Schneemann [2017]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. April 2018
Genre: Thriller / Drama / Krimi

Originaltitel: The Snowman
Laufzeit: 119 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA / Schweden
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Tomas Alfredson
Musik: Marco Beltrami
Darsteller: Michael Fassbender, Rebecca Ferguson, Charlotte Gainsbourg, Jonas Karlsson, Michael Yates, Ronan Vibert, J.K. Simmons, Val Kilmer, David Dencik, Toby Jones, Genevieve O'Reilly, James D'Arcy, Jeté Laurence, Adrian Dunbar, Chloë Sevigny


Kurzinhalt:

Harry Hole (Michael Fassbender) ist Hauptkommissar bei der Polizei im norwegischen Oslo. Sein Alkoholproblem ist inzwischen so groß, dass er regelmäßig morgens im Freien aufwacht – bei Temperaturen deutlich unter null Grad. Die Ermittlung seiner neuen Kollegin Katrine Bratt (Rebecca Ferguson), bei der eine Frau spurlos aus ihrem Haus verschwunden ist, weist Parallelen zu mehreren anderen ungelösten Fällen auf. Kurz darauf wird eine Leiche gefunden, zu der Harry und Katrine vom Täter explizit geführt werden. Es beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, in das unter anderem der Geschäftsmann Arve Stop (J.K. Simmons) und Arzt Vetlesen (David Dencik) verstrickt scheinen. Während der Fall für Katrine bedeutend persönlicher ist, als Harry vermutet, ist dieser durch seine Ex-Frau Rakel (Charlotte Gainsbourg), Sohn Oleg (Michael Yates) und Rakels neuen Mann Mathias (Jonas Karlsson) ohnehin bereits abgelenkt …


Kritik:
Auch wenn solche Gedankenspiele nur wenig zielführend – und darüber hinaus reine Spekulation – sind, Tomas Alfredsons lange erwartete Romanverfilmung Schneemann des norwegischen Autors Jo Nesbø ist ein Film, der im Schneideraum hätte gerettet werden können; und dort ruiniert wurde. Der düstere, skandinavische Crime-Thriller bringt im Grunde genommen alles mit, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen, nur stellen die Macher die Geschichte in einer Art und Weise zusammen, dass sie am Ende gar nicht wirklich interessiert.

In deren Zentrum steht Hauptkommissar der Osloer Polizei Harry Hole, gespielt von Michael Fassbender. Der Ruf eines herausragenden Ermittlers haftet ihm trotz seiner inzwischen offensichtlichen Alkoholsucht und der daraus resultierenden Unzuverlässigkeit an. Nur weshalb, welcher Fall bzw. welche Fälle ihn so bekannt gemacht haben, verrät die Geschichte nicht. Ebensowenig, was mit ihm geschehen ist, dass er seine Frau Rakel und Sohn Oleg (der wohl nicht sein leiblicher Sohn ist, zumindest wird dies in Dialogen verwirrend und nicht klar suggeriert) für den Alkohol verlassen hat und inzwischen regelmäßig im Suff bei Minustemperaturen irgendwo im Freien in der Stadt übernachtet. Wenn Harry das erste Mal vorgestellt wird, scheint er am Boden angekommen. Sein Weg dorthin wird aber nie angesprochen und es ist, als wäre er selbst mit der Situation zufrieden.

Er reißt gewissermaßen selbst seinen nächsten Fall an sich, als er die neue Kollegin Katrine zur Familie einer verschwundenen Frau begleitet. Dabei springt der Film immer wieder zu einem anderen Ermittler, dem von Val Kilmer gespielten Rafto, vor einigen Jahren zurück, der den Mord an einer Frau untersucht, die grausam zerstückelt wurde. Hier wird das nächste Problem der Erzählstruktur von Schneemann offensichtlich, denn während sich im Grunde durch die zurückliegenden Ermittlungen eine Vorgehensweise des brutalen Täters abzeichnen soll, existieren keine lebenden Verbindungen zwischen jenem Fall und dem aktuellen. Wieso bekommt das Publikum diese Dinge also in ausladend erzählten Abschnitten gezeigt? Weder Harry, noch Katrine profitieren davon und es hätte ebenso ausgereicht, den Ablauf jenes Falls zu skizzieren, wenn die Ermittler darauf gestoßen werden.

