Freud – Jenseits des Glaubens [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 29. Oktober 2024
Genre: DramaOriginaltitel: Freud’s Last Session
Laufzeit: 108 min.
Produktionsland: Irland / Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Matt Brown
Musik: Coby Brown
Besetzung: Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries, Jodi Balfour, Jeremy Northam, Orla Brady, George Andrew-Clarke, Rhys Mannion
Kurzinhalt:
Nachdem er zuvor bereits mit seiner sich aufopferungsvoll um ihn kümmernden Tochter Anna (Liv Lisa Fries) aus Wien geflohen war, wird der todkranke Psychoanalytiker Sigmund Freud (Anthony Hopkins) Anfang September 1939 in London Zeuge des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Zu jener Zeit bittet Freud, der sämtliche Religion als märchenhaftes Hirngespinst ablehnt, einen Gelehrten der Universität von Oxford für ein Gespräch zu sich – C. S. Lewis (Matthew Goode), dessen Bücher ihm bereits große Aufmerksamkeit bescherten und der mit anderen bekannten Schriftstellern in England bestens vernetzt ist. Lewis hatte sich einst von der Religion abgewandt, dann jedoch zurückgefunden und gilt seither als populärer Befürworter der Kirche Englands. Seine religiösen Ansichten prägen auch seine Werke. Es ist eine Wandlung, die der Atheist Freud, der immer stärkere Mittel gegen seine Schmerzen nehmen muss, nicht nachvollziehen kann. In ihren intensiven Gesprächen blicken sie in ihre Kindheit zurück, tauschen sich zu Fragen über Liebe, den Glauben und den Weg der Menschen aus, der wieder in die Dunkelheit zu führen scheint …
Kritik:
Matt Browns fiktives, wenn auch von wahren Ereignissen inspiriertes, Aufeinandertreffen des Begründers der Psychoanalytik, Sigmund Freud, mit dem einflussreichen britischen Autor C. S. Lewis in Freud – Jenseits des Glaubens ist gleichermaßen Gedankenspiel wie Gedankenaustausch. Worüber würden sich zwei so gebildete und angesehene Menschen nur wenige Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in London angesichts ihrer so unterschiedlichen Glaubensauffassungen unterhalten? Das Ergebnis ist interessant und in gewisser Hinsicht erleuchtend, nimmt aber nie mit.
Am 3. September 1939, zwei Tage, nachdem Nazideutschland Polen überfallen und den Zweiten Weltkrieg begonnen hat, lädt der sterbenskranke Psychologe und Religionskritiker Freud den in Oxford als Professor dozierenden Autor Lewis zu einem Gespräch. Der in Irland geborene und getaufte Lewis hatte sich lange vom Glauben losgesagt, fand jedoch Anfang 30 nicht nur zum Anglikanismus, sondern wurde durch seine vom Glauben inspirierten, erfolgreichen Werke zu einem der bekanntesten Fürsprecher der Kirche Englands sowie des christlichen Glaubens auf der Insel. Für Freud, der jeden Glauben als Lüge verteufelt und Religion als Märchen verspottet, ist Lewis ein Mysterium. Wie kann jemand, der die Wahrheit erkannt hat, erneut dem Irrglauben verfallen?
Es ist eine Frage, der sich Freud öfter zu nähern versucht, sie aber nie beantwortet. Stattdessen widmet sich das Dialogdrama dem Titel gebenden Arzt und stellt ihn in seinen letzten Wochen als einen unnachgiebigen, hochintelligenten Mann voller Widersprüche vor. Beispielsweise ist das Arbeitszimmer des Ungläubigen mit Statuen von Gottheiten und religiösen Figuren übersät. Der Psychoanalytiker erkennt darüber hinaus nicht, welchen Einfluss er auf seine eigene Tochter hat, die er auf eine geradezu unnatürliche Art und Weise für sich einnimmt. Anna Freud, zu dem Zeitpunkt bereits 43 Jahre alt und als Lehrende an der Universität tätig, widmet ihr Leben aufopferungsvoll ihrem Vater. Der schickt nach ihr, von Schmerzen geplagt, als wäre sie seine Dienerin und nicht seine Tochter. Gleichzeitig verzichtet sie, aus Rücksicht auf ihn, auf eine Beziehung. Der Arzt, der dadurch weltberühmt wurde, dass er die dunkelsten Seiten anderer aufdecken konnte, erkennt seine eigene Egozentrik und seine pathologische Wirkung auf diejenigen in seinem Umfeld nicht.
