Der Wilde Roboter [2024]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. September 2024
Genre: Animation

Originaltitel: The Wild Robot
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Chris Sanders
Musik: Kris Bowers
Stimmen: Lupita Nyong’o (Judith Rakers), Pedro Pascal (Axel Malzacher), Kit Connor (Sebastian Fitzner), Catherine O’Hara (Madeleine Stolze), Bill Nighy (Joachim Tennstedt), Stephanie Hsu (Alice Bauer), Mark Hamill (Jan-Marten Block), Matt Berry (Hans-Jörg Krumpholz), Ving Rhames (Bernd Egger)


Kurzinhalt:

Als die Universal Dynamics Robotereinheit ROZZUM 7134 (Lupita Nyong’o / Judith Rakers) aktiviert wird, weiß sie nicht, wie sie an die Küste der Insel gekommen ist, auf der sie sich befindet. Sämtliche Tiere, denen sie begegnet, sind ihr gegenüber aggressiv, dabei ist sie lediglich auf der Suche nach einem Kunden, jemandem, der ihr eine Aufgabe gibt. Nachdem sie die Sprachen der Tiere erlernt hat, sieht sich ROZZUM 7134, kurz „Roz“, tatsächlich einer Aufgabe gegenüber, als das junge Gänseküken Brightbill (Kit Connor / Sebastian Fitzner) sie als Mutter ansieht, wie ihr Opossumdame Pinktail (Catherine O’Hara / Madeleine Stolze) verrät. Doch Roz ist mit dieser Aufgabe überfordert, was Fuchs Fink (Pedro Pascal / Axel Malzacher) für sich nutzen möchte. Denn Roz bleibt nicht viel Zeit, Brightbill das Schwimmen und Fliegen beizubringen, wenn er im Herbst mit der weisen Gans Longneck (Bill Nighy / Joachim Tennstedt) und den übrigen Zugvögeln zu ihrem Winterquartier ziehen soll. Dabei schwebt über dieser ungewöhnlich Familie tragisches Geheimnis, das Roz Brightbill nie erzählt hat und das ihre Beziehung für immer verändern könnte …


Kritik:
Man bemerkt es kaum, wie es Filmemacher Chris Sanders bei der Adaption von Peter Browns gleichnamiger Kinderbuchreihe gelingt, die an sich leblose Titelfigur derart mit Emotionen zu versehen, dass sie sich unmittelbar in die Herzen des Publikums spielt. Der Wilde Roboter greift viele Ideen und Herangehensweisen auf, die man aus anderen Geschichten bereits kennt. Doch wie sie hier verbunden werden, ist so berührend wie mitreißend, so einfallsreich wie gelungen. Dies ist einer der besten Filme des Jahres. Animationsfilme sicherlich, aber auch im Allgemeinen.

Die Geschichte beginnt nicht mit einer Einleitung, die die Welt, in der sie spielt, erklären würde. Vielmehr entdecken wir sie durch die Augen der ROZZUM Robotereinheit 7134, später genannt „Roz“. Sie wird an der Küste einer Insel angespült und weiß zwar nicht, woher sie kommt, wohl aber, was ihre Bestimmung ist. Als ROZZUM-Einheit erledigt sie Aufgaben für ihre Kundschaft, um dieser das Leben zu erleichtern. Doch auf der Insel gibt es keine Menschen und die Tiere, die dort leben, wollen Roz nicht auf der Insel haben. Selbst wenn sie keinem von ihnen bewusst ein Haar krümmt, gilt sie als Monster, was Roz erfährt, nachdem sie ihre Sprachen erlernt hat. Unverhofft findet Roz sich mit einer großen Verantwortung konfrontiert, denn ein Gänseküken sieht Roz als seine Mutter an. Wie Fuchs und selbst ernannter Gänseexperte Fink Roz erklärt, muss das Küken, dem sie den Namen Brightbill geben, bis zum Herbst schwimmen und vor allem fliegen lernen, um mit den anderen Zugvögeln mitfliegen zu können. Doch die Chancen stehen schlecht, da Brightbill schmächtiger ist als andere Gänse und auch kleine Flügel hat. So muss Roz in eine Mutterrolle hineinwachsen, die weit über ihre Programmierung hinausgeht.

Roz’ Beziehung zu ihrem Ziehsohn Brightbill ist nicht so einfach, wie man anfangs vermuten würde, was nicht nur daran liegt, dass der junge Gänserich von den übrigen Tieren ausgegrenzt wird, weil er bei Roz aufwächst. Dabei möchte Brightbill dazu gehören und wäre es nicht um Roz, die ihn immer wieder ermuntert, zu kämpfen, wäre der Vogelzug für ihn auf Grund seiner Größe schlicht unmöglich. Doch diese ROZZUM-Einheit arbeitet bis zur Selbstaufgabe für ihren „Nachwuchs“ und muss irgendwann erkennen, dass dieser ihre Hilfe einst nicht mehr benötigen wird. Doch was wird aus Roz, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat? Filmemacher Sanders greift diese Fragen auf und beantwortet sie teilweise für die älteren Zuschauerinnen und Zuschauer, Eltern im Besonderen, oder nimmt sie als Ausgangspunkt, um Kinder direkt anzusprechen.

