Neues aus der Welt [2020]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Februar 2021
Genre: Drama / Western

Originaltitel: News of the World
Laufzeit: 118 min.
Produktionsland: USA / China
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Paul Greengrass
Musik: James Newton Howard
Besetzung: Tom Hanks, Helena Zengel, Michael Covino, Fred Hechinger, Neil Sandilands, Thomas Francis Murphy, Ray McKinnon, Mare Winningham, Elizabeth Marvel, Chukwudi Iwuji, Bill Camp


Kurzinhalt:

Im Jahr 1870 zieht der ehemalige Armee-Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks) durch das noch dünn besiedelte Nordamerika, um den Menschen in den einzelnen Ortschaften und Siedlungen die Nachrichten vorzulesen. Am Wegesrand findet er ein blondes Mädchen, das wie eine Ureinwohnerin gekleidet ist und die Sprache der Kiowa-Indianer spricht. Einem Brief kann Kidd entnehmen, dass das Mädchen Johanna (Helena Zengel) heißt und nach dem Tod ihrer Eltern bei Indianern aufgewachsen ist, aus deren Händen sie nun „befreit“ wurde. Widerwillig nimmt sich Kidd des Mädchens an und erklärt sich bereit, sie zu ihren nächsten Verwandten zu bringen. Aber nicht nur, dass böse Männer Interesse an dem Mädchen zeigen, der Weg führt Kidd und Johanna durch Gebiete, in denen kurz nach dem Bürgerkrieg weder Recht, noch Gesetz, sondern einflussreiche Tyrannen herrschen. Es ist eine gefährliche Route, die sie auf sich allein gestellt meistern müssen. Dabei zieht es Johanna zurück zu den Ureinwohnern und wirklich verständigen können Kidd und sie sich ebenfalls nicht …


Kritik:
Regisseur Paul Greengrass, bekannt für schweißtreibende Thriller wie Die Bourne Verschwörung [2004] oder Captain Phillips [2013], adaptiert mit Neues aus der Welt eine klassische Western-Geschichte, die in ihren Bezügen aktueller kaum sein könnte. Getragen von zwei beeindruckenden Darbietungen, bewegt sich das ruhig erzählte Drama auf bekanntem Terrain, fängt dabei aber die Atmosphäre jener „neuen Welt“ ebenso gekonnt ein, wie eine greifbare Beziehung zwischen ihren Hauptfiguren.

Basierend auf dem Roman News of the World [2016] von Autorin Paulette Jiles, beginnt Neues aus der Welt im Jahr 1870 in Wichita Falls, Nord-Texas. Fünf Jahre nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges, verdient der ehemalige Captain der Konföderierten Armee Jefferson Kyle Kidd seinen Lebensunterhalt damit, dass er durch das Land zieht und den verstreuten Siedlungen die Nachrichten vorliest. Eines Tages findet er ein blondes Mädchen, Johanna. Nachdem ihre ursprüngliche Familie ermordet wurde, ist sie bei den Kiowa-Indianern aufgewachsen, aus deren Händen sie aber nun „gerettet“ wurde. Als Waise soll sie quer durchs Land gebracht werden, um bei ihren nächsten Verwandten aufzuwachsen. Captain Kidd nimmt die Aufgabe auf sich, doch wie soll er dem Mädchen, das nicht einmal seine Sprache spricht, erklären, wie ihr geschieht? In ihren jungen Jahren wird sie zum zweiten Mal entwurzelt, hat bereits zwei Mal ihre Familie verloren. Sie ist gewissermaßen ebenso heimatlos wie er selbst.

Um zu verstehen, was Neues aus der Welt trotz der vertraut klingenden Geschichte besonders macht, muss man sich die Details ansehen, mit der Filmemacher Greengrass seine Figuren und die Story schmückt. Als Nachrichtenvorleser erfüllt Captain Kidd eine wichtige Rolle. Nicht nur, dass er Menschen in den entlegensten Gegenden am Geschehen im Rest Amerikas und der Welt teilhaben lässt, er bringt die Nachrichten zu all denen, die sie selbst gar nicht lesen könnten, wenn sie eine Zeitung in Händen halten würden. Seine Vorträge sind gut besucht, er selbst stets fein angezogen, sich der Verantwortung bewusst und die Nachrichten abgestimmt auf sein Publikum. Aber selbst, wenn er sich selbst dabei zurücknimmt, wenn er sieht, wie sehr die Nachrichten seine Zuhörerschaft aufwühlen im nach dem verlorenen Bürgerkrieg tief verletzten Texas, verlässt er die Rolle des Berichterstatters und wirkt beruhigend auf sein Publikum ein. Dabei findet er sich in derselben Situation wieder: Als Teil der Konföderierten Armee hat auch er den Bürgerkrieg verloren. Mehr noch, es hat ihn Beruf und Familie gekostet. Doch anstatt weiterhin wütend zu sein, die Nordstaaten für jeden Missstand verantwortlich zu machen, hat er sich arrangiert und einen Weg gefunden, weiterzumachen.

