Die Dolmetscherin [2005]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 02. Mai 2005
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: The Interpreter
Laufzeit: 128 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien / Frankreich
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Sydney Pollack
Musik: James Newton Howard
Darsteller: Nicole Kidman, Sean Penn, Catherine Keener, Jesper Christensen, Yvan Attal, Earl Cameron, George Harris, Michael Wright, Clyde Kusatsu, Eric Keenleyside, Hugo Speer, Maz Jobrani, Yusuf Gatewood, Curtiss Cook, Byron Utley


Kurzinhalt:
Schon seit einigen Jahren arbeitet die aus Afrika stammende Silvia Broome (Nicole Kidman) bei der UNO als Dolmetscherin. Als sie eines Abends, nachdem die übrigen Mitarbeiter das Gebäude bereits verlassen haben, noch etwas aus der Kabine des Ton-Meisters holen möchte, hört sie zufällig, wie zwei Männer die Ermordung von Dr. Zuwanie (Earl Cameron), Präsident des afrikanischen Staates Matobo, besprechen, der in der kommenden Woche vor die Generalversammlung treten und seine Politik – die einer ethnischen Säuberung gleicht – verteidigen will.
Doch der Secret Service, der für den Personenschutz von Staatsgästen verantwortlich ist, bleibt gegenüber Broomes Aussage skeptisch, und je tiefer Agent Tobin Keller (Sean Penn) in Silvias Vergangenheit forscht, umso undurchschaubarer wird die Situation. Dass allerdings tatsächlich ein Attentat geplant ist, wird schnell klar; trotzdem scheint Zuwanies Sicherheitschef Nils Lud (Jesper Christensen) angesichts der Lage nicht ernsthaft besorgt.
Während die verbleibenden Tage bis Zuwanies Ankunft in New York verrinnen, gerät Silvia in immer größere Gefahr – und Keller, der selbst mit privaten Problemen zu kämpfen hat, sieht sich einem weitreichenderen Komplott konfrontiert, als zunächst angenommen.


Kritik:
Am 26. Juni 1945 wurde die Charta der Vereinten Nationen von 50 Staaten in San Francisco unterzeichnet und trat im Oktober desselben Jahres in Kraft. Im Gegensatz zum Völkerbund, der den Vereinten Nationen vorausging, waren die Vereinigten Staaten von Amerika hier eines der Gründungsmitglieder.
Die Erfolge der UNO sind zahlreich, obgleich seit den 1990er Jahren einige Rückschläge und Korruptionsvorwürfe für größere Schlagzeilen sorgen. Die UNO wirkte unter anderem bei der Gründung des Staates Israel (1947-1949) mit, trug zur Lösung der Kubakrise 1962 bei und vermittelte bei der Beendigung des Krieges zwischen Irak und Iran (1988). Bereits 1948 arbeitete die UNO die Menschenrechte aus, war daran beteiligt, Krankheiten wie die Pocken auszurotten, und stellt mit ihrem Welternährungsprogramm jedes Jahr mehr als die Hälfte der geleisteten Nahrungsmittelhilfen.
Inzwischen gehören über 190 Staaten den Vereinten Nationen an und sind bemüht, den Frieden zu sichern, sowie Krankheiten und Armut zu bekämpfen. Doch als im Jahr 1994 im afrikanischen Ruanda bei einem Gewaltausbruch 800.000 Menschen der Volksstämme Hutu und Tutsi ums Leben kamen, die Soldaten der UNO aber aufgrund ihren geringen Anzahl und eines fehlenden offiziellen Mandats handlungsunfähig waren, blickten die Vereinten Nationen ihrer dunkelsten Stunde entgegen. Dieses Versagen sollte sich nicht wiederholen – und doch musste man tatenlos mitansehen, wie die USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 ihren Kreuzzug im Nahen Osten begannen, ohne dies mit der UNO zu koordinieren, beziehungsweise es auf ein entsprechendes Mandat zu stützen. Erneut wurde die Ohnmacht des völkerverbindenden Bundes – die daraus resultierte, dass nach dem Zusammenbruch des Ostblocks quasi kein Gegenpol zur alleinigen Supermacht USA mehr bestand – deutlich und für viele Menschen verlor die UNO damit ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität.
Dabei sind die Erfolge nicht zu vernachlässigen; und selbst wenn die UNO in den letzten Jahren (auch durch die enorme Anzahl ihrer Mitglieder) mit Entscheidungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte, verfassen die Drehbuch-Autoren von Die Dolmetscherin ein treffendes Plädoyer für den nach 60 Jahren immer noch gültigen Grundsatz der UNO, dass man mit Worten besser Konflikte lösen kann, als mit Waffengewalt. Bedenkt man außerdem, dass es auf Drängen der UNO immerhin gelang, die USA dazu zu bewegen, ihren Antrag auf eine Befreiung von Strafverfolgung ihrer Bürger durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zurückzuziehen, dann können die Vereinten Nationen in ihrem Handlungsrahmen so eingeschränkt gar nicht sein.

