Die wandernde Erde [2019]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. Mai 2019
Genre: Science Fiction / Action / Drama

Originaltitel: Liúlàng Dìqiú
Laufzeit: 125 min.
Produktionsland: China
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Frant Gwo
Musik: Roc Chen, Liu Tao
Darsteller: Jing Wu, Chuxiao Qu, Guangjie Li, Man­‑Tat Ng, Jin Mai Jaho, Mike Kai Sui, Hongchen Li, Jingjing Qu, Yichi Zhang, Haoyu Yang, Zhigang Jiang, Huan Zhang, Jiayin Lei, Arkadiy Sharogradskiy


Kurzinhalt:

In naher Zukunft droht die Sonne zu erlöschen und alles Leben im Sonnensystem unmöglich zu machen. Aus diesem Grund schließen sich die Regierungen der Welt zusammen und starten Projekt „Wandernde Erde“. Mithilfe von riesigen Triebwerken soll die Erde aus der Umlaufbahn und aus dem Sonnensystem befördert werden. Die Erdoberfläche wird während der tausende Jahre umspannenden Reise unbewohnbar, weshalb die Menschen in unterirdischen Städten leben. Um das Sonnensystem zu verlassen, benötigt die Erde die Gravitationskräfte des Jupiter. Während Astronaut Liu Peiqiang (Jing Wu) mit Kosmonaut Makalov (Arkadiy Sharogradskiy) auf der vor der Erde fliegenden Raumstation die Reise überwacht, verursacht die Anziehungskraft des Jupiter schwere Katastrophen auf der Erde, durch die die Triebwerke ausfallen. Wenn es Liu Qi (Chuxiao Qu), Wang Lei (Guangjie Li) und den anderen nicht gelingt, die Erde aus der Anziehungskraft des Jupiter zu befreien, wird die wandernde Erde auf den Gasriesen stürzen und die Menschheit für immer vernichtet werden …


Kritik:
Mit Die wandernde Erde stellt China die erste eigene Science Fiction-Film-Produktion basierend auf der preisgekrönten, gleichnamigen Novelle von Liu Cixin aus dem Jahr 2000 vor und orientiert sich dabei an Hollywood-typischen Katastrophenfilmen, in denen die Rettung der Welt in den Händen einer Handvoll Helden liegt. Als mit Abstand erfolgreichster Film des Jahres im Land der aufgehenden Sonne, mit einem bisherigen Einspielergebnis von beinahe 700 Millionen Dollar, umgibt die Veröffentlichung beim Streaming-Dienst Netflix ein immenser Hype. In einer Laufzeit von nur zwei Stunden versucht Filmemacher Frant Gwo eine Geschichte zu erzählen, die auf Grund der vielen Figuren und Zusammenhänge besser in das Format einer Mini-Serie gepasst hätte. Herausgekommen ist ein Film, der so verwirrend und konfus geraten ist, dass er damit manchen Hollywood-Vorbildern unzweifelhaft und wenig schmeichelhaft Konkurrenz macht.

Dabei klingt die Geschichte – so absurd sie unzweifelhaft ist – aus Sicht von Science Fiction-Fans nicht uninteressant: In Knapp 40 Jahren wird die Sonne sich zunehmend in einen Roten Riesen verwandeln, der alles Leben auf der Erde und später im ganzen Sonnensystem unmöglich machen wird. Statt die Menschen mit vielen Raumschiffen zu evakuieren und auf einem entfernten Planeten neu anzufangen, hat sich die Vereinigte Regierung Erde (UEG) auf eine kühne Mission eingelassen. Die Erde selbst wird mit 10.000 Triebwerken ausgestattet und soll als Ganzes in ein mehr als vier Lichtjahre entferntes Sonnensystem transportiert werden. Die Reise wird 2.500 Jahre dauern. Da der Planet die gewohnte Umlaufbahn verlassen hat, sinken die Temperaturen auf der Oberfläche unter ‑80° C. Dreieinhalb Milliarden Menschen wurden in riesige Stätte unter der Oberfläche evakuiert; sie sollen das Überleben der Menschheit sichern. Das Projekt „Wandernde Erde“ muss aber zuerst das Sonnensystem verlassen, wofür man die Anziehungskraft des Jupiter nutzen will. Doch es hat den Anschein, als hätte man sich verrechnet und die Erde droht, auf den Jupiter selbst zu stürzen.

Wie bereits gesagt, die Ausgangslage klingt schlicht absurd, aber das bedeutet nicht, dass es keine Möglichkeit gäbe, unvergleichliche Bilder und eine packende Geschichte zu präsentieren. Ersteres gelingt Die wandernde Erde mitunter durchaus. Letzteres zu keinem Moment. Der Film setzt circa 15 Jahre nach Beginn der Mission an. Hauptfiguren sind Astronaut Liu Peiqiang, der auf der Raumstation, die vor der wandernden Erde durchs All fliegt, dafür sorgen soll, dass keine unvorhergesehenen Hindernisse auftreten, sein Sohn Liu Qi, der auf der Erde ohne Vater aufwachsen musste, sein Großvater und seine Schwester. Hinzu kommen viele weitere Figuren, die nicht vorgestellt werden. Dass die Personen auf der Erde zu größten Teilen in Raumanzügen zu sehen sind, ohne dass man ihre Gesichter klar erkennen würde, macht es nicht einfacher, sie kennenzulernen. Zumal die Kamera sie nicht einmal zeigt, wenn sie sprechen. Die Stimmen zuzuordnen, die alle klingen, als wären sie im Studio aufgenommen, fällt nicht leicht, da eine räumliche Zuordnung nicht möglich ist. Zwar gibt es verschiedenfarbige Anzüge, rot, weiß und schwarz, die vermutlich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Militär, Techniker etc.) bedeuten sollen, doch das wird nie erklärt.

