Unhinged - Außer Kontrolle [2020]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. Februar 2021
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Unhinged
Laufzeit: 90 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Derrick Borte
Musik: David Buckley
Besetzung: Russell Crowe, Caren Pistorius, Gabriel Bateman, Jimmi Simpson, Austin P. McKenzie, Juliene Joyner, Stephen Louis Grush, Anne Leighton, Michael Papajohn, Lucy Faust, Devyn A. Tyler, Samantha Beaulieu


Kurzinhalt:

Für die alleinerziehende Rachel (Caren Pistorius) beginnt der Tag wie viele andere. Sie hat vergessen, ihren Wecker zu stellen, so dass sie ihren Sohn Kyle (Gabriel Bateman) zu spät in die Schule bringen wird. Auf Grund der vielen Staus wird sie es auch nicht rechtzeitig zu ihrer Klientin schaffen, die ihr daraufhin telefonisch absagt. Dass ihr künftiger Ex-Mann nun auch noch das Haus für sich beansprucht, trübt ihren Ausblick außerdem. Als der teuer aussehende Pickup an der Ampel vor ihr trotz „Grün“ nicht fährt, drückt Rachel auf die Hupe und zieht an ihm vorbei. Doch der Fahrer des Pickups, Tom (Russell Crowe), fühlt sich davon beleidigt. Er entschuldigt sich für sein Versäumnis und fordert Rachel auf, sich ebenfalls zu entschuldigen. Als sie sich weigert, beschließt Tom, ihr den Tag zur Hölle zu machen. Dabei geraten auch alle Menschen, die Rachel etwas bedeuten, ins Visier des Psychopathen …


Kritik:
Derrick Bortes Unhinged - Außer Kontrolle ist die Art Film, die ein breites Publikum nie zu Gesicht bekommen würde, wäre es nicht um den Star im Zentrum, auf den sich der Titel bezieht. Als regelrecht entfesselter Psychopath schlüpft Russell Crowe in eine ähnliche Rolle wie Michael Douglas einst. Aber während der damalige Regisseur Joel Schumacher Falling Down - Ein ganz normaler Tag [1993] als bitterböse Satire anlegte, bei der man sich zu großen Teilen – und stellenweise zum eigenen Unwohlsein – mit der Hauptfigur identifizieren konnte, ist das Publikum bei Unhinged zum Voyeur degradiert. Wären die Figuren interessanter, könnte einen dies maßlos wütend machen.

Angelpunkt für die Zuschauerinnen und Zuschauer soll hier die alleinerziehende Rachel Flynn sein, die mit ihrem Sohn Kyle sowie ihrem Bruder Fred und dessen Freundin in einem Haus wohnt und derzeit von ihrem Noch-Ehemann geschieden wird. An einem Morgen, an dem Rachel erneut verschlafen hat und sie daher nicht nur Kyle zu spät zur Schule bringen, sondern sie auch ihre beste Klientin (wieder) sitzen lassen wird, hupt sie den Fahrer eines Pickup-Trucks (Russell Crowe) an, der an einer grünen Ampel steht. Als dieser sie kurz darauf auffordert, sich zu entschuldigen, weigert sich Rachel, worauf ihr der psychisch labile und gewaltbereite Fahrer den Tag buchstäblich zur Hölle macht. Dabei zieht er nicht nur eine Schneise der Verwüstung hinter sich her, sondern tötet zum Teil wahllos Menschen, die ihm im Weg sind, oder Rachel etwas bedeuten.

Mit einer jungen Frau, die sich in einer Ausnahmesituation wiederfindet, mitunter vor unmögliche Entscheidungen gestellt wird und versuchen muss, sich gegen einen Gegner zu wehren, der stärker ist als sie und zu allem bereit, erinnert die Prämisse von Unhinged durchaus an den ebenfalls von Drehbuchautor Carl Ellsworth geschriebenen Red Eye [2005]. Aber während der Film dort eingangs mit dem unbekannten Element spielt, dass das Publikum nicht weiß, wozu der Angreifer imstande und gewillt ist zu tun, geht Derrick Bortes Thriller einen anderen Weg. Noch vor dem Vorspann wird der von Crowe gespielte Tom Cooper gezeigt, der vor Sonnenaufgang im strömenden Regen in ein Haus einbricht, dort wenigstens zwei Menschen ermordet und das Haus in Brand steckt. Durch das „Zu verkaufen“-Schild am Grundstück kann man davon ausgehen, dass es sich bei dem Haus um das seiner Ex-Frau handelt. Der Vorspann versucht dem Publikum anschließend nahezubringen, dass die Gereiztheit der Menschen im Straßenverkehr durch die höhere Verkehrsdichte und die Ablenkungen mit Mobiltelefonen in den vergangenen Jahren stark zugenommen hätten. Es werden dokumentarisch anmutende Bilder gezeigt, die zeigen, wie Verkehrsteilnehmer sich gegenseitig bedrängen, oder schlimmeres. Nur haben diese beiden Elemente, Toms Gewaltbereitschaft und dieses immer wiederkehrende Thema von Gewalt im Straßenverkehr durch rücksichtsloses Verhalten, nicht wirklich etwas miteinander zu tun.

