen Figuren nicht immer die emotionale Wucht aufbaut, die sie hätte können und dass die Geschichte insgesamt dramaturgisch mitreißender hätte dargebracht werden können. Doch so könnte dies ebenso gut eine Dokumentation sein. Eine, deren Erkenntnisse erschreckender und bedeutender kaum sein können.
Ein herausragender und wichtiger Film, zurecht ausgezeichnet mit dem „Prädikat besonders wertvoll“.