Mitternachtsspitzen [1960]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 01. Juni 2003
Genre: ThrillerOriginaltitel: Midnight Lace
Laufzeit: 110 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1960
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: David Miller
Musik: Frank Skinner
Darsteller: Doris Day, Rex Harrison, John Gavin, Myrna Loy, Roddy McDowall, Herbert Marshall, Natasha Parry, Hermione Baddeley
Kurzinhalt:
Kit Prestons (Doris Day) Hochzeit mit dem Industriellen Anthony Preston (Rex Harrison) liegt erst wenige Monate zurück, und das Paar ist eigentlich glücklich verheiratet, da wird die attraktive und von Haus aus wohlhabende junge Dame beim Spaziergang im Londoner Nebel von einem Unbekannten mit einer hochfrequenten Stimme bedroht. Er kündigt ihr an, sie noch vor Monatsende töten zu wollen.
Völlig aufgelöst wenden sich die Prestons bei Scotland Yard an Inspector Byrnes (John Williams), doch dort kann man nicht viel für die junge Frau tun. Schlimmer noch, der Verdacht drängt sich auf, dass Kit den unsichtbaren Mann nur erfunden hat, um von Tony mehr beachtet zu werden.
Doch die Einschüchterungsanrufe und -bedrohungen nehmen zu und Kit muss immer wieder auf die Hilfe des Bauleiters Brian Younger (John Gavin) zurückgreifen. Auch ihre kürzlich eingetroffene Tante Bea (Myrna Loy) versucht ihr zu helfen, doch gegen den Unbekannten scheint nichts zu helfen – und das Monatsende rückt immer näher ...
Kritik:
Doris Mary Ann Von Kappelhoff wäre kaum ein Name gewesen, den sich das Kinopublikum hätte gut merken können – Doris Day hingegen schon. Vor knapp zwei Monaten feierte die Sauberfrau Amerikas ihren 87. Geburtstag, doch auf der großen Leinwand war sie schon seit langem nicht mehr zu sehen.
1968 fand ihr letzter Auftritt statt, danach spielte sie kurz in einer nach ihr benannten TV-Serie mit und später trat sie in Biografien oder anderen Dokumentationen vor die Kamera. Ein ungewöhnlicher Schritt für eine solche Persönlichkeit, und doch irgendwie verständlich. Seit jeher war die Vegetarierin das Urmodell der perfekten amerikanischen Hausfrau, anständig, gutaussehend (aber nicht zu sehr) und immer bescheiden. Derzeit leitet sie das Doris Day Animal League, ein Tierheim, in dem Haustiere gepflegt und versorgt werden.
Eben diese Heimchenrolle des Unschuldslamms spielt sie auch in Mitternachtsspitzen, und nicht nur, dass sie nie in dem Film darüber hinauswächst, sie scheint es nicht einmal zu versuchen.
Freilich verkörpert Doris Day ihre Figur nicht schlecht, auch wenn sie in einigen Szenen mit ihren heulartigen Nervenzusammenbrüchen doch über das Ziel hinausschießt, doch man vermisst bei ihr die Aktivität. Altmeister Alfred Hitchcock porträtierte damals bereits starke Frauenpersönlichkeiten, beispielsweise in Marnie [1964], Vertigo - Aus dem Reich der Toten [1959] oder Bei Anruf Mord [1954], zu dem Mitternachtsspitzen starke Ähnlichkeiten aufweist.
Doch während die Regielegende Hitchcock zeigt, dass Frauen sich auch wehren und behaupten können, ergibt sich Kit Preston in ihr Schicksal und weidet sich von einem Tränenausbruch zum nächsten. Das geht einem als Zuschauer nicht nur mitunter auf die Nerven, sondern man fragt sich vor allem, wieso diese Frau nicht endlich in die Offensive gehen möchte, sondern sich buchstäblich von einem Eck' in ein anderes schubsen lässt.