Einen Thriller vor dem Hintergrund des UN-Hauptquartiers in New York anzusiedeln, ist zweifelsohne ein riskantes Unterfangen, da man manche Zuschauergruppen dadurch verschreckt – andererseits wird dem Zuseher auf diese Weise ein kleiner Einblick in die Mühlen der UNO gewährt, den man so noch nicht gesehen hat. Zu verdanken ist das der Tatsache, dass die Macher die Genehmigung bekamen, tatsächlich an Wochenenden und abends in den realen Räumlichkeiten drehen zu dürfen (was anfangs gar nicht sicher war).
Wie die Drehbuch-Autoren darüber hinaus den Leitgedanken der UNO in ihre Story verwoben haben, ist wirklich lobenswert. Überraschend ist hierbei vor allem, dass die beiden Autoren, die die Story zum Film lieferten, nicht am eigentlichen Skript beteiligt waren und die drei Hauptautoren Charles Randolph, Scott Frank und Steven Zaillian zuvor nie zusammengearbeitet hatten. Dabei sind die letzten zwei keine Unbekannten im Filmgeschäft, während Frank für die Skripts zu Schnappt Shorty [1995] und Minority Report [2002] verantwortlich zeichnete, erhielt Steven Zaillian für seine Adaption von Schindlers Liste [1993] sogar den Oscar. So erstaunt es nicht, dass sich die Story von Die Dolmetscherin hauptsächlich an ein reiferes Kinopublikum richtet, das zudem gewillt sein muss, mitzudenken.
Die Geschichte entfaltet sich zwar relativ schnell, allerdings wird erst in der zweiten Film-Hälfte auf die eigentliche Eröffnungssequenz zurückgegriffen, die einen als Zuschauer schon insofern mitnimmt, als dass man hier auf der großen Leinwand das zu sehen bekommt, was man in Zeitungen immer wieder über die Konflikte in Afrika lesen muss, sich aber selten bildlich vorstellt. Deshalb bleibt das Grundthema der Autoren – die es geschickt verstehen, den Zuschauer mit einigen unerwarteten Wendungen beim Finale zu verblüffen – auch so aktuell wie eh und je und lässt sich auf jede andere Krisenregion der Welt übertragen. Das einzig Bedauernswerte dabei ist, dass gerade diejenigen Personen in der Politik, die mit Figuren wie Dr. Zuwanie angesprochen sind, den Film entweder überhaupt nicht sehen, oder nicht verstehen, worauf er abzielt.
Was einige Zuschauer dagegen kritisieren werden, ist von Regisseur Pollack und den Autoren offensichtlich beabsichtigt, denn bis auf wenige spannende Szenen erweist sich Die Dolmetscherin nicht als richtiger Thriller, sondern eher als Charakter-Drama mit Krimi-Elementen. Die Art und Weise, wie die Figuren Stück für Stück weiter beleuchtet, ihre Vergangenheit und ihre Beziehung untereinander entblättert wird, ist bemerkenswert, dennoch hätte man sich einen etwas mitreißenderen Aufbau gewünscht.
Das Drehbuch überzeugt sicherlich mit vielschichtigen und gut durchdachten Hauptfiguren, einer Reihe lebendiger und nicht unterforderter Nebencharaktere, sowie natürlichen und vor allem pointierten Dialogen, doch das erste Drittel lässt trotz einiger atmosphärischer Momente etwas an ausgefeilter Dramaturgie vermissen.

