Poison - Eine Liebesgeschichte [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 19. Januar 2025
Genre: Drama
Originaltitel: Poison
Laufzeit: 86 min.
Produktionsland: Luxemburg / Niederlande / Deutschland
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Désirée Nosbusch
Musik: Fons Merkies, Laurens Goedhart
Besetzung: Tim Roth, Trine Dyrholm
Kurzinhalt:
Es ist für Edith (Trine Dyrholm) und Lucas (Tim Roth) ein schwerer Tag. Beide haben sich seit 10 Jahren nicht gesehen oder gesprochen, finden sich jedoch auf dem Friedhof ein, auf dem ihr Sohn Jacob begraben liegt. Es müssen Gräber verlegt werden und sie wollen erfahren, ob das ihres Sohnes ebenfalls darunter ist bzw. was als nächstes geschieht. Während sie auf die Friedhofsverwaltung warten, kommen Edith und Lucas ins Gespräch. Die Vertrautheit kehrt zurück, während sie sich höflich und freundlich einander annähern, da nicht nur die Jahre eine gewisse Distanz geschaffen haben. Doch dann fragt Edith Lucas, weshalb er sie damals verlassen hat und erzählt ihm davon, was sie seither durchgemacht hat. Während Lucas bemüht ist, trotz des Verlustes nach vorn zu blicken und irgendwann wieder glücklich zu werden, hat Edith nicht zuletzt der Umstand, dass er gegangen ist, bitter gemacht. So viel sie miteinander verbindet und so sehr sie sich entzweit haben, das nur intensiver werdende Gespräch könnte auch ein Anfang sein, dass sie beide nicht in eine gemeinsame, aber wenigstens zusammen in die Zukunft blicken …
Kritik:
Basierend auf Lot Vekemans’ gleichnamigem Theaterstück aus dem Jahr 2010 erzählt Désirée Nosbusch in ihrem Spielfilmregiedebüt ein Aufeinandertreffen eines geschiedenen Ehepaares, das sich 10 Jahre nicht gesehen oder gesprochen hat. Beide haben versucht, mit einem unvorstellbaren Verlust umzugehen, der sie untrennbar miteinander verbindet und doch entzweit hat. Poison - Eine Liebesgeschichte ist, anders als der Titel suggeriert, ein Drama, in dem sich die Figuren nicht nur einander, sondern auch sich selbst stellen müssen. Stark gespielt und behutsam erzählt.
Dass Lucas der Termin schwerfällt, ist ihm vom ersten Moment an anzusehen. Durch das kalte, windgepeitschte und regnerische Wetter begibt er sich zuerst an den Strand, vermutlich, um den Kopf freizubekommen. Sein Weg führt ihn zu einem Friedhof, wo er auf seine Ex-Frau Edith trifft. Die hat sich für den Tag krankgemeldet und fährt mit dem Fahrrad ebenfalls zum Friedhof, wo sie Lucas sieht und sich versteckt, in der Hoffnung, dass er sie nicht bemerkt. Doch sind sie beide dorthin gekommen, um zu besprechen, wie es mit dem Grab ihres Sohnes weitergeht, das nach Mitteilung der Friedhofsverwaltung verlegt werden soll. Während sie warten, beginnen sie ein Gespräch, das anfangs höflich und freundlich ist, ehe sie sich nach und nach dem nähern, was zuerst ihrem Sohn und dann ihnen selbst widerfahren ist.
Ein Jahrzehnt ist seit dem Verlust ihres Sohnes vergangen und ebenso viel Zeit, seit Lucas an einem Silvesterabend seine Sachen gepackt und Edith verlassen hat. Dennoch wirken sie anfangs vertraut miteinander, berühren sich und Edith meint sogar, sie sei froh, dass Lucas da ist. Doch schnell wird deutlich, dass die Gräben zwischen ihnen in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden sind. Nun, da Lucas vor ihr steht, will Edith wissen, weshalb er damals gegangen ist. Poison bringt diese zwei Charaktere zusammen, deren Welt in gewisser Weise nach dem Verlust ihres Sohnes aufgehört hat, sich weiterzudrehen, selbst wenn ihr eigenes Leben weitergeht. Sie können sich an jenen Tag und die Zeit danach erinnern, in zermürbenden Details, die sie nie vergessen werden, insbesondere Edith. Dazu gehört nicht nur der Schmerz des Verlustes ihres Kindes, sondern auch des jeweils anderen.
