The Town - Stadt ohne Gnade [2010]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. Oktober 2010
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: The Town
Laufzeit: 125 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Ben Affleck
Musik: David Buckley, Harry Gregson-Williams
Darsteller: Ben Affleck, Rebecca Hall, Jon Hamm, Jeremy Renner, Blake Lively, Slaine, Owen Burke, Titus Welliver, Pete Postlethwaite, Chris Cooper, Dennis McLaughlin, Corena Chase


Kurzinhalt:
Bei einem Überfall wird die Filialleiterin der Bank, Claire Keesey (Rebecca Hall) als Geisel genommen und später frei gelassen. Durch den Schock hat sie Schwierigkeiten, den Alltag wieder in den Griff zu bekommen. Im Waschsalon trifft sie auf Doug MacRay (Ben Affleck) und zwischen beiden entwickelt sich eine Freundschaft, sogar mehr. Was sie nicht weiß, Doug ist der Anführer der Crew, die ihre Bank ausgeraubt und sie gekidnappt hat. Er wollte sie an sich nur beschatten, um sicherzustellen, dass sie nichts bemerkt hatte, was ihn oder seine Truppe verraten könnte. Aber auch er entwickelt Gefühle für Claire und bringt damit nicht nur sein Leben in Gefahr.
Während das FBI mit Special Agent Frawley (Jon Hamm) den Überfall bearbeitet und Doug samt James 'Jam' Coughlin (Jeremy Renner) im Verdacht hat, kommt Jam hinter die Beziehung zwischen Doug und Claire. Das setzt die Freundschaft der beiden – immerhin ist Doug seit vielen Jahren immer wieder mit Jams Schwester Krista (Blake Lively) zusammen – nur noch mehr unter Druck. Dann verlangt der Drahtzieher Fergie (Pete Postlethwaite) immer gefährlichere Aufträge von Doug und seiner Crew. Als dieser nicht mitmachen will, bedroht Fergie auch Claire ...


Kritik:
Als sich Doug MacRay bei seinem Freund Jam Coughlin beschwert, er sei nicht darauf erpicht, jemanden umzubringen (zuvor hatte Jam bei einer abendlichen Einschüchterung seine Waffe gezogen und einen am Boden liegenden Mann angeschossen), antwortet dieser: "Du wolltest mich dabei haben". So grundlegend diese Feststellung ist, es ist eine Erkenntnis, die vielen Menschen in The Town eingangs fehlt. Oder aber sie wird von ihnen ignoriert. So akzeptiert Claire von ihrem neuen Freund eine sehr kostbare Kette, obwohl dieser laut eigenen Aussagen auf dem Bau arbeitet, jedoch einen für ihn an sich unerschwinglichen Wagen fährt – und das in der amerikanischen Banküberfallhauptstadt Boston. Selbst Jams Schwester Krista (eindringlich gespielt von Blake Lively) trifft die Wahrheit unvorbereitet, dass Doug, mit dem sie seit Jahren sporadisch zusammen ist, sie nicht mitnehmen würde, wenn er endlich aus der Stadt verschwindet. Dabei war sie für ihn immer nur dann gut genug, wenn niemand anders zur Verfügung stand, oder aber es war aus Dankbarkeit für das, was Jam für Doug getan hatte.
Was beinahe alle Figuren in The Town verbindet, ist das Streben nach einem Neuanfang, nach einer Lebensveränderung. Es ist ein Gedanke, der trotz des Alkohols und der Drogen in ihrem Leben gereift ist, den Doug jedoch am intensivsten erlebt, weil er sich von jenen Suchtmitteln befreit hat. In Claire findet er jemand, für den es sich lohnen würde, alles aufzugeben und sie in ihm ebenso. Ob sie allerdings denselben Wunsch hegte, bevor ihre Welt durch einen Überfall in der Bank, in der sie Filialleiterin ist, aus den Fugen geriet, erfährt man nicht. Wichtig ist, wie die Geiselnahme sie verändert, wie sie und Doug sich gegenseitig aus ihren Welten herausziehen, ehe es kommt, wie es in solchen Geschichten kommen muss.