Dies ist dann auch der Hauptkritikpunkt am Drehbuch, das zwar eine recht komplexe Hintergrundhandlung aufbauen möchte, daran jedoch nicht in letzter Konsequenz zu feilen scheint. So wird die Motivation des Mörders zwar angedeutet, doch als diese aufzufliegen droht, wird der Sub-Plot gar nicht weiterverfolgt. Hieraus hätte man gut und gerne eine Nebenhandlung konstruieren können, die einige Charaktere wieder als potentielle Täter ins Licht gerückt hätte. Denn das gibt es ebenfalls zu bemängeln: im Prinzip ist Midnight Lace, so der Originaltitel, nicht viel mehr als eine "Wer ist der Mörder?"-Geschichte. Doch während in anderen Filmen dieser Art zuerst die Verdächtigen präsentiert, dann einige ausgeschlossen werden und durch seltsame Umstände doch diese wieder in Verdacht geraten, gibt sich David Millers Mörderjagd zu geradlinig. Wer einmal als Täter ausgeschlossen ist, ist aus dem Schneider, man versucht gar nicht, ihn (oder sie) nochmals ins Licht zu rücken und verdächtig erscheinen zu lassen.
Die Auflösung ist dennoch überraschend geraten und wirkt durchdacht, ebenso wie die Ausgangslage, dass jemand Kit Preston durch ihre eigene Angst in den Wahnsinn treiben möchte.
Insofern ist das Drehbuch von Ivan Goff und Ben Roberts, basierend auf einem Theaterstück von Janet Green zwar routiniert gut geraten, lässt aber Komplexität und Tiefe vermissen.
Das Ensemble kann sich wirklich sehen lassen, an Doris Days Seite ist Rex Harrison als ihr charismatischer und sympathischer Ehemann zu sehen. Myrna Loy macht ihre Sache als Tante Bea ebenfalls gut und auch wenn die Auftritte von Roddy McDowall (bekannt als Cornelius aus Planet der Affen [1968]) recht kurz sind, er überzeugt genauso wie die restliche Besetzung.
John Gavin hat ebenfalls nur eine kleine Rolle, in Psycho [1960] war dagegen mehr von ihm zu sehen – interessant ist bei ihm auch, dass er nach George Lazenby für die Rolle des Geheimagenten James Bond vorgesprochen hatte.
Bei der Inszenierung geben sich die Macher ebenso viel Mühe; während großteils mit Licht und Schatten gespielt wird, weist besonders das Finale einige interessante Kamerafahrten und -perspektiven auf. Patzer hat sich Regisseur David Miller keine erlaubt. Ebenso wenig die Musik von Frank Skinner, die zwar den 60ern typisch mitunter etwas melodramatisch klingt, aber nie aufdringlich erscheint.
Doch der Knackpunkt des Films bleibt wohl die Hauptdarstellerin und ob man als Zuschauer ihre Gefühlsausbrüche abkauft, oder nicht. Doris Day meinte in ihrer Autobiographie, sie habe ihre Erinnerungen an ihren ersten Ehemann benutzt, der sie während ihrer Schwangerschaft missbrauchte, um die hysterischen Szenen zu spielen. Wer sich mit ihrer Figur hier abfinden kann, findet in Mitternachtsspitzen einen klassischen, zeitlosen und gut inszenierten Thriller vor, der mit der einen oder anderen Überraschung aufwarten kann und niemals langweilig wird.
Fazit:
Weder so fesselnd spannend wie Hitchcock, noch kriminalistisch so ausgefeilt wie Agatha Christie, obwohl von beidem etwas vertreten ist. Schauspielerisch ist der Film gut gelungen, die Inszenierung passt ebenso, doch die Story wirkt selbst für 1960 schon zu einfach erzählt und daran hat sich leider nichts geändert.
Recht spannend und vor allem unterhaltsam ist Mitternachtsspitzen dennoch geraten und wer einmal wieder Technicolorfarben sehen möchte und eine zeitlose Mode obendrein, der sollte einschalten – das späte 50er-Jahre Flair fängt der Film gut ein.