The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten [2011]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 15. Juli 2012
Genre: Drama / UnterhaltungOriginaltitel: The Descendants
Laufzeit: 115 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2011
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Alexander Payne
Musik: Dondi Bastone, Eugene Kulikov
Darsteller: George Clooney, Shailene Woodley, Amara Miller, Nick Krause, Patricia Hastie, Robert Forster, Barbara L. Southern, Matthew Lillard, Judy Greer, Mary Birdsong, Rob Huebel, Kaui Hart Hemmings, Beau Bridges, Matt Corboy, Matt Esecson, Michael Ontkean
Kurzinhalt:
Vor etwas mehr als drei Wochen verunglückte Elizabeth King (Patricia Hastie) bei einem Wassersportunfall so schwer, dass sie seither im Koma liegt. Ihr Mann Matt (George Clooney) muss sich seitdem um die 10jährige Tochter Scottie (Amara Miller) kümmern, zu der er jedoch keinen Zugang findet. Als die Ärzte Matt mitteilen, dass Elizabeth nicht mehr aufwachen wird und sie die Maschinen abstellen werden, holt er seine ältere Tochter Alexandra (Shailene Woodley) aus dem Internat. Trotz ihres Streites, seit dem sie nicht mehr mit ihr gesprochen hatte, soll sie sich verabschieden – und Matt helfen, mit Scottie klar zu kommen. Er nimmt sie beide und Alexandras Freund Sid (Nick Krause) mit, um Elizabeths Eltern zu informieren. Als er erfährt, dass seine Frau eine Affäre mit dem Immobilienmakler Brian Speer (Matthew Lillard) hatte, setzt sich Matt in den Kopf, den Mann ausfindig zu machen.
Dabei wächst ihm die Arbeit momentan ebenfalls über den Kopf. Als Treuhänder der Familie obliegt es ihm, über einen großen Landverkauf zu entscheiden, mit dem seine Cousins viel Geld verdienen könnten. Doch welches Recht hat er, etwas zu verkaufen, das seiner Familie vor Generationen kostenlos und zur Erhaltung überlassen wurde ...
Kritik:
Oft fliehen wir in die Welt der Filme, um aus unserer eigenen ausbrechen zu können. Regisseur Alexander Payne widmet sich in The Descendants einer Familie, die ein Schicksal ereilt, das persönlich und nachvollziehbar klingt. Statt eine fantastische Geschichte erzählt er eine glaubhafte. Er balanciert die Tragik des Verlusts mit Humor, ohne dass er erzwungen wirkt. Wir begleiten Matt King, dessen Frau nach einem Sportunfall im Koma liegt, auf seinem Weg zurück zu einer Normalität, die der geschäftige Anwalt in den vergangenen Jahren unter einem Berg an Arbeit begraben hatte. Und das in einer Ausnahmesituation für ihn und seine beiden Töchter. Dass sie uns interessieren liegt nicht daran, dass sie weit außerhalb unserer Welt existieren, sondern weil wir sie verstehen und uns vielleicht selbst darin erkennen.
Dass Matt King und seine Familie auf Hawaii leben scheint ihre Geschichte im ersten Moment weniger tragisch zu machen – wie könnte im Paradies Traurigkeit und Verzweiflung herrschen? Seit etwas mehr als drei Wochen sitzt der grauhaarige Anwalt am Krankenbett seiner Frau Elizabeth, die nach einem Sportunfall im Koma liegt. Die Ärzte sagen, es gibt nichts Neues, ob das etwas Gutes oder Schlechtes ist, verraten sie aber nicht. Seither muss sich Matt auch um seine 10jährige Tochter Scottie kümmern, die zu ihm keinen Zugang findet, weil sie sich erst jetzt wirklich kennen lernen. Dabei ist Matt mit anderen Dingen beschäftigt: In weniger als einer Woche steht eine Familienversammlung an. Als Treuhänder ist es ihm überlassen, wie er über den letzten großen Grundbesitz seiner Familie auf Hawaii entscheidet. Seine Cousins drängen ihn dazu, es an einen Investor zu verkaufen, um daraus ein Ferienparadies mit Hotelanlagen und Golfplätzen zu machen. Mit dem Geld könnten die Cousins weiterhin bequem leben, haben sie das Vermögen aus den vorigen Verkäufen doch schon auf den Kopf gehauen. Auch Matt ist sehr reich, doch sieht man es ihm nicht an. Sein Schwiegervater macht ihm dies immer wieder zum Vorwurf. Doch was nützt Matt das Geld, wenn er seine Frau damit nicht wieder gesund machen kann?
Das Leben scheint gut darin zu sein, uns mit einer unerwarteten Situation zu konfrontieren, um wenig später weitere Entscheidungen abzuverlangen und uns so zu überfordern. In The Descendants sehen wir, dass es Matt nicht anders ergeht, obwohl er auf einer Insel lebt, wovon die meisten nur träumen können und in einem Wohlstand, den die wenigsten je erreichen.
