Like A Complete Unknown [2024]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. Januar 2025
Genre: Biografie / Drama

Originaltitel: A Complete Unknown
Laufzeit: 141 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: James Mangold
Besetzung: Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro, Boyd Holbrook, Scoot McNairy, Dan Fogler, Norbert Leo Butz, P. J. Byrne, Will Harrison, Eriko Hatsune, Charlie Tahan, Ryan Harris Brown, Eli Brown


Kurzinhalt:

Als der junge Musiker Bob Dylan (Timothée Chalamet) 1961 in New York City ankommt, ist er auf der Suche nach seinem Idol, dem Folk-Musiker Woody Guthrie (Scoot McNairy). Der ist von seiner Krankheit schwer gezeichnet, erkennt in dem jungen Mann vor ihm jedoch großes Potential. Ebenso ein Freund Guthries, der Folk-Sänger Pete Seeger (Edward Norton). Der entscheidet sich, Bob auf die Bühne zu holen und ihn damit einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Mit seinen Texten spricht der gerade einmal 20 Jahre junge Dylan die Menschen unmittelbar an und vermag, sie mitzureißen. Trotz seiner forschen Art bleibt seine Freundin Sylvie (Elle Fanning) bei ihm, selbst als sie spürt, dass sie ihn verliert. Das nicht erst dann, wenn die Folk-Sängerin und Bürgerrechtlerin Joan Baez (Monica Barbaro) in Bobs Leben tritt. Dylan ist darauf aus, seine Kunst zu entwickeln, sehr zum Missfallen seines Managers Albert (Dan Fogler) und den Organisatoren von Festivals, zu denen er eingeladen ist. Dabei ist er so vehement, dass er nicht nur seine Fans von sich stößt, sondern auch die Menschen in seiner unmittelbaren Nähe …


Kritik:
Wie ein guter Song bleibt James Mangolds Like A Complete Unknown lange bei einem, nachdem die Musik bereits aufgehört hat, zu spielen. Doch aus dem falschen Grund. Getragen von starken Darbietungen, einer tollen Atmosphäre und herausragenden Liedeinlagen, die von den Darstellerinnen und Darstellern selbst gesungen werden, vertieft das überraschend selektive Porträt die Figur im Zentrum kaum. Die Zeit mit ihr ist faszinierend und erstklassig zum Leben erweckt, doch wie wenig man überhaupt über sie erfährt, erschließt sich erst im Nachhinein.

Die Erzählung beginnt im Jahr 1961, als der damals 20jährige Robert Allen Zimmerman, später bekannt als Bob Dylan, nach New York kommt, um dort seine Zukunft in der Musik zu finden. Er sucht sein Idol auf, den einflussreichen Folk-Musiker Woody Guthrie. Der liegt, schwer an Chorea Huntington erkrankt, im Krankenhaus und kann nicht mehr sprechen. Bei ihm ist der ebenfalls berühmte Musiker Pete Seeger. Als Bob ein für Woody komponiertes Lied im Krankenhaus auf seiner Gitarre spielt, ist nicht nur der Schwerkranke sichtlich bewegt. Auch Pete erkennt, dass der junge Künstler ein ganz besonderes Talent hat. Darum verschafft er ihm eine Bühne und hilft so, eine unbeschreibliche Karriere in Gang zu setzen. Ein Plattenlabel wird auf Bob aufmerksam und nimmt ihn unter Vertrag. Zu Beginn soll er lediglich Folk-Coversongs singen, erst später werden seine eigenen Kompositionen zu Erfolgen. Der junge Sänger trifft neben der erfolgreichen Musikerin Joan Baez, zu der er sich ebenso hingezogen fühlt, wie andersherum, auf Sylvie und beginnt eine Beziehung mit ihr.

Was sie alle, insbesondere die Künstlerinnen und Künstler, verbindet, ist ihr Engagement für die Bürgerrechtsbewegung, die Umwelt und den Frieden in einer Zeit, in der nicht nur der Kalte Krieg die Vereinigten Staaten fest im Griff hat. Es sind Themen, die die Menschen bewegen und kaum jemand nimmt sie derart mit, wie der junge Bob Dylan, dessen Karriere beginnt, als sei er eine neue Generation an Folk-Sängern. Seine Ausstrahlung, seine Texte und Kompositionen ziehen die Menschen in den Bann, was auch seine Mentoren mitunter neidvoll anerkennen müssen. Diese geradezu magische Anziehung, die Bob Dylan auf die Menschen in seiner Umgebung entfaltet, fängt Like A Complete Unknown greifbar ein. Doch trotz seines unbestrittenen und unübersehbaren Talents, wirkt er selbst wie ein Rätsel. Er betrügt seine Freundin und spielt ihr etwas vor, lehnt gleichzeitig aber die Möglichkeit ab, eine langfristige Beziehung mit derjenigen Frau einzugehen, zu der er sich so stark hingezogen fühlt und mit der ihn augenscheinlich auch mehr verbindet. Ob dies ihrer Bekanntheit geschuldet ist, der er sich nicht unterstellen möchte, wird nie deutlich.