Lernt Roz die Sprache der Tiere, hört ihre Streitigkeiten untereinander oder versucht zu vermitteln, dann ist das ebenso für die Jüngeren verständlich dargebracht, wie wenn sich der Roboter eingangs gegen die angreifenden Tiere der Insel wehren muss. Doch unterhält sich Roz mit Opossummutter Pinktail, vertraut dieser ihre Unsicherheit an, ob sie der Aufgabe des Mutterseins gewachsen sein werde, wofür ihr die Programmierung fehle, dann spricht dies Ältere ebenso an, wie die Erkenntnisse, die die gestandene Mutter der frischegebackenen mit auf den Weg gibt, Eltern aus der Seele sprechen werden. Nämlich dass niemand bereit dafür ist. Ganz zu schweigen von Roz’ Befürchtung, was geschieht, wenn ihr Ziehsohn Brightbill das Nest verlassen wird. Sowohl mit ihm als auch mit ihr selbst. Der Wilde Roboter findet hier Aussagen, die unmittelbar ins Herz treffen und greift Details der Geschichte im Verlauf wieder auf, die eingangs nur nebenbei eingestreut werden.

Das mag inhaltlich nicht vollkommen neu sein, weder was einen Roboter anbelangt, der in eine menschliche Rolle hineinwächst und dem Publikum damit vor Augen führt, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, noch die Geschichte dieser drei Außenseiter, Roz, Brightbill und Fink, die zu einer Familien zusammenwachsen. Aber es ist mit viel Weisheit und Humor erzählt, mitunter in den lustigen Momenten sogar ein wenig zynisch, aber nie bösartig. Die Figuren auf ihrer Reise zu begleiten, ist auch deshalb ein großes Abenteuer, da die Präsentation von Der Wilde Roboter unglaublich einnehmend geraten ist. Der Animationsstil, der nicht auf Realismus, sondern einen geradezu warmen Zeichenstil setzt, ist fantastisch und überzeugt mit Farben und Formen, bei denen man sich sofort wohlfühlt. Auch die deutsche Synchronisation ist erstklassig gelungen, mit der ehemaligen Nachrichtensprecherin Judith Rakers im Zentrum und Stimmtalenten an ihrer Seite, die sich erfreulicherweise nicht aus Influencern oder Comedians zusammensetzen. Dass die Texteinblendungen im Film allesamt eingedeutscht sind (zumindest bei der besuchten Kinovorführung), ist nicht zuletzt für ein jüngeres Publikum ein großer Pluspunkt.

Nimmt man all dies zusammen, ist Der Wilde Roboter ein so warmherziges wie detailreich liebevoll animiertes Abenteuer für die ganze Familie, das in der Summe weit über das hinauswächst, was man angesichts der bekannten Elemente erwarten würde. Bei kaum einem Film wird man in diesem Jahr so viel lachen und so oft Tränen in den Augen haben, wie hier. Erwachsene womöglich sogar noch mehr, als die augenscheinlich jüngere Zielgruppe. Das ist nicht nur schön, sondern auch wertvoll und etwas Besonderes.


Fazit:
Regisseur Chris Sanders lässt uns diese Welt durch die Augen von Roz entdecken und gleichzeitig Roz selbst, die von den Tieren der Insel verachtet und ausgegrenzt wird, obwohl sie sich mit Hingabe um die Erziehung von Brightbill kümmert. Der einzige, der sie versteht, ist ausgerechnet der ebenfalls ausgegrenzte und wenigstens am Anfang durchaus eigennützige Fuchs Fink. Kaum merklich wachsen einem diese drei Figuren ans Herz, so dass wir uns mit ihnen freuen und mit ihnen leiden. Der Wilde Roboter erzählt mitreißend eine berührende Geschichte über Familie, darüber, nicht aufzugeben, selbst wenn man es im Leben nicht immer einfach hat. Aber auch die Botschaft, als Gemeinschaft zusammen zu stehen und Differenzen beizulegen, ist ermutigend wie inspirierend, selbst wenn sich die ernsteren Aspekte nur den Älteren erschließen werden. Vor allem ist es liebevoll zum Leben erweckt, mit einem erstklassigen Look und Design sowie einer tollen Synchronisation, so dass man diese Welt mit ihren unbeschreiblich vielen, wunderschönen Eindrücken nicht wieder verlassen will. Wenn es einen Film dieses Jahr gibt, den die Mehrheit des Publikums, ob jung oder junggeblieben, direkt nochmal wird sehen wollen, nachdem der Abspann und die Szene danach vorüber sind, dann ist es Der Wilde Roboter. Großartig!