Das Drehbuch beschäftigt sich hier, ebenso wie mit dem Firmenmagnaten Arve Stop (ein kaum geforderter J.K. Simmons), mit Handlungsschauplätzen, die eine Komplexität der Geschichte unterstellen, die nur dann Sinn ergeben würde, wenn sie hierfür auch relevant wären oder zumindest erklärt werden würden. Aber weswegen Arve von seinem Geschäftspartner immer wieder Frauen präsentiert werden, die jener dann fotografiert, wird nicht wirklich aufgelöst und ist am Ende für die Story auch nicht wichtig.
Das Drehbuch zu Schneemann stellt viele Figuren vor, ohne sich mit ihnen zu beschäftigen. Die Mitglieder aus Harrys Sonderkommando, das einberufen wird, als feststeht, dass es sich um einen Serientäter handelt, werden nicht einmal vorgestellt, geschweige denn, dass man erfahren würde, wie viele Beamte das Team überhaupt umfasst. Über Harry selbst verrät das Skript wie bereits erwähnt kaum etwas. Er blickt zwar in jedem Moment gequält in die Kamera, aber weshalb, verrät der Crime-Thriller nicht. Katrine bleibt genauso schemenhaft und selbst den Opfern wird kaum Zeit eingeräumt.

Die meisten Krimis sind aus Sicht der ermittelnden Personen erzählt. Schneemann springt immer wieder unmotiviert zwischen diesen, gelegentlich einem Opfer, dann wieder einem Rückblick und nur selten in die Sicht des Täters. Dessen Motiv – und vor allem seine grausame Vorgehensweise oder Umstand der gebauten Schneemänner, der den Ermittlern nicht einmal auffällt – ergibt am Ende immer noch keinen Sinn. Es mag sein, dass Regisseur Tomas Alfredson hier die grundsätzliche Struktur der Romanvorlage erhalten wollte, aber während diese Erzählweise bei einem Buch, das sich bedeutend mehr Zeit nehmen kann, die Gedankenwelt der Figuren zum Ausdruck zu bringen, funktioniert, eignet sie sich für einen Film nur bedingt.
Dass der Film ruhig und langsam erzählt ist, ist kein Kritikpunkt, und dass der Filmemacher sein Handwerk versteht, ist an den vielen gelungenen Bildern erkennbar, die trotz der weißen, schneebedeckten Landschaften eine düstere Trostlosigkeit vermitteln, dass die Kälte gleichermaßen vom Wetter und dem Umgang der Figuren miteinander ausgeht. Nur reichen die Atmosphäre und die explizit brutalen Szenen nicht aus, um auch einen packenden Thriller zu erzählen, wenn sie durch keine stimmige Geschichte zusammengehalten werden. Und die ist irgendwo auf dem Weg von den Romanseiten zur Leinwand abhanden gekommen.


Fazit:
Es wäre zu kurz gefasst, Schneemann als einen typischen, skandinavischen Krimi mit bekannter Hollywood-Besetzung zu bezeichnen. Zugegeben, der Erzählrhythmus unterscheidet sich von dem der meisten US-amerikanischen Kinoproduktionen, so dass manche Übergänge und Dialoge abgekürzt oder unvollständig erscheinen. Aber während die nordischen Thriller meist eine dichte Atmosphäre mit abgründigen Charakteren zeichnen, bleibt Regisseur Tomas Alfredson bei der Romanadaption stets knapp unter der Oberfläche. Mit den Figuren und ihren Hintergründen beschäftigt er sich kaum und erzählt die verwirrend löchrige und mit unnötigen Elementen ausgeschmückte Geschichte zäh und spannungsarm. Hinzu kommen die teils holprigen und abrupt endenden Szenen, die scheinen, als würden Momente fehlen. Die Morde sind brutal und grausam, was mit den kalten Bildern eine Hoffnungslosigkeit widerspiegelt, die am Ende gewissermaßen zementiert wird. Gerade, weil es im Fernsehen regelmäßig bedeutend stimmigere Crime-Thriller aus dem hohen Norden zu sehen gibt, kann dieser hier – ungeachtet der soliden Darstellerleistungen – leider nicht überzeugen.