Roter Drache [2002]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Lars Adrian  |   Hinzugefügt am 04. Dezember 2002
Genre: Thriller

Originaltitel: Red Dragon
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Brett Ratner
Musik: Danny Elfman
Darsteller: Anthony Hokins, Edward Norton, Ralph Fiennes, Emily Watson, Harvey Keitel, Philip Seymour Hoffman, Anthony Heald, Mary-Louise Parker, Tyler Patrick Jones


Kurzinhalt:
1980: Die Polizei sucht nach einem ebenso gerissenen, wie äußerst brutalen Serienmörder. Als FBI-Profiler Will Graham (Edward Norton) während eines privaten Gespräches den Täter in dem anerkannten Psychiater Dr. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins), erkennt, ist es fast schon zu spät. Er wird von Lecter angegriffen und bei der Verhaftung schwer verletzt.
Es vergeht einige Zeit, in der Graham sowohl mit den Verletzungen, als auch den psychischen Folgen der Attacke fertigzuwerden versucht. Er quittiert den FBI-Dienst und zieht sich mit seiner Frau Molly (Mary-Louise Parker) und seinem Sohn Josh (Tyler Patrick Jones) in eine kleine Küstenstadt zurück, wo er Boote repariert.
Dort wird er nach einer Weile von seinem ehemaligen Vorgesetzten Jack Crawford (Harvey Keitel) aufgesucht, weil ein Serienkiller jeweils zu Vollmond ganze Familien auslöscht. Crawford sieht in Grahams besonderer Fähigkeit, sich die Psyche von Tätern hineinzuversetzen, die einzige Chance, dem Morden noch vor dem nächsten Vollmond ein Ende zu bereiten, weswegen sich Graham widerwillig damit einverstanden erklärt.
Im Zuge der Ermittlungen gelangt Graham immer mehr zu der Überzeugung, dass er, um den Täter dingfest zu machen, eine andere Perspektive braucht. Aus diesem Grund bittet er seinen "alten Bekannten" Hannibal Lecter um Rat, der mittlerweile in einer Gefängnisanstalt untergebracht ist und nur zu gerne wieder Spielchen mit dem Mann treibt, der ihn hinter Gitter gebracht hat.
Doch der Serienmörder ruht in dieser Zeit nicht und hat sich bereits seine nächsten Opfer auserwählt. Graham und dem FBI läuft die Zeit davon, denn bis zum nächsten Vollmond ist es nicht mehr lang!


Kritik:
Roter Drache ist nach Das Schweigen der Lämmer [1991] und Hannibal [2001] der nunmehr dritte Film, in dem Anthony Hopkins den Psychopathen Hannibal "Der Kannibale" Lecter spielt. Etwas verwirrend könnte für manche Zuschauer deshalb sein, dass Roter Drache zeitlich noch vor den beiden anderen Filmen angesiedelt ist.
Der Grund hierfür ist jedoch sehr leicht zu erklären: Alle drei Filme beruhen auf den gleichnamigen Romanen des Bestseller-Autors Thomas Harris, wobei Roter Drache eben der erste war und bereits 1981 erschienen ist. Viele Leser empfinden ihn auch als besten Teil der Trilogie.
1986 verfilmte Regisseur Michael Mann (Heat [1995], Insider [1999]) den Stoff schon einmal, allerdings unter dem Titel Manhunter. In Deutschland ist dieser Film auch unter den Titeln Blutmond und – wie die Neuverfilmung – Roter Drache bekannt. Obwohl er von Kritikern hochgelobt wurde, war dem Film jedoch beim Publikum kein großer Erfolg vergönnt. Und selbst Autor Thomas Harris war mit der ersten Umsetzung höchst unzufrieden. Deshalb verwundert es nicht, dass er die zweite Verfilmung wohlwollend unterstützt hat.
Ob es notwendig war, Roter Drache erneut für das Kino zu verfilmen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Auch wenn mir Manhunter recht gut gefällt, gibt es doch einige Dinge, die ich nicht so gelungen finde: Zum einen sieht man dem Film aufgrund seines Stils und der Musik sehr deutlich die Zeit der 1980er Jahre an, in der er gedreht wurde. Zum anderen ist Anthony Hopkins einfach die Idealbesetzung für Hannibal Lecter und mit ihm kann Brian Cox in Michael Manns Film schlicht nicht mithalten. Dazu kommt das enttäuschende Finale, das viel zu schnell vorbei ist.
Infolgedessen war ich einem Remake nicht grundsätzlich abgeneigt.

Ein wenig Skepsis hatte ich aber aus mehreren Gründen trotzdem:
Der Vorgänger Hannibal eine herbe Enttäuschung; statt einer guten Geschichte und subtiler Spannung lieferten Autor Thomas Harris und Regisseur Ridley Scott eine Blutoper, die ebenso langweilig und abstrus, wie vollkommen überflüssig war.
Darüber hinaus wurde mit Brett Ratner ein Regisseur für Roter Drache verpflichtet, der mit den beiden Rush Hour-Filmen zwar bewiesen hat, dass er gute Unterhaltung inszenieren kann, einen spannenden Thriller habe ich ihm aber ehrlich gesagt nicht ohne weiteres zugetraut.