Wirklich zur Geltung kommen die Gespräche verständlicherweise erst durch die Darsteller, die hier allesamt sehr gut ausgewählt wurden und von zwei erstklassigen Akteuren angeführt werden. Nicole Kidman, die die Wunschbesetzung des Regisseurs gewesen ist und bereits zusagte, ohne das Drehbuch zu kennen, lässt durch ihr intensives Spiel das Charisma, allerdings auch die Verschlossenheit und innere Zerrissenheit ihrer Figur, die besonders beim Finale des Films zur Geltung kommt, spürbar werden. Dank Kidmans natürlicher Mimik geht sie voll in ihrer Rolle auf und besteht auch die Szenen mit ihrem Filmpartner Sean Penn (Mystic River [2003]), dem sie beinahe die Show stiehlt.
So wirkt Penn zwar seinem Charakter entsprechend ein wenig matt, und seine gefühlsbetonten Äußerungen im letzten Drittel scheinen ein wenig überzogen; aber mit seiner zurückhaltenden Art, dem durchdringenden Blick und seiner unverkennbaren Natürlichkeit in den Dialogen liefert er immer noch eine routinierte und gelungene Darbietung, die die übrigen Darsteller entsprechend anspornt.
Das erkennt man unter anderem an Catherine Keener, die nur einen kleinen Auftritt hat.
Von den Übrigen sticht unter anderem Hugo Speer in seiner kleinen Rolle als Silvia Broomes Bruder zu Beginn heraus.
Dass sich Regisseur Sydney Pollack, der ebenfalls einen Gastauftritt als Kellers Vorgesetzter genießt, nicht im Abspann auflisten lässt, verwundert etwas.
Außerdem erwähenswert ist der immerhin 88-jährige Earl Cameron, der mit seinem charismatischen Auftritt als Dr. Zuwanie einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Jesper Christensen, der im Film Zuwanies Sicherheitschef verkörpert, macht seine Sache nicht weniger gut und lässt die Zuschauer bis zum Schluss über Luds Absichten im Dunkeln.
An der restlichen Besetzung gibt es nichts auszusetzen; bis in die Nebenrollen agieren talentierte Akteure, die allesamt eine sehr gute Leistung abliefern.

Während Regisseur Pollack für den Schnitt erneut Cutter William Steinkamp verpflichtete, der bis auf wenige Ausnahmen bereits seit Tootsie [1982] an Pollacks Projekten beteiligt war, entschied er sich für einen Kamera-Mann, mit dem er bislang nicht gearbeitet hatte. Jedoch ist auch Darius Khondji kein Unbekannter, und bereits für die Bilder von Panic Room [2002] und Sieben [1995] verantwortlich – für seine Arbeit bei Evita [1996] wurde er gar für den Oscar nominiert.
Kein Wunder also, dass The Interpreter – so der Originaltitel – zu den bestfotografierten Filmen des bisherigen Kino-Jahres zählt. Sei es nun das bewusst langsame Scharfstellen bei Szenen-Wechseln, die Stadt-Aufnahmen aus der Luft oder die perfekte Choreografie bei der unzweifelhaft besten Sequenz des Films mit einem Linienbus – die Kamera fängt das Geschehen stets sehr ruhig und überlegt ein, wirkt nie zu hektisch oder verwackelt, und vermittelt bei den Momenten im Plenarsaal der UNO ein stimmiges Bild dessen, wie groß der Saal tatsächlich ist und wie viele Menschen darin regelmäßig tagen.
Mit malerischen, bisweilen vor der 2001 nachhaltig entstellten Skyline von New York aufgenommenen Bildern bringen die Macher auch das Gefühlsleben der Figuren gut zum Ausdruck, ohne je aufdringlich zu wirken. So mag man vielleicht die Dramaturgie des Drehbuchs kritisieren, handwerklich gibt es an Sydney Pollacks erster Regie seit sechs Jahren nichts besser zu machen.

Erwähnenswert ist außerdem, dass bei Die Dolmetscherin nicht Komponist Dave Grusin zu hören ist, der bereits häufig die Musik für Pollacks Werke beisteuerte, und dessen jazzige Vertonung von Pollacks Die Firma [1993] bei vielen Filmfreunden auf Ablehnung stieß.
Stattdessen übernahm James Newton Howard, der für seinen Score zu The Village – Das Dorf [2004] für den Oscar nominiert wurde und zuletzt im Kino mit Collateral [2004] vertreten war, diese Aufgabe. Zu Howards größten Erfolgen zählen unter anderem die Musik zur Kino-Version von Auf der Flucht [1993] oder dem Kevin Costner-Film Waterworld [1995], und auch in The Interpreter überzeugt er mit einigen sehr eingängigen Themen und wirklich sehr guten Spannungs-Cues, die vor allem in der zweiten Film-Hälfte zum Tragen kommen.
Zwar hält sich die Musik in der ersten Hälfte stark im Hintergrund und das afrikanische Element wirkt nicht vollständig in den Score verwoben, doch alles in allem ist Howard ein guter Soundtrack gelungen, der Fans trotz der atmosphärischen Stücke zu Beginn allerdings hauptsächlich aufgrund der kraftvollen Tracks wie "Guy Forgot His Lunch" und "Zuwanie Arrives at U.N." interessieren wird.