Auf Grund der Anziehungskraft des Jupiter kommt es auf der Erde zu schweren Beben, weshalb wiederum die Triebwerke ausfallen, die mit einem sogenannten „Zündkern“ betrieben werden. Die Helden auf dem Planeten müssen folglich den Zündkern zum Triebwerk bringen und es neu starten, um die endgültige Katastrophe abzuwenden. Dabei gibt es bei Die wandernde Erde beispielsweise eine Szene, in der ein Transport mit dem Zündkern eingeschlossen wird und das Gerät in einem vereisten Hotel nach oben transportieren muss. Was hier passieren soll, wird nie klar; manche Figuren sind bereits oben und seilen sich nach unten ab, manche sind unten und versuchen, nach oben zu kommen – man hat schlicht keinen Überblick, was wann wie und wo passiert. Dass am Ende nicht einmal zu sehen ist, wie der Zündkern einzusetzen ist, ist lediglich das Tüpfelchen auf dem i. Wenn eine Figur im Anschluss fragt, „Haben wir’s geschafft?“, dann nimmt sie dem Publikum die Frage aus dem Mund.

Als wäre diese Bedrohung nicht genug, wird ab der Hälfte zusätzlich noch eine „bösartige“ Künstliche Intelligenz im Stile von 2001 - Odyssee im Weltraum [1968] vorgestellt, deren Möglichkeiten ebenfalls nicht vollkommen vorgestellt werden. Dass die Figuren im Zeitpunkt ihres Todes aus dem Off Anekdoten erzählen, die ihre Charaktereigenschaften und ihren Werdegang beschreiben, ist symptomatisch für das Drehbuch selbst: Wenn man zuvor nichts über sie erfahren hat, berührt ihr Schicksal auch im letzten Moment nicht.
Dass die chinesischen Figuren bei Die wandernde Erde die Helden sind, während beispielsweise der Kosmonaut in seinen letzten Momenten nach seiner Mutter schreit (kein Scherz) und sich die Amerikaner lieber das Leben nehmen, wohingegen sich die Hauptfiguren gegen internationale Bedenkenträger durchsetzen und China damit als führende Weltmacht positioniert, ist kein Kritikpunkt im eigentlichen Sinn, aber arg dick aufgetragen. Störend ist jedoch das Frauenbild, das hier dargestellt wird. Von den zwei überhaupt mit einer wiederkehrenden Sprechrolle bedachten Frauen, reagiert eine kopflos und lebensmüde, die andere weinerlich panisch und unselbständig. Sie sind am Ende damit ebenso unsympathisch wie die Männer der Geschichte. So stellt sich die Frage, weshalb man diese Welt überhaupt retten sollte?


Fazit:
Die Musik, die sich ganz eindeutig an Hans Zimmers Dark Knight-Trilogie orientiert, macht ebenso wie die permanent wackelige Kamera deutlich, dass sich Filmemacher Frant Gwo von Hollywood-Erfolgen inspirieren ließ. Doch statt sich an gelungenen Katastrophenfilmen dieser Art ein Beispiel zu nehmen, zuerst die Figuren vorzustellen, anschließend ihren Plan und diesen dann auf mehreren Ebenen auszuführen, werden die Charaktere gar nicht präzisiert. Die Hauptfigur bezeichnet sich als Genie, will jedoch an eine todbringend kalte Oberfläche fliehen ohne Plan oder Vision. Selbst das Vorhaben der Helden wird mit so vielen Schnitten und Wechseln präsentiert, dass man auf den Schaubildern und Schemata nichts erkennen kann. Verkrampft witzige Elemente wie ein (vermutlich?) Ingenieur, der sich in den Helm eines anderen erbricht, den dieser dann aufsetzen soll, passen von der Stimmung her nicht zum Rest. Wenn beim Finale urplötzlich Personen verschüttet sind, die Sekunden zuvor noch frei umhergelaufen waren, wird nochmals deutlich, wie konfus und unnötig hektisch die Inszenierung geraten ist. Manche Bilder und Spezialeffekte sind unbestritten atemberaubend, doch mindestens ebenso viele sind auch sehr leicht als solche zu erkennen und stehen qualitativ mit denen von aktuellen Streaming-Produktionen nicht auf einer Stufe. Mit insgesamt acht Drehbuchautoren ist Die wandernde Erde, unabhängig von der absurden Ausgangsidee, jedoch erzählerisch ein solch vollkommener Schlamassel, dass einzig Jing Wu als Astronaut Liu Peiqiang positiv in Erinnerung bleibt.