Ratners Romanumsetzung vermag es jedoch, alle anfänglichen Zweifel zu zerstreuen. Ihm ist ein spannungsgeladener Thriller gelungen, der glücklicherweise mehr mit seinem großen Vorbild, dem brillianten Das Schweigen der Lämmer, gemeinsam hat, als mit dem missratenen Hannibal.

So erinnert schon die Story frappierend an den oscar-prämierten Erfolgsfilm: Das FBI bedient sich auf der Suche nach einem Serientäter des Rates des ebenso intelligenten, wie gefährlichen Psychopathen Lecter. Dem Film kann man dies sicher nicht zum Vorwurf machen, denn er orientiert sich sehr nah an der Romanvorlage, auch wenn ein paar neue Szenen eingefügt wurden, um Hopkins Rolle ein wenig auszubauen. Diese Passagen wirken allerdings nie zu aufdringlich und fügen sich nahtlos in den Rest der Handlung ein. Es macht dem Zuschauer einfach Spaß, zu sehen, wie Lecter mit seinem alten Opfer Graham spielt und ihn trotz mancher notwendiger Informationen erfolgreich täuscht.

Damit Roter Drache nicht zur bloßen Das Schweigen der Lämmer-Kopie verkommt, gibt es einige Elemente in der Geschichte, die dem Film einen ganz eigenen Reiz verleihen:
Dazu zählt zum Beispiel der traumatisierte Ex-FBI-Profiler Will Graham, der trotz seiner schrecklichen Erlebnisse dazu gezwungen ist, mit seinem damaligen Angreifer zu kommunizieren, um in dem Fall weiterzukommen. Und das, obwohl er weiß, dass Lecter jede Möglichkeit nutzt, ihn zu manipulieren.
In der zweiten Hälfte des Filmes wendet sich die Story zunehmend von den FBI-Ermittlungen ab und konzentriert sich mehr auf den Killer, dessen Identität recht früh bekannt ist. Hier wird das Leben des im Gesicht entstellten Francis Dolarhyde (Ralph Fiennes) geschildert, die Lebensumstände und seine Geistesverfassung, die ihn zum Serienmörder werden ließen, was für den Zuschauer gleichermaßen interessant wie beängstigend ist.
Als sich Dolarhyde von der Presse unwürdig behandelt fühlt, greift er zu ganz besonderen Mitteln, um seinen Unmut auszudrücken. Er tritt sogar mit Hannibal Lecter und dem FBI in Kontakt.
Dann lernt er die blinde Reba McClane kennen und beginnt zum ersten Mal in seinem Leben, Zuneigung für eine Frau zu empfinden, die erwidert wird. Dies bringt ihn in einen tiefen Konflikt mit seinem tödlichen Werk.

Hauptsächlich Drehbuchautor Ted Tally, der für sein Skript zu Das Schweigen der Lämmer einen Oscar erhielt, ist es zu verdanken, dass sich Roter Drache im Gegensatz zu Hannibal wieder auf die wahren Tugenden eines guten Thrillers besinnt: Überraschende Wendungen, Atmosphäre und subtile Spannung, die stetig ansteigt, statt bloßer billiger Effekthascherei ohne Sinn und Hirn, äh, Verstand.
Tally gelang es trotz einiger Änderungen und Kürzungen, der literarischen Vorlage gerecht zu werden und Kennern des Buches, wie auch denjenigen, die den Roman nicht gelesen haben, zu gefallen.
Auf brutale oder blutige Sequenzen wird großteils verzichtet. Stattdessen bleibt es meist bei Andeutungen, die dem Zuschauer aber trotzdem im Gedächtnis haften bleiben und ihn umso mehr berühren.
Da Tally diesen Ansatz bei Hannibal nicht möglich sah, stand er dort für eine Adaption nicht zur Verfügung. Aus den gleichen Gründen lehnten übrigens auch Das Schweigen der Lämmer-Regisseur Jonathan Demme und Jodie Foster die Mitwirkung an Hannibal ab.
Überraschenderweise fand ich das Finale in Roter Drache – wie schon bei Das Schweigen der Lämmer – im Film mitreißender und durchdachter als im Roman, was in der Tat von der hervorragenden Qualität des Drehbuchs zeugt.