Ben Afflecks zweiter Kinofilm The Town widmet sich einem hoffnungslosen Milieu in Boston. Im Stadtteil Charlestown sollen sich die meisten Bankräuber der Stadt konzentrieren und wessen Vater ein Bankräuber war, der wird vermutlich in dessen Fußstapfen treten. Ein zweifelhaftes Familienunternehmen. Doug MacRay ist in eine solche Familie hineingeboren, sein Vater Stephen (Gastauftritt Chris Cooper) verbüßt bereits eine mehrjährige Haftstrafe. Ob er deren Ende erleben wird, ist fraglich. Zusammen mit Jam und zwei weiteren Ortsansässigen verübt Doug für den Floristen Fergie (beunruhigend Pete Postlethwaite) Überfälle. Ziel ist es dabei, niemanden zu töten, da sich sonst die Ermittlungen der Polizei intensivieren. Für Jam jedoch scheint das ein Problem zu sein, der Drogenabhängige ist bereits mehrfach vorbestraft und saß neun Jahre im Gefängnis. Im Gegensatz zu Doug hat er kein Ziel auf das er hinarbeitet und kanalisiert seine Frustration in Gewalt. Mit seinem Drogenkonsum ergibt dies einen unberechenbaren Faktor. Dass die als Geisel genommene Filialleiterin Claire außerdem in Charlestown wohnt und den beim Überfall maskierten Räubern somit jeden Tag über den Weg laufen könnte, gestaltet die Situation noch komplizierter. Während er die eingeschüchterte junge Frau beschattet, kommt Doug Claire näher, verständlicherweise ohne preiszugeben, dass seine Crew ihre Bank überfallen hatte. Als Jam dahinter kommt, dass sich Doug in Claire verliebt hat, sieht er seine Welt gleich im doppelten Sinne bedroht. Nicht nur, dass ihn die Frau mit seiner dritten Verurteilung lebenslang hinter Gitter bringen könnte, sie zerstört auch die Möglichkeit, dass aus Krista, Doug und ihm selbst so etwas wie eine Familie werden könnte. Dass sich außerdem das FBI samt Special Agent Frawley (überzeugend und überraschend charismatisch Jon Hamm) um den Fall kümmert und Claire unter die Lupe nimmt, verschärft die Situation.

Statt sich in großen Feuergefechten zu verlieren, lenkt Regisseur Affleck das Hauptaugenmerk auf die Figuren und ihre Beziehungen zueinander. Viele Handlungsstränge werden nur angeschnitten und nicht zu Ende geführt, was The Town umso authentischer erscheinen lässt. Beinahe als führten die Charaktere ein Leben, von dem man nur einen Ausschnitt gezeigt bekommt. Erstklassig gespielt von Jeremy Renner, der Jam ziellos aber wütend packend verkörpert, einer ebenso erstklassigen Rebecca Hall und Ben Affleck selbst, der die Hauptfigur durchweg traurig aber im Gegensatz zu Jam nicht hoffnungslos anlegt, veredelt der Cast ein überzeugendes und sehenswertes Thrillerdrama. Die mitunter harten, aber nicht gewaltverherrlichenden Szenen unterstreichen wie die schimpfwortstarke Sprache das realistische Ambiente des Films. Aber so echt und glaubwürdig selbst die spannende Action im Film wirkt, so unpassend versöhnlich gibt sich die Auflösung. Affleck mag dies so gestaltet haben, um den Betroffenen die Hoffnung nicht zu zerstören, kompromissloser hätte jedoch womöglich besser funktioniert.

Ob wie im Trailer zum Film angedeutet, tatsächlich mehr als 300 Banküberfälle jährlich in Boston stattfinden, sei dahingestellt. Selbst die Statistiken des FBI sprechen eine andere Sprache. Insbesondere in den 1990ern war Boston für die ungewöhnliche hohe Zahl an Überfällen jedoch berüchtigt und die Täter schienen sich in der Tat in Charlestown zu konzentrieren. Inzwischen lässt sich Boston und Charlestown selbst angeblich aber eine solche Bereitschaft zum Bankraub nicht mehr zuordnen.
Doch schmälert dies Afflecks Erfolg mit The Town als Milieustudie nicht im Geringsten.


Fazit:
Sieht sich ein einzelner Polizist unversehen vier schwer bewaffneten und maskierten Bankräubern gegenüber, hat er zwei Möglichkeiten: er kann versuchen, sie zu stellen und ganz sicher dabei sein Leben lassen, oder er kann symbolisch den Kopf wegdrehen und darauf hoffen, dass sie ihn am Leben lassen. Wie der Polizist in The Town reagiert, unterstreicht den glaubwürdigen Ansatz, den die Macher mit dem intensiv gespielten Drama verfolgen.
Statt die Action in den Mittelpunkt zu rücken, konzentriert sich Regisseur und Hauptdarsteller Ben Affleck auf die Figuren und seine herausragenden Darsteller. An der packenden und spannenden Milieustudie gibt es nichts zu bemängeln, außer dass das Ende weniger beschönigend hätte ausfallen können, vielleicht sogar müssen. Dank der authentischen Atmosphäre jedoch zählt The Town - Stadt ohne Gnade zum Besten, was das Kinojahr bislang hervorgebracht hat.