Fühlt sich Tom von Rachels Hupen beleidigt und angegriffen, so dass er ihr zeigen will, wie ein schlechter Tag wirklich aussieht, dann ist dies nicht mehr, als eine Pseudoerklärung für seine folgenden Taten. Das wäre dann erträglich, wenn dem irgendwann widersprochen wird. Ebenso, wenn er seine Machtlosigkeit und seinen Frust dafür vorschiebt, das Leben anderer Menschen zu zerstören. Seine heuchlerischen Begründungen bleiben stehen, werden nie widerlegt, so dass zum Ende nach wie vor der Eindruck bleibt, er wäre in gewisser Weise ein Opfer der Gesellschaft und nicht vollumfänglich verantwortlich für sein Leben und seine Taten.
Wie sehr Unhinged - Außer Kontrolle darum bemüht ist, Sympathien für den Psychopathen im Zentrum zu wecken, sieht man treffend an einer Szene zum Finale hin auf dem Freeway. Dort drängt Tom zahlreiche Fahrzeuge ab und verursacht erschreckende Unfälle. Niemand wäre davor gefeilt, doch zeigt Filmemacher Borte vor einem Unfall explizit, wie sich die Fahrerin während der Fahrt schminkt. Nicht falsch verstehen, solche Menschen gibt es am Steuer und das ist verurteilenswert. Aber sieht man, wie diese Fahrerin im darauffolgenden Unfall das Zeitliche segnet, soll dies beim Publikum offenbar die Einstellung festigen, dass sie gewissermaßen selbst schuld an dem ist, was ihr widerfährt.

„Selbst schuld“ soll man offenbar auch bei Rachel denken, die wie eine Ansammlung der schlechtesten Angewohnheiten des modernen Menschen erscheint. Sie ist unorganisiert, chronisch zu spät, unkonzentriert, so dass sie bei der Fahrt mehr in den Rückspiegel und nach hinten schaut, als auf die Straße. Sie ist nicht in der Lage, ihre elektronischen Geräte aufzuladen, oder sich ein Passwort für ihr Handy zu merken, so dass sie ungeschützt jedem Zugriff auf alle Daten darin gewährt. Sie schließt ihr Auto nicht ab, wenn sie es für Minuten stehen lässt, noch tut sie das offensichtlich Richtige, wenn das Leben der Menschen um sie herum bedroht wird, und informiert frühzeitig die Polizei.
Die Verhaltensweisen der Figuren in Unhinged ist über weite Strecken so weit von der Realität entfernt, dass es wütend machen würde, würde man tatsächlich mit ihnen mitfiebern. Doch erscheinen viele Entscheidungen nur aus dem Grunde so getroffen, damit der Film in der Abfolge ablaufen kann. Damit könnte man sich arrangieren, wenn Rachel den Spieß tatsächlich umdreht, wenn sie sich wehrt und den heuchlerischen Tom in seine Schranken verweist. Letzteres geschieht gar nicht, ersteres in den letzten 10 Minuten des nur eineinhalb Stunden kurzen Thrillers, der einem deutlich länger vorkommt. Auf eine wehrhafte Figur im Mittelpunkt legen die Macher offenbar keinen wirklichen Wert. Vielmehr soll man sich wie die Menschen im Film, die Toms Gewalttaten zuhauf beobachten, anstatt einzuschreiten oder irgendetwas zu unternehmen, offenbar durch die Gewalt unterhalten lassen. Im besten Fall kann man das als fragwürdig bezeichnen.


Fazit:
Wie wenig Vertrauen Filmemacher Derrick Borte in sein Publikum hat, erkennt man daran, dass alle gegebenen Informationen sofort genutzt werden müssen. Erfährt man, dass Rachel kein Passwort vergeben hat, und sieht man kurz darauf, dass sie ihr Handy im Auto liegen lässt, weiß man sofort auch, wie Tom an ihre persönlichen Informationen gelangt. Dazwischen liegen gerade einmal fünf Minuten. So ergeht es vielen Dingen im Film, von denen man sich nichts merken muss, um die Zusammenhänge zu verstehen. Zeige mir etwas in Großaufnahme für mehrere Sekunden, und ich sage Dir, dass es kurz darauf verwendet wird. Die solide Darbietung von Russell Crowe und die gelungenen Auftritte von Caren Pistorius und Gabriel Bateman als Rachel und ihr Sohn Kyle, können nicht darüber hinwegtrösten, dass die Geschichte nicht nur konstruiert klingt, sondern spürbar darum bemüht ist, Toms Taten zu entlasten. Die beim Vorspann zusätzlich bereitgestellte Erklärung der gesteigerten Aggressivität auf der Straße gaukelt eine gesellschaftliche Relevanz vor, der die Macher nie gerecht werden, geschweige denn einen Lösungsansatz präsentieren. Dass Tom zuvor bereits gemordet hat, blendet die Geschichte danach beinahe aus. Unhinged - Außer Kontrolle ist ein fieser, inhaltlich mieser kleiner Thriller der Sorte, die handwerklich nicht schlecht umgesetzt sind. Aber wenn man sich von dem Gezeigten zu gut unterhalten fühlt, sollte man sich fragen, für wen die Story hier Sympathien wecken will und ob man sich eher mit den Opfern oder dem Täter identifiziert. Wenn man sich nach dem Ansehen „schmutzig“ fühlt und sich am liebsten unter die Dusche stellen möchte, ist das wohl eher ein gutes Zeichen.