Die Bücherdiebin [2013]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Februar 2015
Genre: Drama / Kriegsfilm

Originaltitel: The Book Thief
Laufzeit: 131 min.
Produktionsland: USA / Deutschland
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Brian Percival
Musik: John Williams
Darsteller: Sophie Nélisse, Geoffrey Rush, Emily Watson, Nico Liersch, Ben Schnetzer, Barbara Auer, Rainer Bock, Oliver Stokowski, Levin Liam, Carina N. Wiese, Heike Makatsch, Hildegard Schroedter, Sandra Nedeleff, Roger Allam


Kurzinhalt:

Im Februar 1938 kommt das junge Mädchen Liesel Meminger (Sophie Nélisse) zu ihren Zieheltern Hans (Geoffrey Rush) und Rosa Hubermann (Emily Watson). Nachdem sie in der Schule dafür ausgelacht wird, dass sie nicht lesen kann, bringt ihr Hans mit einem Buch, das sie gestohlen hat, das Lesen bei. Bei der Frau des Bürgermeisters, Ilsa (Barbara Auer), findet sie Zugang zu einer von der Bücherverbrennung verschonten Bibliothek. Dies ist nicht das einzige Geheimnis, das sie vor ihrem besten Freund Rudy (Nico Liersch) hat: Jahrelang verstecken die Hubermanns in ihrem Keller den Juden Max (Ben Schnetzer) – doch je dichter das Kriegsgeschehen rückt, umso größer wird die Gefahr, in der die Hubermanns schweben ...


Kritik:
Durch die Augen eines Kindes erzählt Die Bücherdiebin von der Unterdrückung des freien Willens während des Nazi-Regimes in den Kriegsjahren in Deutschland. Dabei findet die Romanverfilmung eine vollkommen unerwartete Perspektive, durch welche die Gräueltaten nur angedeutet, aber nicht gezeigt werden. Ob sich die Thematik dadurch auch für ein sehr junges Publikum eignet, darf bezweifelt werden, für ältere Zuschauer ist Brian Percivals Film dagegen ein sehenswertes Lehrstück darüber, wie man sich seine Menschlichkeit bewahrt in einer Zeit, in der das Böse regiert.

Erzählt wird der Film von niemand geringerem als dem Tod, der kein gut oder böse kennt. Im Frühjahr 1938 kommt die junge Liesel zu ihren neuen Eltern Hans und Rosa Hubermann. Das ältere Ehepaar ist wie die meisten Familien verarmt und da Hans sich weigert, der Partei beizutreten, erhält er auch keine Arbeit. Kurz nach der Reichskristallnacht im November 1938 findet der Jude Max bei den Hubermanns Unterschlupf. Sein Vater hatte Hans im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet, woraufhin Hans der Familie seine Hilfe anbot. Die Zusammenhänge versteht Liesel nicht und Die Bücherdiebin erklärt sie auch nicht. Doch auch ihr ist schnell klar, dass die Nazis für das Böse stehen. Nicht einmal ihren besten Freund Rudy weiht Liesel bezüglich Max ein.

Aus heutiger Sicht scheint es einfach, diejenigen zu verurteilen, die dem Hass-Regime gefolgt sind, insbesondere wenn man sich den blinden Gehorsam bei der Bücherverbrennung ansieht. Wie komplexer die Situation ist, schildert der Film später, wenn Hans sich für einen Ladenbesitzer einsetzt und selbst ins Fadenkreuz der Obrigkeit gerät. Solche Facetten gewinnt Die Bücherdiebin vielen, scheinbar nebensächlichen Handlungssträngen ab, wie beispielsweise der Frau des Bürgermeisters, die an seiner Seite regimetreu erscheint, in ihrem Zuhause jedoch eine Bibliothek bewahrt, aus der sich Liesel Bücher ausborgt, um sie dem kranken Max im Keller der Hubermanns vorzulesen.

Unaufgeregt erzählt Brian Percival, wie Liesel in den Kriegsjahren bei den Hubermanns heranwächst, blickt hinter die schroffe Fassade der liebenswerten Rosa, schildert, wie ähnlich die mutige Liesel ihrem Ziehvater im Charakter ist und welche Opfer es sie kostet, Max bei sich zu verstecken. Gleichzeitig zeigt er auch, wie leicht es fällt, bestimmte Menschen wie Liesels Schulkamerad Franz zu indoktrinieren und wie schleichend bei den Kindern in der Bevölkerung ein Verständnis dafür ankommt, was ein Krieg tatsächlich bedeutet.

Dies gelingt der Bücherdiebin sowohl dank der bemerkenswerten Besetzung, angeführt von einem fantastischen Geoffrey Rush und einer nicht weniger warmherzigen, vielschichtigen Emily Watson, denen Sophie Nélisse in nichts nachsteht. Liesel wächst in einer Zeit heran, in der Mut und Uneigennützigkeit systematisch unterdrückt und im Keim erstickt wurde – und doch zeigt sie Mitgefühl und lässt sich ihre Mitmenschlichkeit nicht nehmen. Eine eigene Persönlichkeit entwickelt auch die zurückhaltende, grandiose Musik von John Williams, der der Geschichte eine Tragik ohne Rührseligkeit verleiht.

Sieht man sich an, was Percival zusätzlich zur tollen Inszenierung und einem schlicht nicht besser zu machenden Abschluss des Films alles gelungen ist, ist umso unverständlicher, was ganz offensichtlich misslingt: So ist der Film großartig gefilmt und tadellos ausgestattet, mit der Ausnahme, dass die Briefe, die Liesel verfasst, die Bücher, die sie liest und ihr Wörterbuch an der Wand im Keller allesamt in Englisch gehalten sind. Ebenso unverständlich ist, weswegen es zwei wichtige Szenen nicht in den Film geschafft haben. Darunter zum einen diejenige, in der Hans vor Liesels Schule Akkordeon spielt und der Erzähler etwas Wichtiges beiträgt, aber auch diejenige, in der klar wird, dass die Frau des Bürgermeisters Liesels "Ausborgen der Bücher" gutheißt. Beide sind als Entfallene Szenen inzwischen verfügbar, hätten zum Film jedoch merklich beigetragen.


Fazit:
Auch wenn kein Verbrechen des Regimes tatsächlich gezeigt wird, die Bedrohung ist allgegenwärtig und spürbar. Es ist eine Atmosphäre, in der die Hubermanns wie Liesel und der herzensgute Rudy, die sich alle für das Gute und Richtige einsetzen, wie Laternen in der Nacht leuchten. Die Bücherdiebin schildert ihre berührende, ermutigende Geschichte, ohne diejenigen zu verurteilen, die ihrem Beispiel nicht gefolgt sind.
Nuanciert erzählt und mit Bedacht und Aussagekraft gefilmt, gelingt Regisseur Brian Percival ein sehr sehenswerter, wertvoller und wichtiger Film für Heranwachsende und Erwachsene. Trotz der niedrigen Altersfreigabe eignet er sich thematisch nicht für ein Kinderpublikum. Doch gerade durch die Augen eines Kindes entwickelt die Botschaft der Hoffnung und Menschlichkeit in den widrigsten Zeiten eine so packende Kraft.