Filmemacher James Mangold deutet diesbezüglich auch keine Erklärung an nähert sich der Figur merklich wenig, die nach ein paar Jahren zu einer solchen Berühmtheit geworden ist, dass Bob sich abends nicht in eine Bar setzen kann, um andere Musiker zu hören, ohne dass er von Fans entdeckt wird. Stattdessen macht Like A Complete Unknown deutlich, wie sehr Bob Dylan jegliche Erwartung an seine Person verachtet. Sei es das Plattenlabel, das eine bestimmte Musikrichtung von ihm hören möchte, oder wenn er auf Veranstaltungen seine größten Hits spielen soll. Er widersetzt sich mit einer Vehemenz nicht nur allen Konventionen, sondern den Wünschen seiner Fans, dass er nicht nur sie, sondern auch die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung zunehmend verprellt.

Dem beizuwohnen, ist faszinierend, doch fühlt man sich, selbst wenn man sich in der Gesellschaft eines der prägendsten Musiker des 20. Jahrhunderts wähnt, als würde man dies wie die Menschen um ihn herum wahrnehmen, ohne tatsächlich zu verstehen, was in dem jungen Künstler vor sich geht. Dass man dennoch interessiert bleibt, ist unter anderem den erstklassigen Darbietungen geschuldet, von denen es viele hervorzuheben gilt. Angefangen von Elle Fanning, deren Verkörperung gerade dann unter die Haut geht, wenn Sylvie spürt, dass sie Bob verliert. Edward Norton ist großartig, ebenso Scoot McNairy in einer wortlosen Rolle. Boyd Holbrook erweckt in einigen Momenten Johnny Cash auf eine unnachahmliche Weise zum Leben. Über allen steht jedoch Timothée Chalamet, dessen Darstellung von Bob Dylan nicht nur in den Gesangseinlagen vollkommen verblüfft. Sein Auftreten, sein Charisma und seine Widerspenstigkeit lassen den Darsteller vollständig hinter der Rolle zurücktreten. Es ist eine preiswürdige Leistung, die man kaum genug unterstreichen kann.

Regisseur Mangold nutzt all dies, um jene so prägende Zeit in den frühen 1960er-Jahren auf greifbare Weise zum Leben zu erwecken. Die vielen Songs sind nicht nur herausragend vorgetragen, sondern die Auftritte auf eine Weise in Szene gesetzt, dass am Blick des Publikums, der Stimmung im Raum oder der Beleuchtung allein zu spüren ist, welche Wirkung die Worte des späteren Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan auf sein Publikum haben. Ob er sie damit aufbaut und mitreißt, oder zum nachdenken anregt bzw. in eine tiefe Melancholie stürzt. Fantastisch ausgestattet und wohl überlegt umgesetzt, ist Like A Complete Unknown beeindruckend in vielerlei Hinsicht. Doch bleibt der Künstler im Zentrum am Ende ebenso unbekannt, wie zu beginnt. Über seine Kindheit oder seinen späteren Werdegang erfährt man ebenfalls schlicht gar nichts. Vielleicht muss man solche Ikonen aber auch nicht wirklich verstehen. Womöglich reicht es aus, dass man Zeit in ihrer Nähe verbringen durfte und durch sie inspiriert wird.


Fazit:
Zu sehen, wie Bob Dylan mit der richtigen Mischung aus Charisma, seiner Akustik und den passenden politischen Themen die Menschenmassen mitreißt, ist geradezu ansteckend. Allein die Songs der ersten 20 Minuten lohnen diesbezüglich bereits das Ticket und die Zeit. Letzten Endes stellt Filmemacher James Mangold den zeitlosen Musiker als jemanden vor, der auf der Bühne bei einem Festival einen Kampf darüber ausfechtet, ob ein Künstler die Erwartungen des Publikums erfüllen muss, oder seine Kunst einfach auslebt, wie er es für richtig hält. Damit verprellt er wenigstens die Hälfte seiner Zuhörerschaft, um sich seine Unabhängigkeit zu bewahren. So ist Bob Dylan, dem man seinen Lebensstil mit der Zeit merklich ansieht, hier am Ende keine einfache oder einfach zu beschreibende Figur. Auch wirkt er, obwohl er den Menschen mit seinen Liedern aus der Seele spricht, unnahbar und ablehnend. Preiswürdig gespielt, mit tollen Songs unterlegt und geradezu klassisch, erstklassig gefilmt, bietet Like A Complete Unknown dem Publikum eine Möglichkeit, die Musik-Ikone so kennenzulernen, als wäre man damals dabei gewesen. Schlauer wird man aus ihr deshalb nicht, aber als Anerkennung für jemanden, der alle Erwartungen unterläuft, ist das überaus gelungen. Selbst wenn die Erwartungen an ein Porträt damit nicht erfüllt werden.