Die Welle [2008]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 09. April 2008
Genre: DramaLaufzeit: 107 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2007
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Dennis Gansel
Musik: Heiko Maile
Darsteller: Jürgen Vogel, Frederick Lau, Max Riemelt, Jennifer Ulrich, Christiane Paul, Elyas M'Barek, Cristina do Rego, Jacob Matschenz, Maximilian Vollmar, Max Mauff, Ferdinand Schmidt-Modrow, Tim Oliver Schultz, Amelie Kiefer
Kurzinhalt:
Es beginnt als Unterrichtsthema der Projektwoche in der Klasse von Lehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel), dem die Schüler sagen, so etwas wie das Dritte Reich wäre heute nicht mehr möglich. Um seinen Schülern zu zeigen, wie ein faschistisches System funktioniert, etabliert er am ersten Tag einfache Grundregeln und bittet seine Schüler, sie zu beachten. Als seine Schüler das Experiment besser annehmen, als geplant, geht Wenger einen Schritt weiter und setzt der Bewegung, die sich wenig später selbst den Namen "Die Welle" gibt, Ziele und Leitsätze, eine Art Uniform und Verhaltensregeln zugrunde.
Aber während sich einzelne Schüler und Schülerinnen wie Karo (Jennifer Ulrich) von der "Welle" abkapseln, wodurch sie sich auch mit ihrem Freund Marco (Max Riemelt) entzweit, nimmt der Großteil der Klasse die neue Gemeinschaft außerordentlich gut an. Im Falle des bislang an der Schule ausgegrenzten Tim (Frederick Lau), der in der "Welle" endlich eine Zugehörigkeit empfindet, sogar zu gut. Schon bald entwickelt "Die Welle" ein Eigenleben, das sich Wengers Kontrolle entzieht – und als er die Gefahr erkennt, scheint eine Tragödie unausweichlich ...
Kritik:
Wenn überhaupt, dann ist es üblich, dass in Hollywood ausländische Themen und Romane adaptiert und als Kinofilm präsentiert werden. Im Fall von Die Welle allerdings schlugen deutsche Filmemacher einmal einen anderen Weg ein. Im April 1967 unternahm ein Lehrer in den USA ein Experiment, in dessen Verlauf er bei seinen Schülern ein faschistisches System etablierte – das so subtil aufgebaut wurde und so schnell populär wurde, dass er alsbald die Kontrolle darüber verlor. Erst Jahre später wurde das Geschehen der breiten Öffentlichkeit zugänglich, im Roman Die Welle [1981] von Autor Todd Strasser (unter dem Pseudonym Morton Rhue) sogar weltweit publik und ist seitdem immer wieder Inhalt des Schulunterrichts.
Da aber gerade in Deutschland die Ideologien des Faschismus einen derart starken Zulauf widerfahren (sei es nun in der linken oder rechten Szene) und das trotz des vermeintlichen Bewusstseins dessen, was sich hierzulande vor gerade einmal 70 Jahren während des Dritten Reiches abspielte, scheint es nur angemessen, dass Regisseur Dennis Gansel den grundsätzlich amerikanischen Stoff für das deutsche Kino adaptiert und modernisiert. Und das gekonnt.
Für Verwunderung sorgt dabei lediglich die dem Film voran gestellte Behauptung, er wäre "nach einer wahren Begebenheit". Hegt man diesen Anspruch, sollte man auch darum bemüht sein, das Gezeigte dem wirklichen Hintergrund so nahe wie möglich kommen zu lassen. Doch stattdessen wurden Namen, Zeiten und Schauplätze geändert, die Geschichte lehnt zwar mitunter deutlich aber immer noch nicht akribisch an den veröffentlichten Tatsachen und nicht zuletzt wurde das Ende modernisiert und um einen wirkungsvollen Schockeffekt erweitert. Nah an den Tatsachen ist dies aber alles nicht und sollte somit nicht als Nacherzählung dessen gesehen werden, was sich vor 40 Jahren in den USA tatsächlich ereignete.
Verfasst von Regisseur Gansel und Peter Thorwarth (Bang Boom Bang - Ein todsicheres Ding [1999]), konzentriert sich das Drehbuch zu gleichen Teilen darauf, wie schnell und mit welchen Auswirkungen sich die neu in die Schüler eingeprägte Ideologie einer solchen Gemeinschaft ausbreitet, und inwieweit es die Personen selbst verändert. Dabei findet sich im Skript sowohl für die breite Masse, die sich dadurch manipulieren lässt ein Beispiel in Form eines Filmcharakters, doch auch die beiden Extreme sind vertreten. Einerseits jemand, der sich überhaupt nicht auf eine solche Uniformität reduzieren lässt, und jemand, der so viel neue Kraft aus dem Gemeinschaftssinn schöpft, dass er sich ein Leben ohne die Welle nicht mehr vorstellen kann.
Die Faszination von Seiten des Zuschauers ist insofern hin und her gerissen, zumal man gleichzeitig mit ansehen muss, wie Wenger selbst die Kontrolle über sein Experiment verliert – ohne dies selbst zu merken. Dank der natürlichen Dialoge, der gekonnten Milieustudien der einzelnen Figuren und den immer neuen Entwicklungen, die das Publikum in Atem halten, gibt sich die Vorlage zu Die Welle ebenso packend wie prägnant. Mehr hätte man kaum erwarten können.
Angeführt werden die Darsteller von einem charismatischen Jürgen Vogel, der es versteht, seine Figur ebenso im Zwiespalt über seine momentane Situation zu schildern, wie er auch der neu entgegen gebrachten Anerkennung gegenüber steht.