Wie manch andere Film-Produktionen zuvor hatten die Macher von Die Dolmetscherin bei der UN nachgefragt, ob es gestattet sei, innerhalb des Gebäudes zu drehen – und wie üblich wurde der Antrag zunächst abgelehnt. So begann die Film-Crew bereits, den Plenarsaal in einem Studio in Toronto nachzubauen, bis dann festgestellt wurde, dass es sehr kostspielig sein würde, gekrümmte Neonröhren wie diejenigen bei den Sitzen im Plenum herzustellen, was die Bemühungen der Verantwortlichen noch verstärkte, eine Dreh-Genehmigung zu erhalten. So traf sich Regisseur Sydney Pollack mit dem Generalsekretär der UN, Kofi Annan, persönlich und letztendlich durfte die Crew von April bis August 2004 an Wochenenden tatsächlich als erstes Filmteam überhaupt im Hauptsitz der UNO drehen.
Diese Genehmigung beinhaltete jedoch zusätzlich die Vereinbarung, dass der Film vollständig in New York mit Film-Crews aus New York gedreht werden musste. Um auch unter der Woche arbeiten zu können, wurden die Dolmetscher-Kabinen in einem Studio nachgebaut.
Lohn der Mühe ist überwiegend Kritiker-Lob und ein für diese Art Film (immerhin kostete die Produktion 80 Millionen Dollar) respektables Einspielergebnis. Dass die beiden Oscar-Preisträger über ein Drittel des Budgets als Gage bekamen, ist dem grundsätzlichen Erfolg allerdings sicher nicht zuträglich.

Verlässt man nach knapp zwei Stunden den Kino-Saal, stellt sich die obligatorische Frage, ob sich der Besuch denn gelohnt hat. Ein wenig Enttäuschung macht sich dann aber doch breit, immerhin hätte man bei dem Dreigespann Pollack, Kidman und Penn einen außergewöhnlichen Polit-Thriller erwartet.
Trotzdem ist The Interpreter ein sehr gut gespieltes und erstklassg gefilmtes Thriller-Drama, dessen Spannungshöhepunkte zwar ein wenig zu weit auseinander liegen, das dafür nichtsdestotrotz mit einer intelligenten – wenngleich nicht überaus komplexen – Story und pointierten Dialogen, sowie einer bemerkenswerten und vor allem wichtigen Aussage aufwartet. Etwas mehr wäre ohne Frage möglich gewesen, aber selbst in der vorliegenden Form ist Pollacks Regie-Arbeit ein durchaus gelungener, aber nicht herausragender Polit-Krimi, der in erster Linie ein reifes und besonnenes Publikum anspricht.


Fazit:
Dass man mit Nicole Kidman und Sean Penn in den Hauptrollen kaum etwas falsch machen kann, versteht sich von selbst. Und in der Tat ist es den beiden Akteuren und ihren äußerst überzeugenden Darbietungen zu verdanken, dass Die Dolmetscherin trotz der etwas mühselig in Fahrt kommenden Geschichte und einigen Kabbeleien zwischen den beiden Haupt-Charakteren zuviel, durchweg gefallen kann.
Dies ist auch ein Verdienst des kreativen Teams hinter der Kamera, denn sowohl Kamera und Schnitt, die mit wohl durchdachten und einfallsreichen Bildern, sowie einigen erstklassig-spannenden Sequenzen aufwarten können, als auch das Drehbuch mit den pointenreichen und anspruchsvollen Dialogen und der wissenswerten Grundaussage lassen die wenigen Kritik-Punkte schnell vergessen.
Regisseur Sydney Pollack gelingt mit seinem Film einerseits ein Plädoyer für die Macht der Verhandlungen gegenüber der Gewalt; andererseits wirft er einen interessanten Blick in das Innenleben der UNO und zeigt den Zuschauern Bereiche, die man ansonsten nicht zu Gesicht bekommt.
Für ein interessiertes, erwachsenes Publikum ist das durchaus empfehlenswert, solange man sich auf einen ruhigen, charakterbetonten Krimi und keinen actionreichen Thriller einstellt.