Neues aus der Welt spiegelt damit vor dem Hintergrund des Wilden Westens die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft, die sich 150 Jahre später immer noch in rote und blaue Bundesstaaten aufteilt, gelungen wider. Sieht man den Fremdenhass, der hier in Gewalt umschlägt, oder wie Despoten in autonom anmutenden Gegenden versuchen, die Nachrichten zu kontrollieren, um bestimmen zu können, was ihr Volk zu hören bekommt, damit es sich leichter lenken lässt, sind die politischen Anspielungen kaum zu übersehen. Und auf entwaffnende Weise treffend. Was für ein Charakter Captain Kidd ist, sieht man dabei gleich zu Beginn, wenn er den aus rassistischen Gründen ermordeten, schwarzen Fahrer, der Johanna zu ihren Verwandten bringen sollte, beerdigt. In den Rolle des in vielerlei Hinsicht desillusionierten Jefferson Kyle Kidd ist Tom Hanks erstklassig besetzt. Kein Schauspieler – derzeit oder in jüngster Vergangenheit – strahlt mehr Mitgefühl, Integrität und Güte aus. Sieht man, wie seine väterlichen Instinkte im Umgang mit Johanna geweckt werden, ist dies eine Paraderolle, die er nicht nur mit Bravour meistert, sondern sehenswert bereichert.

Für Staunen sorgt die zum Zeitpunkt des Drehs gerade einmal elfjährige deutsche Schauspielerin Helena Zengel, in deren Augen sich Johannas unermesslicher Schmerz, Trauer und Wut widerspiegeln. Ihr Blick vermittelt Erfahrungen, die für zwei Leben reichen. Es ist eine so eindrucksvolle wie eindringliche Darbietung.
Die gelungene Besetzung täuscht zwar nicht darüber hinweg, dass die Geschichte selbst nur wenige Überraschungen bietet, von dem Abschnitt bei dem unberechenbaren Despoten Farley einmal abgesehen. Ebenso wenig, wie die malerischen Landschafts- und Naturaufnahmen die teils offensichtlichen Trickeffekte in manchen Situationen ungeschehen machen. Die natürliche Lichtgebung, die Regisseur Paul Greengrass anstrebt, lässt die Momente authentisch erscheinen, doch von der eindrucksvollen Weitläufigkeit der Aufnahmen von Der mit dem Wolf tanzt [1990] oder Erbarmungslos [1992] ist er optisch weit entfernt. Sieht man Neues aus der Welt allerdings weniger als eine Nacherzählung jener Zeit, als ein Porträt der unseren vor jenem historischen Hintergrund, offenbaren sich neue Facetten des Dramas, die es mehr als wert sind, gesehen zu werden.


Fazit:
Die ruhige, zurückhaltende Inszenierung stellt einen großen Kontrast zu den zuletzt dokumentarisch, beinahe hektisch umgesetzten Filmen von Regisseur Paul Greengrass dar, der hier erneut Tom Hanks vor die Kamera bittet. Nicht nur auf Grund des Genres richtet er sich so an ein älteres, ruhigeres Publikum, das sich auf die Figuren einlässt und bereit ist zu erkennen, wie die Landschaft jenes Landes im Aufbruch seine Bewohnerinnen und Bewohner formt. Im gleichen Maße, wie dies anders herum ebenso der Fall ist. Der grausame Umgang der Menschen miteinander wird hier an einigen Stellen angedeutet, das Publikum damit aber nicht grafisch konfrontiert. Stattdessen konzentriert sich der Western auf zwei Darbietungen, die gleichermaßen beeindrucken. Hanks in einer väterlichen Rolle, die in seinem Blick doch verrät, was Jefferson Kyle Kidd verloren hat, und Helena Zengel als ein Mädchen, dem zum wiederholten Mal das Zuhause genommen wurde. Der Weg dieser so unterschiedlichen Figuren ist geprägt von vielen Gefahren, die jedoch zum großen Teil bekannt klingen. Auch die Tiefpunkte, die ihre Beziehung durchschreitet, wirken vertraut. Dennoch wird ihre Annäherung behutsam und nachvollziehbar geschildert, das Band, das sie verbindet greifbar. Neues aus der Welt mag inhaltlich wenig Unbekanntes entdecken, doch es ist ein handwerklich erstklassig umgesetztes, wundervoll zum Leben erwecktes Westerndrama. Die vielen sehenswerten Parallelen zur heutigen Zeit zeigen hoffnungsvoll, mit unverkrampft weisen Momenten, die Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft auf. Das besitzt nicht nur Charme und ist schön anzusehen, es ist gerade jetzt inhaltlich wichtig.