Spät kehrt Filmemacher Matt Brown die Situation zwischen Freud und Lewis um, dem Arzt und seinem „Studienobjekt“, und lässt Lewis bohrende Fragen stellen, die Freuds Charakter offenlegen. Doch so aufschlussreich dies ist, es ist nur ein kurzer Moment. Bis dahin unterhalten sich die beiden Gelehrten über das Wesen des Menschen, den Sinn oder Unsinn des Glaubens. Freud wirft einen Blick in die Kindheit und die Erlebnisse von C. S. Lewis, der sein Trauma aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges nie überwunden hat. Aber auch in Sigmund Freuds Vergangenheit, wenn er sich an seine Erfolge erinnert, oder Menschen, die ihm entrissen wurden. Was klingt, als sei es eine Biografie der historischen Persönlichkeit, ist dennoch nur ein kurzer Abriss aus dem Leben des in Österreich geborenen Freud, der 1938 erst, nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich, nach London ins Exil ging.
So hört sich die Geschichte an wie ein reger Austausch zweier kluger Köpfe mit gänzlich unterschiedlichen Ansichten und sieht man Freud – Jenseits des Glaubens als genau das, hält das Drama einige überaus geschliffene Dialoge bereit, die insbesondere von Anthony Hopkins preiswürdig dargebracht werden. Er bringt die Neugier Freuds greifbar zum Ausdruck, C. S. Lewis und seine Wandlung in Glaubensfragen zu verstehen. Aber auch seine Wut und Herablassung gegenüber denjenigen, die nicht seiner Auffassung sind. Die stärksten Momente sind jedoch diejenigen, in denen Sigmund Freud spürbar am Verzweifeln ist angesichts der Verluste, die er erlitten hat und seiner persönlichen Situation.
Für ein Publikum, das bereit ist, sich hierauf einzulassen, hält das kammerspielartige Drama einige überaus gelungene Momente und eine Darbietung im Zentrum bereit, die durchaus faszinieren, aber nie den Kern der Figuren tatsächlich ergründen. „Sexualität ist der Brunnen allen Glücks“, sagt Freud hier und es sind Sätze wie dieser, die man gemeinhin mit seinem Schaffen verbindet. Doch hierauf konzentriert sich das Drehbuch ebenso wenig, wie auf eine Nachzeichnung seines Werdegangs. Auch C. S. Lewis bleibt, ungeachtet der Rückblicke und dass Freud mehr Zeit mit seiner Beleuchtung als derjenigen der Titelfigur verbringt, merklich blaß. Dabei würde man sich wünschen, mehr über den Psychologen und seinen Werdegang zu erfahren. Doch auch hier greift das Porträt dieser zwei so unterschiedlichen Männer merklich kurz. Das bedeutet nicht, dass ihre Dialoge nicht unterhalten könnten. Ganz im Gegenteil. Doch der Erkenntnisgewinn am Ende dieser Zusammenkunft ist spürbar überschaubar.
Fazit:
In einer Welt, die zum zweiten Mal innerhalb einer Generation einen verheerenden Krieg erlebt, gibt es diejenigen Menschen, die ihre Hoffnung in die Vernunft der Spezies legen und solche, die angesichts der ungewissen Zukunft göttlichen Beistand erbitten. Es ist ein ebenso tragischer wie passender Hintergrund für diesen Gedankenaustausch, in dem vordergründig zwei weitere Fragen dieser unterschiedlichen Charaktere im Raum stehen. Einerseits, weshalb C. S. Lewis zum Glauben zurückfand und er diesen angesichts des Zustandes der Welt nicht verliert, sowie andererseits, ob Sigmund Freud im Angesicht seines sicheren Todes an seiner Überzeugung festhält, oder doch noch zum vermeintlichen Seelenheil der Religion findet. Insbesondere die erste Frage wird aufgeworfen, doch bleibt Filmemacher Matt Brown eine eindeutige Antwort schuldig. Spät erst greifen die mitunter pointierten Dialoge das Thema auf, das man mit Freud gemeinhin verbindet: Sex. Insgesamt widmet sich das Drama mehr dem Titel gebenden Freud, als Lewis, über den man jedoch gefühlt mehr erfährt. Stark gespielt, insbesondere von Anthony Hopkins, fehlt es Freud – Jenseits des Glaubens dennoch an einem Ziel. So interessant die Gespräche sind, sie laufen auf keine Auflösung hinaus. Selbst ein ruhiges Publikum wohnt hier bei, ohne wirklich mitgenommen zu werden. Das ist in gewisser Hinsicht eine verpasste Chance.