Eine große Überraschung ist Frederick Lau, der an sich nur als Nebendarsteller gehandelt wird, dabei am eindrucksvollsten zeigt, wie schnell und wie sehr sich diejenigen Menschen von einem solchen System beeinflussen lassen, die sich nun zum ersten Mal wirklich zugehörig fühlen. Er spielt intensiv und überzeugend – und wer dies missversteht hat den Film generell nicht verstanden.
Max Riemelt und Jennifer Ulrich machen ihre Sache ebenfalls sehr gut und halten sich im rechten Moment zurück, während sie in anderen Szenen mühelos die Geschichte weiter tragen. Auch Elyas M'Barek und Cristina do Rego enttäuschen nicht – sie runden zusammen mit der übrigen Besetzung einen Cast ab, der durch Christiane Paul als Wengers Ehefrau Anke nur noch veredelt wird. Sie hat zwar nicht so viele Szenen zu spielen, bildet zu Vogel aber einen angenehmen Gegenpol, der die Geschichte im Gleichgewicht hält.
Handwerklich braucht sich Regisseur und Co-Autor Dennis Gansel nicht vor seinen Kollegen aus den USA zu verstecken und es würde einen wundern, wenn er nicht alsbald ein Gastspiel in Hollywood absolvieren würde.
Bisher bekannt durch Filme wie Mädchen, Mädchen [2001] oder zuletzt NaPolA [2004] beweist Gansel eindrucksvoll, dass er es sowohl versteht, seinen bisweilen sehr jungen Darstellern Höchstleistungen abzuverlangen, die trotz der gestellten Situationen immer noch sehr natürlich wirken, und andererseits das Geschehen mit Kamerafahrten und interessanten Schnittfolgen immer spannend zu halten. Dabei setzt er zwar oftmals auf Handkameras, ohne allerdings den Überblick zu verlieren, oder das Geschehen zu sehr zu verwackeln. Auch zieht er das Erzähltempo in den richtigen Momenten und gönnt seinen Zuschauern zum rechten Zeitpunkt Ruhephasen, um sich von den vielen visuellen Eindrücken zu erholen.
So macht Die Welle einen versierten und routinierten Eindruck und bleibt doch ansprechend, ohne zu sehr auf die Generation MTV abzuzielen. Dass Gansels Inszenierung deutlich besser ist als die von vielen modernen Fernsehproduktionen, ist an sich nicht aussagekräftig – dass sie aber ohne weiteres auf dem Niveau internationaler Filmproduktionen ist, hingegen schon.
Komponist Heiko Maile ist auch hierzulande weniger ein Begriff wie der Name der Band, deren Teil der ist. Nicht zuletzt wurde Camouflage durch "The Great Commandment" international berühmt, und Maile untermalt Die Welle wie auch seine bekannte Musik mit sphärischen Synthesizerklängen. Aber während die atmosphärische Gestaltung der Szenen wirklich gut gelungen ist, lässt die Musik ein wenig wiederkehrende Themen vermissen, beispielsweise auch für den Lehrer Wenger. Eine persönlichere Musik hätte sich angeboten.
Im Gegensatz zu Reinhold Heils und Johnny Klimeks Score zu One Hour Photo [2002], der ebenfalls nur aus Synthesizermusik besteht, lässt Mailes Soundtrack außerdem etwas an Spannung innerhalb des jeweils gespielten Themas vermissen. So gibt sich die Musik zwar stets passend und unterstützt die gezeigten Bilder, doch bleibt sie nicht im Gedächtnis.
Es ist erstaunlich, dass ein deutscher Film beim amerikanischen Independent-Filmfest Sundance Weltpremiere feiert. Umso erstaunlicher ist es, dass der Lehrer Ron Jones, der das Experiment 1967 unternahm, bei der Premiere sogar dabei war. Seine Meinung zum Film ist zwar nicht bekannt, doch genießt Die Welle bereits einen sehr guten Ruf und das zurecht.
Dank der wirklich sehr gut ausgewählten Darsteller, der packenden Erzählung und der mitunter sehr subtil eingebrachten Veränderungen, die die Mitglieder der Welle erfahren, bleibt der Film auch für diejenigen interessant, die den Stoff bereits kennen. Die Milieustudie ist stellvertretend für die viele Jugendliche heutzutage und glücklicherweise frei von vielen Klischees. Zwar hätte man auf manch sehr moderne Musikeinlagen getrost verzichten können und auch die Veränderungen an Lehrer Wenger hätte man ausgiebiger herausstellen können. Doch schmälert das nicht den Erfolg der Produzenten, einen der wichtigsten und aussagekräftigsten deutschen Kinofilme der letzten Jahre auf die Beine gestellt zu haben. Man kann nur hoffen, dass er sich auch international bewähren wird. Und dass die Zuschauer daraus lernen.
Fazit:
Gekonnt verzichtet Regisseur Gansel darauf, dem Zuschauer mit erhobenem Zeigefinger begreiflich zu machen, wie schlecht und offensichtlich Faschismus ist. Stattdessen lässt er einen beobachten, wie das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Bewunderung und Anerkennung die Menschen auf verschiedenste Weise beeinflusst. Das sind zwar keine neuen Erkenntnisse, doch sind die nichtsdestoweniger wichtig und sollten in jeder Generation neu gelernt werden.
Dank der exzellenten Darsteller, angeführt von einem tadellosen Jürgen Vogel und einem beängstigend natürlich agierenden Frederick Lau, einer makellosen Regie und einer Atmosphäre, die einem insbesondere beim Finale die Nackenhaare aufstellt, repräsentiert Die Welle derzeit das Beste, was das deutsche Kino zu bieten hat. Und das braucht sich vor Hollywood nicht zu verstecken.
Sehenswert – und pädagogisch wertvoll.