Beide versuchten und versuchen, auf ihre Weise damit umzugehen. Während sich Lucas bemüht, nach vorne zu blicken, jene Zeit in einem Buch zu verarbeiten und sich der Möglichkeit des Glücks nicht zu verwehren, will sich Edith ihre Trauer nicht nehmen lassen. Eine neue Familie kommt für sie ebenso wenig in Frage, wie sie glückliche Menschen um sich sehen mag. Ihre Bitterkeit erklärt Poison nicht nur aus ihrem Verlust, sondern aus der Tatsache, dass Lucas sie im Stich ließ, als er ging. Filmemacherin Nosbusch findet keine einfache Antwort auf die Frage, ob Eltern nach dem Tod eines Kindes wieder glücklich sollten – oder es überhaupt je können. Sie lässt das Publikum vielmehr daran teilhaben, wie zwei Betroffene versuchen, ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben. Entweder mit dem Blick nach vorn gerichtet, oder indem sie an dem festzuhalten versuchen, was sie verloren haben. Dabei ist Ediths Einstellung nicht so endgültig, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Ihre Dialoge wirken dabei wie ein beständiges Vor und Zurück. Nach einer intensiven Auseinandersetzung ziehen sich die Figuren zurück und nähern sich durch eine oberflächlich erscheinende Freundlichkeit wieder an, ehe die Themen wieder persönlich und mitunter auch verletzend werden. In anderen Dramen würden die Figuren schlicht aus dem Haus stürmen, doch hier sind Lucas und Edith gezwungen, zusammen zu warten, wenn sie erfahren wollen, ob das Grab ihres Sohnes von dem Umzug betroffen ist. So interessant und eindringlich dieser Aspekt Poison gestaltet, die ständig wechselnde Dynamik verhindert in gewisser Hinsicht, dass die Dramaturgie über die gesamte Laufzeit ansteigt. Es ist ein Auf und Ab, das merklich anstrengt, ohne dass es einem die Figuren spürbar näher bringt.
Die werden von Trine Dyrholm und Tim Roth gleichermaßen intensiv zum Leben erweckt. Zurückhaltend und vorsichtig zu Beginn, dann aufbrausend und verletzend, bis sie wieder eine Distanz und Objektivität einander gegenüber wahren. Entgegen des Titels ist Poison - Eine Liebesgeschichte jedoch genau das nicht, eine Liebesgeschichte. Es ist ein kammerspielartiges Drama, eine ergreifende Darstellung von Trauer, die einen vollständig erfasst und nicht mehr loslässt. Könnte es nach allem, was geschehen ist, eine gemeinsame Zukunft für Edith und Lucas geben? Und ist nach dem Verlust und den Verletzungen tatsächlich eine tiefe Liebe füreinander vorhanden, oder doch mehr ein freundschaftlicher Respekt, wenn die Enttäuschung irgendwann verarbeitet ist? Filmemacherin Désirée Nosbusch gibt darauf eine eindeutige Antwort, die sich nicht im Filmtitel widerspiegelt. Lässt sich das Publikum auf das ein, was hier erzählt wird, ist das sehenswert gespielt und mit Fingerspitzengefühl umgesetzt. Doch das macht es nicht einfacher, damit ein großes Publikum anzusprechen.
Fazit:
Kommen Lucas und Edith getrennt voneinander am Friedhof an und versucht Edith, unbemerkt zu bleiben, ahnt man bereits, dass diese zwei unterschiedlichen Charaktere eine gemeinsame Vergangenheit haben. Ihr Umgang miteinander ist anfangs unerwartet höflich und freundlich. Zumindest so lange, bis die Oberflächlichkeit ihrer Unterhaltung den Fragen weicht, die insbesondere Edith seit Jahren beschäftigen. Manche ihrer Gespräche sind unvermittelt intensiv und ihre Schilderung der letzten Momente mit ihrem Sohn ungemein bewegend. Berührend und stark gespielt, beweisen Trine Dyrholm und Tim Roth einen Abwechslungsreichtum, der stellenweise unter die Haut geht, mit Blicken, die mitunter wohlwollend, beinahe liebevoll sind, dann wieder voller Verachtung und angestautem Zorn, ehe sie dem weichen, was beide so lange beschäftigt: ein unermesslicher Verlust. Für ein ruhiges Publikum, das bereit ist, sich in die Lage dieser Figuren zu versetzen – in die man nie geraten möchte – lohnt Poison - Eine Liebesgeschichte auch dank der behutsamen Umsetzung, die den Beteiligten den Raum gibt, sich zu entfalten. Es fällt dennoch schwer, einen Zugang zu finden, da man kein Gefühl vermittelt bekommt, wie sie vor jenem schicksalshaften Tag gewesen sind und mit einer längerfristig aufgebauten Dramaturgie hätte dies vermutlich mehr packen können. Doch die Leistung der Beteiligten schmälert das nicht im geringsten und die Auflösung lässt einen zumindest ein wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.