Als die Ärzte ihm mitteilen, dass seine Frau nicht wieder aufwachen wird und sie auf Grund einer Patientenverfügung die Maschinen abstellen werden, holt er seine 17jährige Tochter aus dem Internat. Sie soll sich von ihrer Mutter verabschieden, ebenso wie ihre Freunde und die nächste Familie. Dann erfährt Matt, dass seine Frau seit längerem eine Affäre hatte und sogar die Scheidung einreichen wollte. Dass er sich vornimmt, ihren Liebhaber Brian aufzusuchen, um auch ihm die Möglichkeit eines Abschieds zu geben, ist im ersten Moment unbegreiflich – doch wenn er seine Frau schon vor dem Unfall verloren hatte, wäre es nicht vielleicht ihr Wunsch, ihre neue Liebe ein letztes Mal bei sich zu haben?
Dies ist vielleicht das einzige Manko von The Descendants: So sehr wir mit Matt und seiner Familie mitfühlen, so nett wie er kann man in Wirklichkeit kaum sein. Wir sehen, wie er hin- und hergerissen ist, wie er seine im Koma liegende Frau voller Wut anbrüllt angesichts ihrer Untreue, um sich daraufhin seiner Kinder wegen wieder zu beherrschen, ehe er sie dazu holt. Wir sehen ihn verzweifeln mit seiner ältesten Tochter Alexandra, die ihrer Mutter viel ähnlicher ist, als ihm lieb sein sollte. Und die ihn erstaunlicherweise besser versteht, als er selbst. Filmemacher Alexander Payne versteht es meisterhaft, uns in eine Situation zu versetzen, die wir zu kennen glauben, so dass wir unsere Schlüsse ziehen, nur um uns dann hinter die Fassade blicken zu lassen, um den wahren Kern der Figuren zu erkennen. Dies ist bereits bei Alexandras Freund Sid der Fall, dessen Typ wir sofort zuordnen, ehe wir erfahren, weshalb er so ist. So ist es auch bei Elizabeths strengem Vater Scott, der sich um seine geistig verwirrte Frau kümmert und mit seiner Tochter seine größte Bezugsperson verliert. Oder aber die Konfrontation Matts mit dem Liebhaber Brian, die auf so viele Arten und Weisen in Klischees hätte enden können. Wie Matt überlegt man selbst, ob finanzielle Gründe hinter der Affäre steckten, doch was wir hören zeugt von einer Beziehung, die passierte, weil es eben so war.
Ohne diese Besetzung gelänge es The Descendants nicht, uns in den Bann zu ziehen. George Clooney als Familienvater ohne tatsächliche Vorbereitung brilliert mit einem vielschichtigen Spiel, das zu den besten seiner eindrucksvollen Karriere gehört. Nicht weniger gefordert ist die junge Shailene Woodley als Alexandra King, der selbst der schwierigste Moment im Pool mit einer Überzeugung gelingt, dass es einem Gänsehaut verschafft. Selbst der meist auf alberne Rollen abonnierte Matthew Lillard verblüfft mit einem nuancierten, tollen Auftritt. Sie alle sorgen dafür, dass wir uns für die Figuren interessieren. Nicht, weil sie so anders sind, wie wir selbst. Sondern weil sie sich oft genauso verhalten wie wir.
Fazit:
Nicht nur, dass die gemeinsamen Erlebnisse Matt King seinen Töchtern näher bringen, er scheint auch besser zu verstehen, wo seine Verantwortungen überhaupt liegen. Teilweise mutet The Descendants an wie ein Roadmovie, ohne aber einer zu sein. Wir sehen durch die Augen der Figuren die Landschaft von Hawaii, sehen die vielen Golfplätze und Ferienanlagen und fragen uns, wozu die King-Familie das Stück Land verkaufen soll, wenn daraus etwas wird, was es so schon unzählige Male gibt. Gleichzeitig müssen sie Abschied von Elizabeth nehmen, die nach ihrem Unfall mehr Fragen aufgeworfen hat, als zuvor. Und die sich jeder Möglichkeit entzieht, sie für ihr Verhalten zur Rede zu stellen. Es entspricht der Tragik des Lebens, dass bei einem plötzlichen Abschied so viele Fragen unbeantwortet bleiben. Und so viele Versöhnungen unausgesprochen.
Intensiv und eindrucksvoll gespielt erzählt Regisseur Payne sein Drama nicht überzogen, sondern glaubwürdig und ruhig. Die durchweg hawaiianische Musik spiegelt in ihrer Vielseitigkeit und ihren überraschend traurigen Klängen all die Facetten wider, die man an jenem paradiesischen Ort zu sehen bekommen kann, auch wenn man sie nicht erwarten würde. Für ein anspruchsvolles Publikum ist das überaus sehenswert.