Auch wenn die Darstellerleistungen nicht ganz die Klasse derjenigen in Das Schweigen der Lämmer erreichen, geben sich alle Beteiligten sichtlich Mühe.
Anthony Hopkins stellt einmal mehr unter Beweis, dass der hochintelligente Psyhopath Hannibal Lecter die Rolle seines Lebens ist. Mit einer beeindruckenden Intensivität erweckt er diese vielschichtige Figur zum Leben, obwohl er in seiner Bewegungsfreiheit und vor allem der Dauer seiner Auftritte deutlich beschränkt ist. Immer wieder fragt sich der Zuschauer, ob er angesichts Lecters Gerissenheit und Boshaftigkeit nun schockiert oder doch ein wenig amüsiert sein soll.
Hinsichtlich seiner Präsenz verwundert es kaum, dass Edward Norton als Will Graham etwas blasser wirkt. Norton spielt zweifellos souverän, jedoch nicht so überragend wie z.B. in Zwielicht [1996] oder Fight Club [1999], was durchaus daran liegen kann, dass der Schwerpunkt eher auf Lecter und Francis Dolarhyde liegt, und er sich deshalb nicht so gut entfalten kann. Hinzu kommt, dass Norton für meinen Geschmack etwas zu jung in der Rolle des Will Graham ist. Im Roman soll der FBI-Profiler ungefähr Anfang bis Mitte 40 sein. Immerhin hat er schon einige Fälle erfolgreich gelöst, als er sich nach Lecters Attacke letztendlich zur Ruhe setzen muss. Norton wirkt hier ein wenig zu jugendlich, um diese mehrjährige Erfahrung zu vermitteln. Überraschenderweise konnte William Petersen in Manhunter diesbezüglich mehr überzeugen, obwohl er – wie Norton heute – ebenfalls zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 33 Jahre alt war.
Der heimliche Star des Filmes ist Ralph Fiennes, der bereits in Schindlers Liste [1993] eine beängstigende und oscarnominierte Vorstellung als KZ-Leiter Amon Goeth lieferte. Als innerlich zerrissener Psychopath Francis Dolarhyde erzeugt er in verhältnismäßig wenigen Szenen beim Kinobesucher die richtige Mischung aus Furcht, Entsetzen, aber auch Mitleid für die Situation seiner Figur. Aufgrund seiner Leistung erscheint Dolarhyde facettenreicher und realer als der Killer aus Das Schweigen der Lämmer.
Reba McClane wird von Emily Watson dargestellt. Das Drehbuch bzw. die Geschichte erlauben ihr zwar keine umfassende Entwicklung. Trotzdem ruft sie beim Zuschauer sofort Sympathie und einen Beschützerinstinkt hervor, und da man – im Gegensatz zu Reba – schon das wahre Wesen von Dolarhyde kennt, empfindet man umso mehr Unbehagen.
Besonders erwähnen möchte ich noch Philip Seymour Hoffman als schmierigen Sensationsreporter Freddy Lounds, der mich trotz eines nur recht kurzen Auftritts (seine Rolle wurde gegenüber der Romanvorlage verringert) wirklich beeindruckt hat.
Für die Kenner der Hannibal-Lecter-Reihe haben sich die Macher des Film außerdem ein paar Leckerbissen einfallen lassen: Nette kleine Kurzauftritte von bekannten Schauspielern überwiegend aus Das Schweigen der Lämmer verleihen Roter Drache einen inneren Zusammenhalt. Zum Beispiel ist der farbige Wächter Lecters, Barney (Frankie Faison), zu sehen und Anthony Heald darf erneut den unsympathischen Dr. Frederick Chilton zum Besten geben. Umso verwunderlicher ist es, dass die Rolle des Jack Crawford diesmal von Harvey Keitel verkörpert wird. Keitel ist unbestritten ein guter Darsteller, trotzdem hat mir Scott Glenn in Das Schweigen der Lämmer besser gefallen.

Obwohl ich zuerst Bedenken hatte, erweist sich Brett Ratner als hervorragende Wahl, den ersten Lecter-Roman filmisch umzusetzen. Die Inszenierung ist schnörkellos und sauber, ohne überflüssige technische Mätzchen. Kamera und Schnitt fangen das Geschehen besonnen, unaufdringlich und ohne Hektik ein. Zusammen mit dem gelungenen Score von Danny Elfman, der lediglich in ein oder zwei Szenen etwas zu laut erscheint, wird bei den Kinobesuchern Spannung erzeugt, die sicher mehr als einmal den Atem raubt. Die Inszenierung mag zwar nicht oscarverdächtig sein, erfüllt ihren Zweck aber vollauf. Und auf das kommt es bei einem guten Film letztendlich doch an.


Fazit:
Roter Drache ist kein Ausnahmethriller wie Das Schweigen der Lämmer. Nichtsdestotrotz bietet er hervorragende Unterhaltung mit zum Teil nervenzerfetzender Spannung.
Eine Menge Anspielungen machen den Film für Fans ohnehin zum Muss.
Sowohl der grandiose Prolog, als auch der Schluss schlagen die Brücke zu den anderen Teilen der Trilogie und geben dem Ganzen einen würdigen Abschluss.
Kurz: Absolut sehenswert und zusammen mit Insomnia [2002] ist Roter Drache ohne Frage einer der besten Thriller seit langem.